Dämonen der Zeit. Artur Brausewetter

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Название Dämonen der Zeit
Автор произведения Artur Brausewetter
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711487631



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abgewiesen, auf ihn gewartet hatte, Jahr für Jahr, über diesem Warten ihre Blüte und ihre wenigen Reize eingebüsst hatte — und im stillen immer noch harrte und hoffte.

      Mit einem Male kam ihm ein Gedanke: Wenn dies die Rettung bedeutete?! Wenn er durch alles, was gewesen, was ihn heute noch mit süssen Banden hielt, einen Strich machte? Aber nein, der bankerotte Klaus Körber würde in dem Hause Tenerissen einen schlechten Bewerber spielen. Und zum Sklaven war er nicht geschaffen. Dazu lebte zuviel Herrenbewusstsein und Herrenkraft in ihm.

      „Was ist Ihnen heute nur, alter Freund und Gönner?“

      Markenthin, der immer, wenn die Tafel zu Ende ging, in Weinseligkeit schwamm, rief es mit der öligen Stimme zu ihm hinüber. „Schon dreimal versuchte ich, auf Ihr Wohl zu trinken, aber Sie sahen immer über mich hinweg.“

      Er erschrak ein wenig. Sollte er sich doch nicht so in der Gewalt haben, wie er dachte? Sollten die anderen eine Ahnung von dem haben, was in ihm vorging? Aber nein, das war nicht möglich. Der einzige, der über seine Lage unterrichtet sein konnte, war Gomprecht. Und auf den konnte er sich verlassen. Das wusste er.

      Und nun stand auch der Weg vor ihm, der einzige, der ihm blieb, der ihn morgen in der Frühe zuerst zu dem Geldprotz da drüben und dann zu Tenerissen führen sollte. Markenthin hatte es ihn eben erst versichert, dass er der beste, der wahrste Freund wäre, den er in der ganzen Stadt hätte, und der jeder Gefühlsäusserung abholde Tenerissen hatte ihm unmittelbar nach seiner Rede die Hand auf die Schulter gelegt und ihm gesagt, dass er sich in jeder Lebenslage auf ihn verlassen könnte.

      Die Tafel war aufgehoben. Ein Trio spielte in dem klangwirksamen Festsaale mit einem so prickelnden Rhythmus, dass es eine Lust war, nach dieser Musik zu tanzen.

      Klaus Körber, den sein wohlgebauter Körper, die Leichtigkeit seiner Bewegung und Führung zu einem begehrten Tänzer machten, gönnte sich nicht eine Sekunde Ruhe, tanzte mit den jungen und jüngsten der Damen mit möglichster Gewissenhaftigkeit der Reihenfolge, führte auch die älteren, die sich in einer von Klugheit gebotenen Entsagung in die Nebengemächer zurückgezogen hatten und doch auf einen Tanz mit ihm brannten, in den Ballsaal und schien sich vor Fröhlichkeit und immer neuen lustigen Einfällen kaum lassen zu können.

      Als vor Beginn des Viertanzes eine wohlverdiente Pause eintrat, nahm er in übermütiger Eingebung dem Violinisten die Geige aus der Hand und spielte, um den alten Mann nicht zu kränken, eine von diesem vertonte Serenade mit solcher Meisterschaft, dass den alten Musiker nur die Ehrfurcht zurückhielt, ihn angesichts der ganzen ihm zujubelnden Gesellschaft zu umarmen. Und als dann die Diener römischen Punsch reichten und seinem Leibdiener Moritz, der auf diesem Gebiete weniger geübt war als der in ihm grau gewordene Jochem, das Unglück zustiess, einem kaum entpuppten Backfische, der wohl ein wenig hastig nach der köstlichen Erfrischung griff, den hochgefüllten Kelch über das funkelnagelneue Tüllkleid zu giessen, nahm er dem erschreckten Jungen die Silberplatte aus der Hand und reichte sie mit einem Geschick und einer Sicherheit herum, um die ihn der Oberkellner des vornehmsten Gasthauses hätte beneiden können.

      Die Musik begann zu spielen, einen der allerneuesten Tänze, den einige der jungen Herrschaften erbeten hatten.

      Lilly voll Studnitz lehnte ab, weil sie den Tanz nicht kannte.

      „Ich wusste, dass Sie mir einen Korb geben würden,“ sagte Klaus.

      „Und deshalb forderten Sie mich auf?“

      „Sie haben es erraten. Man kann doch nicht den ganzen Abend tanzen und fades Zeug faseln. Schliesslich ist man doch noch ein wenig Mensch.“

      Nun sprachen sie nichts mehr miteinander. Um sie her erhoben sich die jungen Mädchen und reichten ihren Tänzern den Arm. Sie blieben allein.

      „Was ist Ihnen heute abend, Herr Körber?“

      Er sah sie an. Es war das erstemal, dass sie den zwischen ihnen gewohnten tändelnden Gesellschaftston verlassen hatte.

      „Was soll mir sein?“ gab er gleichmütig zurück, nahm aber den freigewordenen Platz neben ihr.

      „Meinen Sie, ich merkte es nicht? Ich hätte nicht gefühlt, dass all die übermütigen Scherze und Extravaganzen, in denen Sie sich sonst nicht zu gefallen pflegen, nichts als ein etwas wilder Humor gewesen, in dem Sie sich Luft machen wollten?“

      „So ... das hätten Sie gemerkt?“

      Halb ablehnend erwiderte er es und halb verwundert.

      „Und wenn Sie sich nun irrten? Wenn ich nichts anderes bezweckt hätte, als meine Gäste zu unterhalten, wie es dem guten Wirte zukommt, sowie er sieht, dass ihre Laune zu rosten beginnt?“

      „Nein, ich irre mich nicht“, sagte sie ganz leise und ganz langsam. Und in ihren blauen Augen, die sonst so viel Lust und Glückseligkeit in die Welt hinausleuchteten, glimmte ein leidvoller Trotz auf. „Ihr Leben lang haben Sie mit mir Versteck gespielt. Ja, das haben Sie. Ich blieb für Sie immer das kleine dumme Ding, dem Sie als Primaner grossmütig die Puppenwohnungen bauten, als wir hier im Nachbarhause wohnten. Das ist nun vorbei. Heute täuschen Sie mich nicht mehr.“

      Die Musik spielte weiter, klang irgendwoher, verlor sich unhörbar fast.

      „Aber das eine möchte ich Sie doch fragen: Bin ich denn wirklich so wenig wert, dass man nicht auch kameradschaftlich ein grosses Leid mit mir tragen könnte?“

      Wieder sah er sie an — sah sie, wie er sie bisher noch nie gesehen hatte, sah das glimmende Zucken um den knospenden Mund und den Zug von frühem Ahnen und Wissen in dem liebreizenden Gesicht.

      „Ein grosses Leid ...“, wiederholte er.

      „Ja, so ist es ... vielleicht so gross, dass Sie trotz aller Kraft und Energie nicht mit ihm fertig werden. Und wenn Sie jemand brauchen, der es Ihnen tragen helfen könnte ...“

      Einen Augenblick lebte es in ihm auf, zuckte es wie eine lockende Versuchung durch sein Herz ...

      „Aber ich bitte Sie ... das ist ja alles Unsinn.“

      „Es ist darum noch kein Unsinn, weil Sie es nicht zugeben wollen. Aber so war es ja immer. Immer wollten Sie auf sich selber stehen. Und ich wäre doch so glücklich, wenn ich Ihnen einmal nur helfen könnte ...“

      Ihre Blicke trafen sich, hielten sich fest.

      Gedämpft und leidenschaftlich zugleich klang die Musik zu ihnen hinüber, trug sie auf silberner Welle in ein weitab träumendes Land ... Vorbei ... vorbei!

      Oder vielleicht doch nicht vorbei? Wenn es ihm morgen gelänge, Markenthin zu gewinnen, wenn Tenerissen sein Versprechen wahr machte ... Neue Hoffnungen zogen durch sein Herz, gaukelten ihm lichtere Bilder — —

      „Was war dir nur heute abend?“

      Zum zweiten Male hörte Klaus Körber die Frage. Diesmal von den schmollenden Lippen der schönen Terlinden, als sie beide für einen kurzen Augenblick ungestört und unbeobachtet von den anderen an der grossen Eingangstür des Saales zusammentrafen. „Nicht ein einziges Mal hast du dich um mich gekümmert, nicht einen Blick oder Händedruck für mich gehabt.“

      „Dafür hatte ja Gomprecht um so mehrere für dich.“

      „Du weisst, dass er mir gleichgültig ist, wie die anderen alle, dass mir der ganze Abend verdorben war, weil du nur Auge und Ohr für die kleine Studnitz warst.“

      „War ich das?“ fragte er zerstreut und doch ganz ernsthaft.

      „Wenn sie dir so gefällt, warum heiratest du sie nicht? Ich werde dir nicht im Wege sein —“

      „Wen soll ich heiraten? Die Tenerissen?“

      „Ach, mach dich zum Narren!“ entgegnete sie schon wieder versöhnlicher gestimmt und ihr melodisches Lachen anschlagend, das sie auf der Bühne unwiderstehlich machte, ... „Die Tenerissen! Das wäre Selbstmord, und zu dem hast du ja, Gott sei Dank, keine Veranlassung. Sage mir lieber, ob du nachher noch auf ein Plauderstündchen zu mir hinüberkommst. In ein paar Minuten bin ich umgezogen.“

      „Was