Gesammelte Werke. Ernst Wichert

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Ernst Wichert
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027237517



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      Wollt Ihr mir ein kurzes Gespräch unter vier Augen gönnen, Herr Hermann Gans? fragte er. Der Schein mag gegen mich sein, aber ich kann nicht sprechen vor diesen Zeugen, weil ich Geheimnisse des Herrn Hochmeisters zu hüten habe, in dessen Vertrauen ich war. Hört mich an und tut dann, was Ihr für Eure Pflicht haltet.

      Der Großkomtur überlegte einen Augenblick. Dann winkte er den andern, sich zu entfernen. Ich kann's Euch nicht abschlagen, sagte er, und ich wünschte wohl, daß Ihr Euch rechtfertigen könntet.

      Als sie allein waren, ergriff Georg seine Hand, drückte sie krampfhaft und flüsterte: Macht mich nicht unglücklich, Bruder Hermann. Was ich getan habe, habe ich zu unseres Ordens Bestem getan und hoffe mir der Brüder Dank zu verdienen. Kenne ich Euch nicht gut genug? Habt Ihr mir nicht einmal, als ich als Großschäffer Euer Haus besuchte, bei einer Kanne Wein das Herz ausgeschüttet? Seid Ihr nicht, wie noch viele andere Brüder sonst, der ernstlichen Meinung, daß der Deutsche Orden krank ist durch und durch und sich mit eigener Anstrengung nimmermehr zur Gesundheit bringen kann? Weiß ich nicht, daß Ihr unzufrieden seid mit dieses Meisters Regiment, das den Umständen nicht Rechnung trägt und zu neuem verderblichem Krieg drängt? Ich kenne Heinrich von Plauen wie keiner von den Brüdern. Sein Unverstand ist so groß wie seine Tapferkeit und persönliche Mannhaftigkeit. Er meint Polen und Litauen die Spitze bieten zu können und sieht in seiner Verblendung nicht, daß der König von Böhmen ein unzuverlässiger Freund ist und der König von Ungarn den Orden nur ausbeuten will zu seinen eigenen Zwecken, daß die Brüder sich nur murrend seiner sehr unzeitgemäßen Strenge beugen und daß er durch seine hartnäckige Weigerung, Polen zu befriedigen, das Land gegen sich aufbringt. Ohne Opfer an Land und Leuten, Städten und Burgen ist der Friede nicht zu schließen; das wißt Ihr so gut als ich. Heute sind diese Opfer noch erträglich, übers Jahr werden die Forderungen zu unerschwinglicher Höhe angewachsen sein, und der Orden wird sich zu jeder Bedingung, auch zu der schmachvollsten, verstehen müssen. Niemand als Plauen will den Krieg, und – daß wir gerecht gegen ihn sind – er muß ihn wollen, da seine Ehre verpfändet ist. Raten die Gebietiger ihm ab, so wird er sich seine Freunde an anderer Stelle suchen, um durch sie seinen Willen durchzusetzen. Wollen wir dem Orden und dem Lande helfen, so gibt es nur ein Mittel: das Haupt zu wechseln, ehe die Glieder kraftlos sind.

      Und das war Euer Plan, Bruder Jürge?

      Das war mein Plan. Dieser Plauen will den Orden zurückzwingen in Zustände, die keinen Boden mehr haben in der Wirklichkeit. Er verlangt von uns Tugenden, die nur erwachsen konnten in Zeiten, in denen andere Lebensaufgaben den Menschen gestellt waren. Er sagt: Es soll so sein! Aber es ist nicht. Daran muß er zugrunde gehen, wenn nicht heute, so morgen; und das eine fragt sich nur, wie viele von uns er mit sich reißt. Setzt mich in das Haus von Akkon, und meine Gedanken sollen auf nichts gerichtet sein, als wie ich an Kranken die Werke der Barmherzigkeit übe und fromme Pilger zu den heiligen Stätten geleite. Macht dieses Preußenland wieder zu einer Heidenburg und laßt mich ausreiten mit einer Schar tapferer Ritter, sie zu bestürmen, so will ich nur danach trachten, den ewigen Lohn zu gewinnen, und zu Gottes Ehre hungern und dürsten, arm sein und keusch. Aber wir sind die Herren eines großen Landes geworden. Sollen wir da leben wie die Knechte, daß die eigenen Untertanen über uns spotten? Der Mantel, den ich trage, das Schwert, das ich schwinge, das Pferd, das ich reite – die sind nicht mein. Ist das noch eine Wahrheit? Unser Oberhaupt ist ein mächtiger Fürst, und wir sind des Landes oberster Adel – so hat's die Zeit gebracht, und eitel Torheit ist's, sie anders zu wollen, als sie sich uns gibt. Denn Menschen sind wir, und Menschenwerk ist alles, das von uns ausgeht; den Menschen aber zwingt die Zeit!

      Der Großkomtur hörte aufmerksam zu und ohne die Miene zu verziehen. Was er hörte, schien ihn nicht zu überraschen, auch nicht zu erschrecken oder zu erzürnen. Er hatte beide Hände aufs lange Schwert gestützt und sah nachdenklich vor sich hin. Und wer, fragte er nach einer Weile, sollte an Plauens Stelle treten?

      Wer der nächste ist am Hochmeisteramt, antwortete Wirsberg, sich aufrichtend, und den Mut hat, zu nehmen, was die Gunst der Umstände bietet. An Euch hatte ich gedacht, Bruder Hermann Gans.

      An mich –?

      An Euch, so wahr ein Gott im Himmel lebt und meine Gedanken kennt. Ich weiß, daß ich nicht Herr der Marienburg werden konnte ohne Euren Willen, daß ich nicht Macht habe über das Wahlkapitel ohne Euer Jawort. Das durfte ich freilich denen nicht sagen, deren Arm ich mich versicherte. Gab ich ihnen Versprechen, so wollten sie sich deshalb auch an mich halten können. So hat's das Aussehen, als ob ich selbst nach der höchsten Ehre geizte. Aber ich bin der Narr nicht, nach etwas zu greifen, das ich doch nicht halten kann. Vielleicht kommt einmal auch meine Zeit. Auf Ritterwort schwöre ich's Euch, Ihr solltet Hochmeister sein nach meinen Gedanken.

      Da der Großkomtur hierauf schwieg, griff Wirsberg unter sein Kopfkissen und zog ein Schlüsselbund vor. Diese Schlüssel öffnen Euch alle meine Behältnisse, fuhr er fort. In jenem Wandschrank findet Ihr meine Briefschaften. Nehmt sie an Euch, bevor ein Dritter davon weiß, und verbrennt sie, so waren sie nie auf der Welt, und ich habe keine Zeugen, die meinen geheimsten Plan verraten. Ihr aber habt heute erfahren, was Ihr in kurzem doch erfahren solltet. Wählet nun! Vernichtet mich und kräftigt Plauens Macht, um alle Zeit sein gehorsamer Diener zu bleiben, oder laßt mich im stillen gewähren und seid des Ordens Haupt, ehe das Jahr sich wendet.

      Der Großkomtur nahm die Schlüssel und schien sie in der Hand zu wiegen. Ohne ein Wort zu sprechen, schritt er langsam nach der Fensternische und trat seitwärts hinter den Vorhang, so daß er dem Kranken nicht sichtbar war. Was in ihm vorging, konnte derselbe nur erraten, aber ein plötzliches Aufleuchten der Augen bewies, daß er auf den Sieg hoffte. Voll Spannung wartete er auf die Entscheidung der nächsten Minute, und sie dünkte ihm ewig lang.

      Der Mann, von dem sein Schicksal abhing, ließ sich Zeit. Als er dann wieder ins Zimmer zurücktrat, war sein Aussehen sehr verändert. Er trug den Kopf hoch und schritt frei aus, um die Lippen war ein spöttisches Lächeln merkbar. Bruder Jürge, sagte er, ich hab's ruhig überlegt und meine Wahl getroffen. Ihr habt große Dinge unternommen, aber Eure Mittel sind unzulänglich, sie durchzuführen. Ich mag nicht mit Euch auf Abenteuer ausziehen und darum …

      Er ging rasch auf die Tür zu und öffnete sie. Tretet ein, rief er seinem Gefolge zu, und seid Zeugen dessen, was geschieht! Georg von Wirsberg hat sich des Landes- und Hochverrats schuldig bekannt. Ich verhafte ihn wegen solcher Schuld und entsetze ihn seines Amtes als Komtur von Rheden. Sobald seine Wunde so weit heil, soll man ihn in des Ordens Haupthaus schaffen, auf daß er vom Kapitel gerichtet werde.

      Der Komtur warf ihm einen Blick zu, feindlich wie ein Dolchstich, und sank matt auf sein Lager zurück. Was weiter geschah, beachtete er nicht.

      Als Liszek sah, wie die Sache hier stand, und daß er dem streng bewachten Komtur schwerlich werde helfen können, machte er sich heimlich aus dem Staube, die Thorner Freunde und den Bischof von Kujawien zu warnen. Frau Cornelia von der Buche packte sofort ihre Sachen und reiste nach Sczanowo ab. Viele Polen begleiteten sie, die sich besuchsweise in der Stadt aufgehalten und in ihrem Hause verkehrt hatten. –

      Auf die Kunde von diesen Geschehnissen im Kulmer Lande ließ Heinrich von Plauen sich nach dem Turm führen, in dem Hans von der Buche gefangensaß, und sagte: Lieber, ich habe dich wahr und treu befunden, redlich und ohne Falsch. Von großer Gefahr hast du unser Haus gerettet, und vielleicht danke ich dir das Leben. Du bist frei und sollst fortan meinem Herzen nahe sein, denn ich sehe wohl, daß es Gottes gütige Hand ist, die dich zweimal in größter Not zu mir geführt hat. Daß du aber wissest, wie wir dir für deine Treue Ehre zu geben gesonnen sind und dich den Besten im Lande zuzählen wollen, so knie nieder und empfange hier von meiner Hand den Ritterschlag mit meinem eigenen Schwerte. Ein Ritter, das heißt ein Streiter für Gottes Gerechtigkeit auf Erden, gehst du über diese Schwelle. Bleibe dieses Tages eingedenk! Er wandte sich an die Gebietiger, die ihn begleiteten. Ihr seid Zeugen.

      Hans sank vor ihm nieder und drückte seines Rockes Saum an die Lippen. Der Meister berührte seine Schulter mit dem Schwert und sprach die Worte der Ritterweihe. Dann hob er ihn auf und küßte ihn. In der Kapelle war ein Dankgottesdienst angesagt, und dorthin nahm ihn der Meister mit sich, daß die ganze Brüderschaft verwundert war, den Mann an seiner Seite zu sehen, der vor einer Stunde