Gesammelte Werke. Ernst Wichert

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Ernst Wichert
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027237517



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Der Komtur schien plötzlich anderen Sinnes zu werden, hieß denselben den Zügel des Damenpferdes in die Hand nehmen und voranreiten. Er selbst sprang ab und sprach eine Weile heimlich mit Liszek, der dann das Pferd bestieg und dem Fräulein nacheilte. Der Komtur ging allein in den Wald zurück.

      Die beiden Gesellen nahmen das Fräulein in die Mitte. Etwa eine Stunde waren sie in langsamem Schritt über die Heide und zwischen den Feldern durchgeritten, als sie die Richtung auf Buchwalde verließen und links abbogen. Natalia, die mit halbgeschlossenen Augen wie im Schlaf dasaß, merkte nichts davon, bis man die Mauern des Städtchens Rheden neben sich hatte. Nun fragte sie, was das bedeuten solle. So sein befohlen, antwortete Liszek.

      Und ich befehle, daß Ihr sofort wieder auf die Straße nach Buchwalde zurückkehrt, herrschte sie ihn an, indem sie dem Knecht die Zügel zu entreißen versuchte.

      Reiten besser um die Stadt, meinte der Pole, und gab seinem Gesellen einen Wink, festzuhalten.

      Was soll das? rief Natalia, sich ermunternd. Ich habe zu bestimmen, wohin ich gebracht sein will. Sofort gehorcht Ihr, oder es soll Euch schlecht ergehen!

      Liszek zuckte die Achseln. Bitten schöne Fräulein zu sein ganz geduldig. Müssen abgeben Pferd vom Herrn Komtur am Schloß. Andere Pferd besorgen für schöne Fräulein.

      Ihr war dieser Grund nicht ganz einleuchtend, aber in dem kläglichen Zustande, in dem sie sich befand, vermochte sie sich auch seine Unhaltbarkeit nicht sofort klarzumachen und widersprach also zunächst nicht weiter. Ihre beiden Begleiter fingen jetzt aber mehr zu eilen an. Die Pferde trabten und fielen, als das Fräulein die frühere langsame Gangart verlangte, plötzlich in den Galopp. Die Stadt war inzwischen umritten, vor ihnen lag das Schloß mit Mauer und Graben. Auf der Schloßfreiheit weit und breit zeigte sich kein Mensch. Bringt mich in die Stadt, rief Natalia; ich will am Hause des Bürgermeisters abgesetzt sein!

      Vorwärts, zischelte Liszek dem andern hinter ihrem Rücken zu und bemerkte dann: Bürgermeister haben kein gute Pferd für schöne Dame.

      Ich werde von dort nach Buchwalde schicken und mir ein Pferd bringen lassen, antwortete sie. Sofort gebt mir die Zügel frei!

      Wieder der aufmunternde Ruf: Vorwärts!

      Nun wurde ihr's gewiß, daß irgendein Bubenstück geplant sei. Sie suchte sich mit Gewalt frei zu machen und schrie: Räuber – Spitzbuben! Zur Hilfe!

      In demselben Augenblick wurde ihr aber von Liszek, der eine Pferdehalslänge zurückblieb, von hinten her ein weiter Mantel über den Kopf und die Schultern geworfen. Im Nu fühlte sie ihre Arme fest eingewickelt und an den Leib gezogen. Die Pferde der Begleiter drängten zu beiden Seiten dicht heran; eine starke Hand erfaßte sie und hielt sie aufrecht, zog zugleich aber auch das Tuch unter ihrem Kinn fest zusammen, so daß sie am schreien gehindert war. Im schnellsten Laufe ging's auf und davon. Jetzt polterten die Hufe der Pferde auf dem Dielenbelage der Zugbrücke, jetzt auf dem Steinpflaster des Hofes und dumpfer unter dem Portal. Dann wurde haltgemacht. Die Reiter sprangen ab und zogen sie in ihrer Umhüllung vom Pferde. Sie merkte, daß sie eine Treppe hinaufgetragen wurde – eine Tür öffnete sich –, man legte sie auf ein weiches Lager nieder. Schöne Dame gut schlafen, sagte der Pole, sich eilig zurückziehend. Ehe sie den faltigen Mantel abstreifen konnte, war die Tür schon wieder zugeschlagen und von außen verschlossen. Sie mußte sich in ihr Schicksal ergeben. –

      Liszek schwang sich wieder auf sein Pferd, nahm des Komturs Hengst an den Zügel und jagte zurück in der Richtung auf den Melno-See.

      Georg von Wirsberg hatte inzwischen den Waldmeister nochmals aufgesucht und für seine Pläne bearbeitet. Er drängte zu schneller Abreise und bot ihm ein Pferd aus seinem Stalle an. Der Alte aber zeigte sich eigensinnig, wollte zu Fuß oder zu Schiff reisen und ließ sich wegen der Zeit keine Vorschrift machen. Er habe Geschäfte in Danzig, sagte er, und wolle dort erst einmal nachsehen. Seine Rache sei viele Jahre alt geworden, da komme es ihr auf ein paar Tage nicht an. Endlich, auf vieles Zureden, gab er das Versprechen, anfangs der nächsten Woche sich auf den Weg zu machen.

      Der Komtur wartete dann am Waldrande auf die Rückkehr Liszeks. Ist's gelungen? fragte er denselben, als er angesprengt kam. Alles wohl ausgeführt, gnädiger Herr, antwortete Liszek und reichte ihm den Schlüssel, Fräulein sein in Sicherheit. Georg von Wirsberg nickte, lächelte befriedigt in sich hinein und warf ihm ein Goldstück zu. Der Pole fing's in der Mütze auf, küßte es und ließ es in seine Tasche gleiten. Dann bestieg der Komtur sein Pferd und ritt in kurzem Trabe auf Buchwalde zu; Liszek folgte in gemessener Entfernung, wie es dem Diener ziemte.

      In Buchwalde war auf diesen Nachmittag die Versammlung der Eidechsenritter festgesetzt. Zwölf von den Herren hatten sich mit ihrer Dienerschaft eingefunden. Die Pferde konnten nicht sämtlich in den Ställen untergebracht werden; man hatte bewegliche Futterkrippen auf den Hof gestellt und sie daran festgebunden. Den Leuten war eine halbe Tonne Bier angewiesen, und sie zechten munter, auf das Gras unter der Linde am Brunnen gelagert. Wirsberg schickte Liszek in das alte Haus, Herrn Niklas von Renys herauszubitten. Er ging indes an dem trockenen Graben entlang auf und ab.

      Im Turmzimmer war die Unterhaltung laut gewesen. Die beiden Renys hatten alle alten Beschwerden gegen den Orden zur Sprache gebracht, neue hinzugefügt und die Gemüter erhitzt. Die Eidechsen müßten ausschauen, wo sie unter den Machthabern gute Freunde fänden, die sich ihrer Sache willig annähmen. Von vielen Seiten wurde den beiden Brüdern unbedenklich zugestimmt. Einige von den Genossen aber, voran Hans von der Buche, verlangten, daß man nicht so mit allgemeinen Reden sich begnüge, sondern anzeige, was man zu tun beabsichtige. Unser Bund hat mit diesen Dingen nichts zu schaffen, meinte Hans vorsichtig. Wollen wir Landessachen beraten, so mag der Herr Landrichter uns fordern. Darüber gab's großen Lärm. Ob man sich verbunden und zugeschworen habe, um reihum beieinander Gevatter zu stehen? Von welchen nothaftigen Sachen denn noch die Rede sein könne, wenn nicht von diesen, die jeden bedrängten und besorgt machten um Haus und Hof, Weib und Kind? Alle Zeit habe man's so gehalten, daß man erst bei sich selbst zu Rate gegangen sei und eine rechte Einigung zu gemeinsamen Schritten versucht habe. Denn der einzelne sei schwach und werde allemal leicht mundtot gemacht; wenige aber könnten viel durchsetzen, wenn sie aneinander in Not und Gefahr eine Stütze fänden. Der Ritter Otto von Konyad forderte, man solle den Ältesten vertrauen und ihnen in alle Wege folgen; viel Wissen beschwere unnütz in so gefahrvollen Zeiten, und Geheimnisse ließen sich nur unvollkommen hüten, wenn die Zahl der Wisser zu groß sei. Dagegen schrie die Minderzahl: jeder im Bunde habe gleiches Recht; setze man Kopf und Kragen daran, so müsse man auch wissen wofür. Habe doch jeder geschworen, des Bundes Heimlichkeiten zu hüten. Ob man also meineidige Schurken unter den Genossen vermute? Dann sei's besser, die Bundeslade zu zerschlagen und die Briefe zu verbrennen.

      So eifrig war man aneinandergeraten, als der Torhüter dreimal anschlug, zum Zeichen, daß jemand Einlaß begehre, der sich durch das Bundessiegel nicht ausweisen könne. Niklas von Renys ging hinaus, kehrte aber gleich wieder und sagte: Das trifft sich gar glücklich. Ihr wollt genau erfahren, was geplant wird, liebe Genossen, aber nur ein einziger kann's überschauen und euch zur Kenntnis bringen. Und der steht nun unten vor dem Graben und läßt mich zu sich bitten zu einer Rücksprache. Es ist der beste Freund des Bundes, aber kein Bundesgenosse. Wollt ihr gestatten, daß ich ihn einführe, wenn er's begehrt? Wir könnten dann gesamt erfahren, was er bietet, und sogleich zum Schlusse kommen.

      Wer ist's – wer steht unten vor dem Graben? wurde hie? und dort gefragt.

      Das steht mir nicht zu, freiheraus zu sagen, antwortete Niklas. Erst muß ich eure Meinung erfahren, ob ihr einen Fremden zulassen wollet oder nicht. Genehmigt ihr's, so leiste ich euch Bürgschaft, daß er ein Freund ist und guten Grund hat, Schweigen zu beobachten. Er bringt sich selbst wahrlich mehr in Gefahr als uns.

      Schließen wir die Lade, meinte Ritter Pfeilsdorf, solange der Fremde unter uns verweilt. Zu einer Versammlung der Eidechsen dürfen wir niemand einlassen, der nicht den Eid geleistet hat; aber die Eidechsen tagen nur bei offener Lade.

      Das ist eine Auskunft, die nur den Schein wahrt, entgegnete Hans von der Buche.

      Was wollen wir mehr? rief Hans von Polkau. Der Vorschlag ist gut.

      Er gefiel auch den anderen, und