Gesammelte Werke. Ernst Wichert

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Ernst Wichert
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027237517



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eine gewichtige Stimme haben will. Die Kutten aber wiegeln die Krämer, Brauer und Handwerker gegen uns auf und arbeiten damit dem Komtur in die Hände, der auch gern den Rat geschwächt sähe aus anderen Gründen. Es ist seit kurzem ein unzufriedener Geist in der Gemeinde: seht zu, ihr Herren Bürgermeister, daß er nicht die Herrschaft gewinne.

      Arnold Hecht wollte nicht streiten, daß die »Ämter« – er bezeichnete damit die verschiedenen Handwerkergenossenschaften nach ihrem allgemeingebräuchlichen Gesamtnamen – hinaufstrebten und Anteil am Regiment begehrten; aber hier in Danzig seien sie doch noch weit vom Ziele. Es geht bei uns Preußen noch nicht alles drunter und drüber, wie draußen im Reich, setzte er hinzu.

      Das muß ein jeder sogleich empfinden, der von dort kommt, sagte Hans von der Buche zustimmend. Wenn man hier im Lande geboren und erzogen ist und hat stets rund um sich her Friede und gute Ordnung gesehen, eine mächtige und wohlmeinende Herrschaft und fügsame Untertanen, die doch keinen Druck leiden mögen, reiche Städte mit löblicher Verwaltung, Gutsherren und Schulzen, die Gerechtigkeit üben auf dem Lande, freie Bauern, fleißige Handwerker, Wohlhabenheit überall, Handel und Wandel, sichere Landstraßen – man denkt, es könnte nirgends anders sein. Aber nun kommt hinaus ins Reich und hört auf allen Wegen von Gewalttaten der Burgherren gegen die Bürger, von Raub und Mord, von der Not des armen Landvolkes, von der Ohnmacht der kaiserlichen Vögte, von der Lahmheit der richterlichen Gewalt – wahrlich, einem ehrlichen Manne muß das Herz weh tun bei solchen Klagen. In der Fremde erfährt man, was die Heimat wert ist, und liebt sie dann um so mehr.

      Der Junker hat recht, rief Barthel Groß und hielt ihm sein Glas zum Anstoßen hin, gegen die draußen im Reiche leben wir hier im ewigen Frieden. Was will's bedeuten, wenn die Litauer einmal über die Grenze vorbrechen und aus den offenen Gehöften das Vieh fortführen, das ihnen vom nächsten Komtur doch bald wieder abgejagt wird, oder wenn die Seeräuber uns nötigen, Friedenskoggen gegen sie auszurüsten, sobald sie's unverschämt treiben? Im Lande selbst ist Ruhe und Frieden seit Menschengedenken, und auf Flüssen und Landstraßen reisen unsere Kaufmannsgüter ungefährdet von Ort zu Ort. Dort aber ist ein ewiger Kriegszustand, und der Kaiser vermag nichts selbst gegen die kleinsten Wichte. Ich hab's wieder erfahren auf dem Wege nach Brügge. Da haust ein Junker von Diepholz in der Gegend von Wildeshausen an der Hunte und überfällt mit seinen Gesellen den Kaufmann, der seine Waren nach der Heimat führt. Die teuer genug erkauften Geleitbriefe des Erzbischofs von Bremen und des Junkers von Delmenhorst nützen dagegen wenig. Auf Cloppenburg nicht ausgeraubt zu werden, hab' ich mich vom Vogt des Bischofs von Münster gegen ein Leitgeld bis Utrecht mit Schutz versehen lassen müssen, und kam doch nur knapp mit heiler Haut durch. Und so ist's überall am Rhein und an der Weser. Stoßt an, ihr Herren, unser Preußen soll leben!

      Gerd von der Beke ließ sein Glas laut erklingen. Recht so, stimmte er zu, das hör' ich gern. Wem aber verdanken wir Frieden und Wohlstand? Doch nur dem Deutschen Orden, der mit kräftiger Hand die Feinde abwehrt und gute Ordnung im Lande aufrecht hält, daß niemand sich überhebe und jeder seines Lebens und seiner Habe froh werde. Darum wollen wir hoffen, daß er auch jetzt siegreich sein und Polen und Tataren von unseren gesegneten Gauen mit dem Schwerte fernhalten werde. Darauf trinke ich dieses Glas!

      Herr Arnold Hecht nippte nur ein wenig von dem seinen und stellte es dann zur Seite. Nun, nun – sagte er lächelnd, Ihr seid zu eifrig im Lobe unserer Herren. Was sie uns Gutes tun, ist doch ihnen selbst am meisten nütze, und unsere Privilegien wären bald wenig wert, wenn wir über ihnen nicht eifersüchtig wachten. Wir haben einen Herrn, der hat zwar viele Hundert mit dem Schwerte bewehrte Arme, aber auch viele Hundert Köpfe, und sie sind nicht immer einig. Es verlautet von großem Zank und Hader aus den Ordenshäusern, seit die Herren nicht mehr gegen die Heiden zu kämpfen haben. Ich will mich nicht versündigen; aber wenn der Krieg gegen Polen, wie ich zu Gott hoffe, einen guten Ausgang nimmt, so mag ich's nicht beklagen, daß die Herren Beschäftigung gehabt und unseren Beistand gebraucht haben. Was ist Eure Meinung davon, Herr Konrad Letzkau?

      Der so Angeredete blickte wie erschreckt auf. Er hatte bisher still und in sich gekehrt dagesessen, das Gespräch den Gästen überlassend. Nun schien er sich besinnen zu müssen, wovon die Rede sei. Ich bin dem Orden für meine Person vielen Dank schuldig, sagte er dann bedächtig, und ich will ihm das nicht vergessen. Mein Vater war vom Grafen von Holland getötet, meine Mutter aus dem Lande vertrieben. Sie floh mit mir nach Preußen zu dem Ordensvogt von Grebin, der ihr befreundet war, und er wies uns gütig in seinem Dorfe Wohnung und Unterhalt an. Seitdem nenne ich mich nach meiner neuen Heimat. Der Vogt hat wie ein Vater an mir gehandelt. Er empfahl mich dem Komtur, als ich heranwuchs; der nahm mich ins Ordenshaus auf und ließ mich unterrichten, wie man die Knaben unterrichtet, die dem geistlichen Stande bestimmt sind. Meine Neigung ging aber nicht dahin, und es fehlte mir auch die Gabe des Gesanges. Da man nun sah, daß ich gern den Ordensleuten zur Hand ging, die des Ordens Einkünfte verwalteten, Speicher und Vorratskammern beaufsichtigten und mancherlei Handelschaft trieben, gab man mich dem Großschäffer von Königsberg in Dienst, daß ich lerne kaufen und verkaufen, Schiffe befrachten und Rechnungen führen. Darauf nahmen die Herren mich nach Marienburg zu gleichem Dienst bei dem dortigen Großschäffer, und es gefiel ihnen, daß ich mich geschickt erwies in allen Geschäften und für Mehrung der Güter sorgte. Viele von den Würdenträgern lernte ich persönlich kennen, und auch dem Hochmeister blieb ich nicht fremd. Da sagte er eines Tages zu mir: Konrad, ich will zusehen, ob ich dein väterliches Erbe zurückgewinne, daß ich dir danke für deine Treue. Und er schrieb Briefe nach Holland meinetwegen, bat und drohte, und so gab der Graf wenigstens einen Teil heraus, daß ich nun mein eigener Herr sein und mich in dieser Stadt Danzig niederlassen und Bürgerrecht erwerben konnte. Auch dann blieben die Herren mir wohlgeneigt und förderten gern meine Unternehmungen und haben mir gutes Vertrauen bewiesen bei mancherlei Sendungen in des Ordens Auftrag. Dafür weiß ich mich zu Dank verpflichtet, und so schmerzt es mich, daß in letzter Zeit viel Uneinigkeit entstanden ist zwischen dem Orden und den Städten, und daß die Herren sich oftmals überheben und ihren rechten Vorteil verkennen. Wer im Rate der Stadt sitzt und seinen Mitbürgern geschworen hat, der muß freilich die Dinge anders anschauen als die in den Schlössern: aber die Meinung, daß eine Schwächung des Ordens uns Gewinn brächte, kann ich doch nicht gut nennen. Er soll uns bei unseren Rechten lassen; dafür aber wollen wir ihm mit Freudigkeit dienen, daß er stark und mächtig bleibe und gefürchtet sei von seinen Feinden. Denn wir sind deutschen Blutes wie die Brüder, und gemeinsam muß auch ferner unsere Arbeit sein, wenn auf diesem schwer erkämpften Boden deutsches Recht und deutsche Sitte gedeihen soll. Dafür wollen wir einstehen, liebe Herren!

      Gerd von der Beke, der gute Freundschaft im Orden hatte, gab eifrig Beifall zu erkennen, und die anderen wagten nicht zu widersprechen, ob sie schon nicht in allem einverstanden sein mochten. Man weiß ja doch, daß Ihr der Stadt nicht um Fingerbreit etwas vergeben würdet, knurrte Hecht, wenn's einmal hart auf hart käme, und so können wir der Dinge Verlauf ruhig abwarten. Dann räusperte er sich, stieß mit Halewat an, der in feierlicher Haltung oben an der Tafel saß, und rief: Vergessen wir nicht, was uns heute hier zusammenführt! Unser braver Kapitän soll leben und jeder Danziger Seemann mit ihm, der seinem Beispiel folgt! Wer's gut mit ihm meint, der setzt den Becher nicht ab, bis er ihm auf den Grund sieht.

      Das gefiel der ganzen Tafelrunde, und wer nun etwas zu erzählen wußte von dem Seekampf, der gab es zum besten, und es war eine Freude, anzuhören, wie jeder des andern tapfere Tat hervorhob und sein eigenes Verdienst verkleinerte. Der Bürgermeister war wieder schweigsam geworden wie vorher, und von seiner Stirn schien die finstere Wolke nicht weichen zu können. Frau Anna Groß bemerkte es mit Besorgnis. Du bist heut nicht froh, Vater, sagte sie; was bekümmert dich?

      Letzkau wollte es nicht wahrhaben, aber Barthel Groß stimmte ihr zu und meinte, es müsse bei der Vorführung der Gefangenen etwas versehen sein, da er seitdem ein finsteres Gesicht zeige. Ja, ja, bestätigte auch Hecht, ich hab's wohl gesehen, daß Ihr Euch verändertet, als der Hauptmann Euch ansprach. Es ist auch anderen aufgefallen, die in der Nähe standen. Huxer aber traf noch näher ans Ziel, indem er geradeheraus fragte: Wie wußtet Ihr, daß Marquard Stenebreeker vor Euch stehe? Ihr nanntet ihn beim Namen.

      Letzkau schien nur ungern darauf zu antworten; aber er merkte wohl, daß er nicht würde ausweichen können, und so begann er nach einigem Bedenken: Ich kannte den Mann, und mir wär's lieber gewesen, ich hätte