Gesammelte Werke. Ernst Wichert

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Название Gesammelte Werke
Автор произведения Ernst Wichert
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027237517



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Die andern zählen nicht mit. Du hast gesehen, wie alle Edelsten auf meiner Seite stehen. Ihr Vollwort genügt mir. Darum rate ich dir, Konrad, nicht den Sperling aus der Hand zu lassen und nach der Taube auf dem Dache zu greifen. Auch ich bequeme mich zu manchem, was ich vordem nicht getan hätte, und zu bitten kommt mir wahrlich schwer genug an.

      So sprachen sie noch viel über diese Dinge, jeder nach seinem Sinne und Bedarf, und konnten sich nicht einigen. Beim Abschiede zeigten sich beide Teile verstimmt und wenig vertrausam.

      Letzkau wußte wohl, daß er in Danzig einen harten Stand haben werde. Er hätte gern etwas mitgebracht, das die zaghaften Freunde des Ordens gewinnen und seine Gegner im Rat und in der Bürgerschaft beschwichtigen könnte. Nun war es ihm verdrießlich, daß er solange in des Hochmeisters Geschäften auswärts gewesen war und mit leeren Händen zurückkam. So blieb er denn meist in seinem Hause, arbeitete fleißig in seinem Kontor und fertigte alle Besuche kurz mit der Weisung ab, daß ihm vieles in seinen Handelsangelegenheiten in schwere Unordnung gekommen sei und daß er erst bei sich wieder reinen Tisch machen müsse. Selbst seiner Tochter, Frau Anna Groß, stattete er nur einen flüchtigen Abendbesuch ab, erkundigte sich, wie es ihr und ihrem Manne indessen ergangen sei, und küßte die kleinen Mädchen. Er hatte ihnen aus Thorn prächtige Pfefferkuchen mitgebracht. Vergeblich forderte Barthel Groß ihn auf, nach dem Artushof mitzukommen.

      Dem einen und andern freilich mußte er doch Rede stehen. Sein Kumpan Arnold Hecht fragte ihn tüchtig wegen des Friedens aus und hielt dann nicht reinen Mund. Er ließ im kleinen Hofe gelegentlich ein Wörtchen fallen, daß das Bier sich bald verteuern werde. Es ging rasch am Tisch herum, wurde hinausgetragen in den großen Hof, und die Brauer spitzten die Ohren. Am nächsten Morgen war ein Geschrei durch die ganze Stadt, der Orden wolle die Bürger vergewaltigen und ihnen ihr Eigentum nehmen.

      Dann kam das Ausschreiben des Komturs. Es war nicht gerade höflich abgefaßt und nannte die runde Summe, die von den Bürgern der Rechten Stadt Danzig aufzubringen sei, auch den nahen Termin, bis zu dem das Geld dem Tresler auf dem Schlosse eingezahlt werden müsse. Nun gingen die Stadtboten in die Patrizierhäuser, den Großen Rat zu verbotten. Mit ihnen zogen Scharen von Neugierigen, die vor den Türen lärmten und das Versprechen erzwingen wollten, daß nichts bewilligt werde. Wie es in solchen Fällen zu geschehen pflegt, wollte einer immer besser wissen als der andere, was in dem Ausschreiben stehe, und so vergrößerte sich im Munde des Volkes die von der Stadt geforderte Summe ins Ungemessene. Das solle die Strafe sein, hieß es, mit der Danzig belegt werde, weil es dem König geschworen. Überall wurden Flüche gegen den Orden und gegen den Komtur laut.

      Auch die Ratssitzung war stürmisch. In so voller Zahl hatte man sich lange nicht versammelt; alte Kaufherren, die seit Jahren allen solchen öffentlichen Geschäften ferngeblieben, hinkten am Stabe heran und nahmen ihren Platz im großen Saale ein, so daß die eichenen Bänke rundum kaum alle Anwesenden fassen konnten. Zur bestimmten Stunde wurden die Türen geschlossen und außen von den Ratsdienern bewacht.

      Der Stadtschreiber Johannes Wolter hatte seinen Tisch dicht an die Empore herangeschoben, auf der die beiden Bürgermeister saßen. Es lagen darauf Kapseln von Metall und Papierrollen, aus denen an Bändern Siegel hinaushingen.

      Konrad Letzkau überblickte mit so ruhigem Auge die stattliche Versammlung, als ob es sich um die gewöhnlichste Sitzung handelte. In der Tat erledigte er erst eine Reihe laufender Geschäfte und machte Mitteilung von den Beschlüssen des sitzenden Rates. Dann gab er Bericht von dem Frieden, alles ganz förmlich und geschäftlich, zeigte endlich auch an, daß jüngst ein Schreiben des Herrn Komturs eingegangen sei, betreffend des Herrn Hochmeisters Bitte um Beihilfe des Landes zu der Kriegsentschädigung, und forderte den Stadtschreiber auf, es zu verlesen.

      Während das geschah, richteten sich überall die Köpfe auf und wandten sich die Blicke dem Lesenden oder den Bürgermeistern zu. Letzkau saß in seinem Stuhl, das rechte Bein über das linke geschlagen und das Kinn in die Hand gestützt, Arnold Hecht war aufgestanden und musterte mit neugieriger Spannung die Gesichter der Versammelten. Als der Schreiber geschlossen hatte, hielt das Schweigen noch eine Sekunde lang an, dann entstand ein Gesumme wie von schwärmenden Bienen; es verbreitete sich durch den ganzen Saal; die Männer in den braunen Mänteln wandten die Köpfe rechts und links, streckten die Arme vor, zischelten übereinander weg zu einem entfernteren Nachbar, und bald wurden auch einzelne laute Ausrufe hörbar, die kurz die vorgefaßte Meinung der verschiedenen Parteigruppen bezeichneten.

      Letzkau klopfte mit einem Stabe auf, um Ruhe zu gebieten. Wer zu sprechen habe, möge aufstehen und sich gemessen äußern. Fünf oder sechs zugleich erhoben sich von den Sitzen.

      Gestattet zuerst mir das Wort! rief Arnold Hecht in den Saal hinein. Was ich vorzuschlagen habe, wird wahrscheinlich viel unnötiges Hin- und Herreden abschneiden. Das Schreiben des Herrn Komturs in Ehren, aber es läßt viel erraten. Nun ist aber männiglich bekannt, daß Herr Konrad Letzkau, ob er schon des Rates Vollmacht dazu nicht einzuholen für gut befunden, für den Herrn Hochmeister Reisen unternommen, sich auch lange bei ihm in Thorn aufgehalten hat. Sicher ist er über die Dinge, die dort verhandelt worden, gut unterrichtet und wird uns sagen können, wie sie zusammenhangen. Ich will ihm nicht verbergen, daß in der Stadt viel Verwunderung gewesen ist, wie er sich so in des Ordens Diensten gebrauchen ließ, da wir doch dem König gehuldigt hatten und eher in seinem Hoflager eines Vertreters bedürftig waren. Wahrlich! wäre nicht der Herr Konrad Letzkau allen als ein ehrenwerter und der Stadt treu ergebener Bürger bekannt, die Zungen hätten sich weniger gehütet. So nun geschieht es auch meines Teils nicht aus Feindschaft oder Mißgunst, wenn ich ihn auffordere, im Großen Rat über sein Tun und Lassen Auskunft zu geben, hoffe im Gegenteil, daß er mir dessen Dank wissen wird. Denn ich zweifle nicht, daß er sich in allem wohl verantworten kann.

      So war denn die Anklage erhoben. Letzkau erwartete sie von dieser oder anderer Seite und zeigte deshalb keine Spur von Beunruhigung, als er sich nun würdevoll erhob und zum Sprechen anschickte. Es war plötzlich wieder lautlos still im Saal geworden: die meisten von den Ratsherren saßen gebückt und die Augen auf die hölzernen Fußbänke gerichtet, die zum Schutz gegen die Kälte des Steinbodens gegen die Sitze geschoben waren. Nur einige von seinen Freunden und von seinen Gegnern sahen ihn dreist an.

      Liebe Herren vom Großen Rat, begann Letzkau mit fester und klarer Stimme, lange genug bin ich in öffentlichen Angelegenheiten – sei es des Ordens, sei es der Stadt – beschäftigt worden, um zu wissen, daß jeder Bote eine Vollmacht haben muß, durch die er sich ausweist, ebenso bei dem, an den er gesandt ist, als bei dem, der ihn sandte. Denn nur das gilt, was er seiner Vollmacht gemäß handelte, und nur das hat er zu verantworten, was er gegen seine Vollmacht tat. So, wenn ihr mich nach Lübeck sendet zur Tagfahrt, frage ich euch vorher: Was ist euer Wille? Und wenn dort beschlossen werden soll, was euch nicht bekannt sein konnte, als ihr mich sandtet, so antworte ich: Dazu reicht meine Vollmacht nicht, ich will's deshalb zu den Meinigen zurücknehmen. Nicht anders, wenn man sich an den Bürgermeister dieser Stadt wendet in Angelegenheiten der Stadt; dann habe ich allemal ängstlich geprüft, was ihm allein zusteht zu entscheiden und was der Rat verteidigen mag. So habt ihr mich alle die Jahre erfunden. Wenn ich aber im Kontor zu Kauen einen Kämmerer über mein Warenlager einzusetzen oder in England ein Schiff zu befrachten habe, da frage ich euch nicht, denn das geht mich allein an. Berief mich nun der Herr Hochmeister zu sich in der Nacht und sagte zu mir: Ich bitte dich, Konrad, daß du uns eine Reise tust – wandte er sich da an die Stadt Danzig oder an den Bürgermeister in seinem Amt? Daß es nicht einmal den Schein hätte, bin ich heimlich fortgegangen in Bettlerkleidern. Denn ich wollte nicht, daß der Herr König dafür einen andern verantwortlich machte als mich allein. Und als er mich dann in Thorn anging: Bleibe bei mir, Konrad, und gib mir guten Rat! was konnte ich da anders antworten als: Gnädiger Herr, ich will Euch für meine Person mit meinen geringen Diensten gern beistehen, daß wir diese Händel zu schlichten suchen. Als er aber schließlich, weil er des Geldes benötiget war, von mir forderte, daß ich ihm mit meinem Worte die Stadt Danzig verpflichten solle, da habe ich den Kopf geschüttelt und gesagt: Gnädiger Herr, das kann nimmer geschehen. Und so bin ich abgereist, nicht zum freundlichsten verabschiedet. Will mich nun einer deshalb schelten, so kann ich's ihm nicht wehren. In wenig Wochen ist der Tag der neuen Ratswahl da; es wird sich dann zeigen, ob ich noch euer Vertrauen habe. Heute aber beschließet, wie ihr möget. Denn keinen von euch