Gesammelte Science-Fiction & Dystopie Romane (12 Titel in einem Band). Paul Scheerbart

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Название Gesammelte Science-Fiction & Dystopie Romane (12 Titel in einem Band)
Автор произведения Paul Scheerbart
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075836403



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und reden alle übereinander weg wie Kinder, die aus der Schule kommen.

      Schließlich bringt eine rauhe Stimme den Lärm zun Schweigen und sagt zornspritzend: »Knipo, Du erlaubs Dir da oben, lauter dummes Zeug zu reden und das für Weisheit zu erklären. Deine alte Manier! Aber wenn wir diese Lichteindrücke nicht in uns aufnehmen können werden wir sie nicht genießen. Was sollen wir mit der Verworrenheit anfangen? Was nützt es uns, wenn uns die ganze Welt ewig und immer als ein großes sinnloses Lichtspektakel erscheint?«

      »Hoho!« ruft da Knipo hoch oben, »nur die Gebrechlichkeit unsrer Aufnahmefähigkeit ist der Grund aller Weltverworrenheit. An unsern Sinnen liegt es, daß uns die Welt so verworren erscheint – die Welt selbst ist es gar nicht.«

      »Aha!« wispert da wieder eine kleine Stimme in der Geistertüte, »also haben wir doch Ursache zu wünschen, daß sich unsre Sinne verändern. Es muß wahrhaftig alles anders werden – vergöttlichen müssen sich unsre Sinne! Ich werde schon zufrieden sein, wenn bloß meine Sinne göttlich werden – ich selbst will schon ruhig bleiben, was ich bin.«

      Das Lichtfest ist so still, obgleich sich die Raketentüte mit den Schlangen, Pyramiden und Oktaedern allmählich wieder schneller dreht.

      Und Knipo sagt langsam: »Vielleicht sind unsre Sinne bloß deswegen so unvollkommen, damit wir nicht alles auf einmal aufnehmen. Wir müssen uns doch was für spätere Zeiten aufbewahren. Vielleicht werden unsre Sinne immer vollkommener. Die Weltbilder sollen uns wahrscheinlich erst allmählich in ihrer ganzen Großartigkeit zugänglich werden.«

      Da lachen sehr viele Geister in der Tüte laut auf und schreien: »Das ist ja grade unsre Meinung schon seit Olims Zeiten! Deshalb wollen wir doch Götter werden!«

      Und alle rufen zusammen mit ihrer ganzen Lunge: »Wenn wir doch erst Götter wären!«

      »Wenn wir doch erst Götter wären!«

      Knipo aber spricht ärgerlich: »Ihr scheint den Wert der Gegensätze nicht zu begreifen. Die besten Sinne sind für uns so gut wie wertlos, wenn wir nicht die weniger guten kennengelernt haben. Ihr wollt, daß alles gleich vollendet da sei – während doch die langsame Entwicklung zum immer Besseren viel köstlicher ist als das Beste ohne Gegensatz und ohne Entwicklungsfähigkeit.«

      Die Geistertüte steht still – und die Raketentüte steht auch still.

      Und die kleine wispernde Stimme ruft so laut, daß es energisch klingt: »Wir sind auf der wilden Jagd nach dem großen Diadem der Gottheit, und Knipo soll uns nicht in die Zügel fallen.«

      Die weißen Lichtsicheln werden von den silbernen und goldenen Schlangen verschlungen.

      Und es wird den Geistern vor ihren Opalaugen alles sehr dunkel.

      Die Fäden verschwinden in ein paar Augenblicken.

      Und die Raketentüte steigt mit den Schlangen, Oktaedern und Pyramiden hoch empor und wird bald unsichtbar oben in der dunkleren Höhe.

      Der Himmel wird ganz schwarz in ein paar Augenblicken.

      Jetzt aber leuchten die Geister selber und erschrecken, wie sie sich so leuchten sehen.

      THEATER

       Inhaltsverzeichnis

      Geister, die lange zusammen waren, erkennen sich plötzlich nicht wieder; sie sind ganz verändert; ihr Rumpf ist fort, und ihr Kopf besteht nur noch aus zwei kleinen Ohren und unzähligen Opalaugen.

      Eine schlanke Geistertüte von regelmäßiger Kegelform ist zu einer Opalaugentüte geworden.

      Die Opalaugentüte leuchtet wie faules Holz; die Ohren der Geister ähneln dunklen Perlgebilden, die aber das gleißende Opalisieren der Geisteraugen nicht stören.

      Vom Fuß der gleißenden Tüte, die wie die ungeheure Glanzspitze einer verborgenen Pickelhaube hoch in den dunklen Himmel emporragt, geht jetzt nach allen Seiten flach ansteigend ein grünes Moosland trichterförmig in die Höhe und bildet eine ungeheure runde flache Schale – eine grüne Mooslandschale –, in deren Mitte die Geisterspitze steht- wie der Schirmstock in einem umgekehrten offenen Regenschirm.

      Doch die Mooslandschale ist nicht gewölbt.

      Der Himmel, der so lange dunkel war, wird hell – weiße Wolken machen den Himmel hell –, der ganze Himmel besteht bald nur aus sehr hoch gestiegenen weißen Wolken, die klein aussehen – wie ganz kleine Lichtblüten.

      Die Opalaugen der Geister sehen nach allen Seiten und sehen alles anders als sonst – sehen wie durch unzählige ganz feine durchsichtige Schleier, die von den Bildern der Welt nicht fortnehmen, sondern zutun.

      Und ganz langsam dreht sich die spitze Tüte – die Drehung ist kaum merklich.

      Und Riesenpilze wachsen aus dem Moosboden heraus.

      Die Riesenpilze kriegen oben sehr dicke blaugraue Kopfe mit langen wächsernen Nasen. Und andere Pilze, die neben den bekopften wachsen, kriegen oben Hände mit dicken rosafarbigen Fingern. Und diese Finger legen sich an die wächsernen Nasen. Und da tun sich die breiten Mäuler der Pilzköpfe auf und reden unverständliche Worte.

      Doch in der Mitte die Geister mit den feinen Perlenohren verstehen einzelne Sätze – so diese: »Der dicke Rausch hat uns geboren!«

      »Wir sind die grandiosen Symbolika des Rausches.«

      »Wir allein verstehen den Rausch, weil wir selber Rausch sind – und weil sich der Rausch nur selber verstehen kann.«

      Und ihre Köpfe werden ganz unförmlich.

      Ein grünlicher Schimmelpilz mit gelben Flecken, aus dessen Schädel spiralförmige, bleiartige Blätter herauswachsen, sagt bedächtig: »Gibt es eine berauschendere Sache als die vollkommene Rauschlosigkeit? Die könnte doch der Gipfel der Selbständigkeit sein! Ja! Es ist das nicht unmöglich!«

      Und ein andrer Pilz, dessen Kopf wie ein altes verfallenes Felsentor aussieht, fragt leise: »Liebe Rauschbrüder, wißt Ihr vielleicht, ob wir im Streben nach dem Rausch mehr nach höherem Bewußtsein oder mehr nach Bewußtlosigkeit verlangen? Läge uns an dieser, so müßte uns die Selbständigkeit sehr egal sein. Andernfalls wär's vielleicht anders.«

      Es ertönt keine Antwort.

      Nach langer Pause spricht die klappernde Stimme eines schwarzen Keulenpilzes: »Denken wir nur, um berauscht zu werden? Oder – werden wir nur berauscht, um denken zu können?«

      Und ein andrer Pilz, der blaue Krebsscheren statt der Haare auf dem Kopfe hat, sagt in langgezogenen Tönen, während seine Radaugen furchtbar rollen: »Wir sind heute wieder so recht nüchtern. Das macht wahrscheinlich das viele Denken. Wollen wir denn den Rausch begreifen? Der sieht ja täglich anders aus. Chamäleon!«

      Und die Pilze schwanken und steigen mit ihren Fadenwurzeln aus dem Boden und gehen wackelnd hinauf zum fernen, fernen Mooslandsrande; mit den dünnen Wurzelbeinen kommen die Dicken nur langsam vorwärts.

      Grüne Dämpfe steigen vorn auf.

      Und die Pilze werden unsichtbar.

      Ein Windzug – und die grünen Dämpfe sind fort.

      Knirschend steigen aus dem Moosboden durchsichtige Kristallsäulen heraus.

      Astartige Arme wachsen den Kristallsäulen; die Arme sind auch Kristall und haben keine Hände – an Stelle der Hände entstehen Kristallköpfe mit lauter rechteckigen Formen – auch die zwei Augen der Köpfe sind rechteckig.

      Und die Kristallwesen unterhalten sich; es reden die sämtlichen Armköpfe einer Säule für gewöhnlich im Chore.

      Die Geister der Tüte vernehmen die folgenden Reden und Gegenreden: »Meine Wenigkeit hat bislang erst zweitausend Entwicklungsprozesse durchgemacht. Aber ich würde nette Lügenmäuler haben, wenn ich behaupten möchte, ich hätte jemals in meinem langen Leben eine Ahnung davon gehabt, wohin