Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen. Emile Zola

Читать онлайн.
Название Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen
Автор произведения Emile Zola
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788075835802



Скачать книгу

eigenartig inmitten dieser großen, schweigsamen Kälte.

      Sie genossen eine Nacht wahnsinniger Liebe. Renée war der Mann, der leidenschaftliche, handelnde Wille, Maxime unterlag. Dieses neutrale, blonde hübsche Wesen, welches von Kindheit an in der Entwicklung seiner Männlichkeit gehemmt worden, verwandelte sich mit seinen haarlosen Gliedern, seiner an einen römischen Knaben gemahnenden anmuthigen Magerkeit in den Armen der jungen Frau in ein großes Mädchen. Er schien geboren und herangewachsen für eine derartige Verirrung der Wollust. Renée ergötzte sich an ihrer Herrschaft; dieses Geschöpf, bei welchem das Geschlecht noch immer nicht entschieden war, knickte förmlich zusammen unter ihrer Leidenschaft. Für sie bildete dies ein unablässiges Erstaunen des Verlangens, eine Ueberraschung der Sinne, ein absonderliches Empfinden von Unbehagen und gesteigertem Vergnügen. Sie war ihrer Sache selbst nicht mehr sicher und berührte nur zweifelnd seine feine Haut, seinen vollen, runden Hals, beobachtete zweifelnd, wie er sich seiner Mattigkeit hingab und sich von derselben übermannen ließ. Sie empfand eine Zeit der Ueberfülle. Indem Maxime ihr unbekannte Genüsse bot, vervollständigte er gewissermaßen ihre unsinnigen Toiletten, ihren erstaunlichen Luxus, ihre bis zum Aeußersten getriebene Lebenslust. Er gab bei ihr den Ton des kommenden Verderbens an, der rings um sie her bereits vernehmbar wurde. Er wurde der Liebhaber, wie ihn die Mode und die Thorheiten jener Zeit erzeugen mußten. Dieser hübsche, junge Mann, dessen eng anschließende Kleider seine zarten Formen erkennen ließen; dieses verfehlte Mädchen, welches mit dem in der Mitte gescheitelten Haar und einem leisen gelangweilten Lächeln über den Boulevard schritt, wurde in den Händen Renée's ein Abbild jener ausschweifenden Epoche, welche Geist und Körper zu Grunde richten sollte. Und insbesondere gab das Treibhaus den Schauplatz ab, wo Renée der Mann war. Der liebeglühenden Nacht, welche sie daselbst verbracht, folgten noch mehrere andere. Das Gewächshaus liebte, glühte mit ihnen. In der schweren Atmosphäre, in dem fahlen, weißen Lichte des Mondes schien es ihnen, als würde die fremde Welt der sie umgebenden Pflanzen undeutliche Bewegungen ausführen und sich in sinnlichen Umarmungen ergehen. Das schwarze Bärenfell schien die üppige Vegetation auf einen Punkt zu konzentriren. Zu ihren Füßen dampfte leise murmelnd das Bassin, in welchem die zahllosen Wurzelfasern sich innig durch einander schlangen, während sich auf der Wasserfläche die rosigen Sterne der Nymphäen gleich einem jungfräulichen Mieder erschlossen und die Tornelien ihr an das Haar erschlaffter Nereiden gemahnendes Strauchwerk herabhängen ließen. Rings um sie her reckten sich die Palmen und Bambusrohre im Kreise, neigten und vermengten sie ihre Blätter in der schwankenden Art ermüdeter Liebender. Weiter unten erinnerten die Farrenkräuter, Pteriden und Alsophilen mit ihren mit regelmäßigen Volants besetzten breiten Röcken an grüne Damen, die am Ende der großen Allee stehend, stumm und regungslos die Liebe erwarteten. Neben ihnen nahmen sich die rothgefleckten krausen Blätter der Bégonien und die weißlichen Blätter der Caladien wie eine undeutliche Reihe von blauen und bleichen Flecken aus, die sich die Liebenden nicht zu deuten suchten, die ihnen aber mitunter die runden Formen der Schultern, Hüften oder Kniee anzunehmen schienen, die unter der Brutalität stürmischer Zärtlichkeitsbezeugungen zu Boden gedrängt werden. Und die unter der Last ihrer Früchte gebeugten Bananen redeten ihnen von der üppigen Fruchtbarkeit des Bodens, während andererseits die abessynische Wolfsmilch, deren stachelige, mißgestaltete, von scheußlichen Höckern entstellte Blüthen in dem Dunkel nur schwer auszunehmen waren, den Saft, die überfließende Gluth dieser Flammengeneration von sich zu geben schien. Doch je tiefer ihre Blicke in die einzelnen Winkel des Treibhauses drangen, desto mehr füllte sich die Dunkelheit mit den absonderlichsten Blättern und Kelchen; sie unterschieden auf den Ständern nicht mehr die sammtweiche Maranta, die violetten Blüthen der Gloxinia, die Blätter des Drachenbaumes, die an lackierte Schwertklingen erinnerten; – es war das eine Versammlung lebender Pflanzen, die einander mit unbefriedigter Inbrunst verfolgten. In den vier Ecken, wo die von Schlinggewächsen gebildeten Vorhänge reizende Verstecke darstellten, gewann ihre sinnliche Phantasie noch reichere Nahrung und die üppigen Triebe der Vanille, der Kockelskörner, der Bauhinien waren die endlosen Arme unsichtbarer Liebender, die ihre Umarmungen immer mehr ausdehnten, um alle vorhandenen Freuden an sich zu reißen. Diese Arme, die kein Ende hatten, hingen bald schlaff herab; bald schlangen sie sich in einem Anfall von Liebesraserei durch einander, suchten sich, verwickelten sich, wie in einer einzigen großen Brunst. Dies war die mächtige, großartige Brunst des Treibhauses, dieses Stück Urwaldes, in welchem die Blüthen und Knospen der tropischen Vegetation stammten.

      Dank ihren irregeleiteten Sinnen fühlten sich Maxime und Renée hingerissen durch diese mächtige Hochzeitsnacht der Erde. Durch das Bärenfell hindurch brannte ihnen der Boden den Rücken und von den hohen Palmen fielen Tropfen der Hitze auf sie herab. Die Säfte, welche sich an den Baumschäften emporsaugten, durchdrangen auch sie und verliehen ihnen immer heißeres Verlangen und die Fähigkeit gigantischen Genießens. Sie nahmen an der Brunst des Gewächshauses theil. Hier, inmitten des bleichen Lichtes wurden sie von Visionen heimgesucht, von Alpdrücken, in welchem sie lange den Liebesbezeugungen der Palmen und Farrenkräuter beiwohnten; die Blätter und Zweige nahmen in ihren Augen unbestimmte, zweideutige Formen an, welche ihre Begierden in lüsternen Vorstellungen festhielten. Aus den Baumgruppen tönte leises Gemurmel und Flüstern, ermattete Stimmen und Seufzer der höchsten Verzückung, unterdrückte Schmerzensrufe und entferntes Gelächter an ihr Ohr, – kurz all' das, was ihre eigenen Küsse verriethen und was das Echo wiederholte. Zuweilen glaubten sie, der Boden erbebe unter ihnen, als wäre die Erde selbst in einer Krise befriedigten Genießens in wollüstiges Schluchzen ausgebrochen.

      Wenn sie die Augen schlossen und die erstickende Hitze und das bleiche Licht sie nicht in eine Zerrüttung aller Sinne stürzten, so hätten die verschiedenartigen Gerüche genügt, um in ihnen einen Zustand höchster nervöser Reizbarkeit wachzurufen. Das Wasserbecken strömte einen tiefen, beizenden Geruch aus, welcher die tausenderlei Düfte der Blumen und Pflanzen in sich vereinte. Zuweilen gewann der Duft der Vanille gleich dem Girren einer Turteltaube die Oberhand; dem folgten die härteren Töne der Stanhopéa, deren getigerten Kelchen ein bitterer, durchdringender Geruch entströmte. Die in ihren durch dünnen Ketten festgehaltenen Körben ruhenden Orchideen athmeten ihren betäubenden Weihrauchgeruch aus. Der Alles beherrschende Duft aber, der Duft, in dem all' diese schwankenden, unausgesprochenen Gerüche untergingen, war der Duft des menschlichen Leibes, der Duft der Liebe, welchen Maxime erkannte, wenn er Renée's Nacken küßte, wenn er den Kopf in ihrem aufgelösten Haare barg. Und sie blieben wie berauscht von diesem der verliebten Frau anhaftenden Geruch, der durch das Treibhaus zog, wie durch ein Schlafgemach, wo die Erde in Kindesnöthen lag.

      Gewöhnlich lagerten sich die Liebenden unter dem Tanghin von Madagaskar, unter dem vergifteten Strauch, von welchem die junge Frau ein Blatt zerbissen hatte. Rings um sie her lachten die weißen Formen der Statuen, während sie die ungeheuren Verschlingungen der Zweige und Aeste betrachteten. Der Mond, der still seine Bahnen zog, veränderte die verschiedenen Gruppen und belebte durch sein wechselndes Licht das Drama. Und sie waren tausend Meilen von Paris entfernt, standen außerhalb des leichtfertigen Lebens des Bois und der Salons, befanden sich inmitten eines indischen Urwaldes, dessen Gottheit die schwarze Marmorsphinx war. Sie fühlten sich dem Verbrechen, verbotener Liebe, den Zärtlichkeitsbezeugungen wilder Thiere überantwortet. Dieser Pflanzenwucher, der sie umgab, dieses dumpfe Gewühl in dem Bassin, diese unverhohlenen Liebesergüsse der Vegetation, – all' dies vereinigte sich, um sie in eine Danteische Hölle der Leidenschaft zu stürzen. In diesem gläsernen Käfig, der von der klaren Kälte des Dezember umgeben, alle Gluth und Hitze des Sommers in sich verschloß, genossen sie die Blutschande gleich der verbrecherischen Frucht einer übermäßig erhitzten Erde.

      Und inmitten des schwarzen Felles hob sich der weiße Leib Renée's ab, wie sie mit gestrecktem Rückgrat wie eine große zusammengekauerte Katze sich auf die kleinen Fäuste stützte. Ihr ganzes Sein war von Wollust geschwellt und die hellen Linien der Schultern und Hüften hoben sich weich von dem dunklen Schatten ab, welchen das Bärenfell auf den gelben Sand der Allee warf. Sie beobachtete Maxime, diese unter ihr liegende Beute, die sich ihr rückhaltslos zu eigen gab. Und von Zeit zu Zeit neigte sie sich plötzlich über ihn und küßte ihn mit den halb geöffneten Lippen. Dabei öffnete sich ihr Mund mit der gierigen, unersättlichen Hast des chinesischen Hibiscus, dessen Blätterwerk eine Wand des Hôtels bedeckte. Sie war auch nur noch eine brennende Blüthe des Treibhauses. Ihre Küsse erblühten und erstarben gleich den rothen Blumen der