Название | Gesammelte Werke von Emile Zola: Die Rougon-Macquart Reihe, Romane & Erzählungen |
---|---|
Автор произведения | Emile Zola |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788075835802 |
Dann fuhr sie plötzlich empor und erhob sich, um den Spiegel zu betrachten, zu welchem ihre Augen seit einem Moment unentschlossen hinüberschweiften. Sie stellte sich auf die Fußspitzen und stützte sich mit den Händen auf den Rand des Kamins, um diese Unterschriften und gewagten Bemerkungen zu lesen, welche sie vor dem Souper erschreckt hatten. Sie sprach die einzelnen Silben mit einiger Schwierigkeit aus, lachte und las weiter gleich einem Schüler, der unter dem Pulte in einem verbotenen Buche blättert.
»Ernst und Klara«, las sie; »und ein Herz darunter, welches einem Trichter gleicht ... Ah, das ist hier besser: »Ich liebe die Männer, weil ich die Trüffeln liebe.« Unterschrieben, Laura«. Sag' 'mal Maxime, hat die Aurigny dies geschrieben? ... Dann sieh hier, das Wappen dieser Damen; ich denke, es soll eine Henne vorstellen, die eine Pfeife raucht ... Und nichts als Namen, ein ganzer Kalender: Viktor, Amalie, Alexander, Eduard, Margarethe, Paquita, Luise, Renée ... Ah, Eine, die so heißt wie ich ...«
Maxime sah ihren glühenden Kopf im Spiegel. Jetzt reckte sie sich noch mehr empor und ihr Domino, der dadurch rückwärts ganz angespannt wurde, beschrieb scharf die Krümmung ihrer Taille, die Wölbung der kräftig entwickelten Hüften. Der junge Mann folgte der Linie, welche der straff wie ein Hemd anliegende Satin zeichnete. Auch er stand auf und warf seine Zigarre weg. Er fühlte sich unbehaglich, unruhig. Etwas, woran er gewöhnt war, was er niemals vermißte, fehlte ihm heute.
»Und hier ist sogar Dein Name, Maxime,« rief Renée aus. »Höre einmal ... »Ich liebe« ...«
Er aber hatte sich auf den Rand des Divans niedergelassen, so daß er fast zu den Füßen der jungen Frau zu sitzen kam. Mit einer plötzlichen Bewegung gelang es ihm, ihre Hände zu erfassen; dadurch zog er sie fort von dem Spiegel, wobei er mit sonderbar klingender Stimme sagte:
»Ich bitte Dich, lies das nicht!«
Sie wehrte sich und lachte dabei nervös.
»Weshalb denn nicht? Bin ich nicht Deine Vertraute?«
Er aber ließ sie nicht los, sondern sagte erstickten Tones:
»Nein, nein, heute Abend nicht.«
Er hielt noch immer ihre Hände fest und sie zerrte schwach an den Gelenken, um sich zu befreien. Beider Augen hatten einen Ausdruck, den sie noch niemals gesehen; ihre Lippen lächelten gezwungen und ein wenig beschämt. Sie sank in die Kniee am Rande des Divans; dabei fuhren sie fort, mit einander zu ringen, obschon Renée keine Bewegung mehr nach dem Spiegel machte und sich bereits zu ergeben begann. Und als der junge Mann den Arm um ihren Leib schlang, sagte sie mit ihrem verlegenen und halb erlöschendem Lächeln:
»Laß mich ... Du thust mir weh.«
Doch murmelten nur mehr ihre Lippen diese Worte. In der tiefen Stille des Kabinets, welches von den Flammen des Kronleuchters hell erleuchtet wurde, fühlte sie den Boden unter sich erzittern und vernahm sie das Gerassel des Batignoller Omnibus, der um die Ecke des Boulevards biegen mußte. Und die Sache wurde vollbracht. Als sie dann wieder neben einander auf dem Divan saßen, stotterte er inmitten des Unbehagens, welches sich Beider bemächtigt hatte:
»Bah! früher oder später mußte es geschehen,«
Sie sagte kein Wort, sondern betrachtete gleichsam niedergeschmettert das Rosen-Muster des Teppichs.
»Hattest Du daran gedacht? fuhr Maxime noch immer stotternd fort. »Ich gewiß nicht... Doch hätte ich gegen dieses Kabinet Mißtrauen haben sollen ...«
Und nun sprach sie mit tiefer Stimme, als hätte dieser Fehltritt die ganze spießbürgerliche Ehrsamkeit der Familie Béraud du Châtel in ihr erweckt:
»Was wir da gethan, ist niederträchtig!« Sie war vollkommen ernüchtert, ihr Gesicht schien mit einem Male gealtert und hatte einen ernsten Ausdruck.
Der Athem versagte ihr. Sie schritt zum Fenster, schlug die Läden zurück und lehnte sich hinaus. Das Orchester war verstummt, der Fehltritt unter den letzten Tönen des Basses und bei dem entfernten Singen der Violinen begangen worden, die als gedämpfte Schallwellen von dem schlafenden und von Liebe träumenden Boulevard heraufdrangen. Unten dehnte sich die Straße schweigend, inmitten der grauen Einsamkeit aus. Die dumpf rollenden Räder der Fiaker waren verschwunden und hatten Licht und Leute mit sich genommen. Unter dem Fenster war es auch schon ganz dunkel; das Café Riche war ebenfalls geschlossen worden und kein Lichtstrahl drang durch die eisernen Läden. Auf der anderen Seite der Avenue beleuchteten nur mehr vereinzelte Lichter die Façade des Café Anglais, unter anderem ein halb geöffneter Fensterflügel, aus welchem unterdrücktes Lachen vernehmbar wurde. Und längs dieses großen Schattenreiches, von der Ecke der Rue Drouot bis zum anderen Ende, so weit ihr Auge reichte, sah sie nichts weiter als die symmetrischen Flecken der Kioske, welche mit je einem Flämmchen versehen, die Nacht nicht zu erhellen vermochten und an Nachtlampen erinnerten, die in einem großen Schlafgemach aufgestellt waren. Renée hob den Kopf empor. Die Bäume streckten ihre Arme zu dem hellen klaren Himmel empor, während die unregelmäßige Linie der Häuser sich gleich einer zerrissenen Felskante am Rande eines bläulich schimmernden Meeresspiegels in's Unabsehbare zu verlieren schien. Dieser heitere Himmel stimmte sie aber noch trauriger und nur der in Dunkelheit gehüllte Boulevard bot ihr einigen Trost. Was der Lärm und das Laster des Abends daselbst zurückgelassen, entschuldigte sie. Sie meinte die Wärme all' der Männer und Frauen zu verspüren, die über dieses Trottoir geschritten, welches bereits zu erkalten begonnen. Die Schande, die sich hier geoffenbart, die Begierden einer Minute, die mit leiser Stimme gemachten Anerbietungen und die im Vorhinein bezahlten Vergnügungen einer Nacht, – all' Dies löste sich in eine schwere Dunstwolke auf, welche der Morgenwind vor sich einhertrieb. In die Dunkelheit hinausgeneigt, athmete sie diese erschauernde Stille, diesen Alkovenduft ein, gleich einer Ermuthigung, welche ihr von unten wurde, gleich einer Versicherung, daß die von ihr empfundene Schmach von einer ganzen Stadt getheilt werde. Und als sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, gewahrte sie die Frau in dunklem Kleide mit weißen Spitzen, die allein inmitten der grauen Einsamkeit, noch immer an derselben Stelle stand und sich den leeren Schatten anbot.
Als sich die junge Frau in das Zimmer zurückwendete, erblickte sie Charles, der schnüffelnd umherblickte. Endlich entdeckte er das blaue Band Renée's, welches ganz zerdrückt, in einer Ecke des Diwans vergessen worden. Er beeilte sich, ihr dasselbe mit seiner höflichen Miene zu überreichen. Dies brachte ihre Schmach ihr voll zum Bewußtsein. Vor dem Spiegel stehend, versuchte sie mit ungeschickten Händen das Band neuerdings um ihren Kopf zu schlingen. Der Knoten, in welchen ihre Haare gewunden waren, hatte sich losgelöst, die kleinen Löckchen waren an den Schläfen ganz platt gedrückt und sie vermochte den Knoten nicht zu erneuern. Da kam ihr Charles zu Hilfe, indem er gleichmüthigen Tones, als würde er ihr etwas Selbstverständliches, eine Mundschale oder einen Zahnstocher anbieten, fragte:
»Wünschen Sie den Kamm, Madame?«
»Ach was, unnöthig,« sagte Maxime mit einem Blick ade Ungeduld. »Holen Sie uns einen Wagen.«
Renée entschloß sich, blos die Kapuze ihres Dominos herunterzuziehen. Und als sie vom Spiegel hinwegtrat, reckte sie sich ein wenig, um die Worte zu lesen, welche die hastige Umarmung Maxime's sie nicht hatte lesen lassen. In steil zum Plafond emporsteigenden, plumpen Buchstaben las sie die mit Sylvia unterzeichneten Worte: »Ich liebe Maxime«. Sie spitzte die Lippen und zog die Kapuze noch tiefer in die Augen.
Im Wagen empfanden Beide eine fürchterliche Verlegenheit. Sie saßen einander gegenüber, ebenso wie sie gesessen, als sie den Monceau-Park verließen. Sie fanden kein Wort einander zu sagen. Im Inneren des Fiakers herrschte dichte Finsterniß, in welcher jetzt selbst der glühende rothe Punkt der Zigarre Maxime's fehlte. Der junge Mann, neuerdings von den Röcken verdeckt, die »ihm fast die Augen ausstachen,« litt sehr unter dieser Dunkelheit, unter diesem Stillschweigen, in der Nähe dieser stummen Frau, die er an seiner Seite wußte und deren Augen er weit geöffnet in die Nacht hinausstarren zu sehen wähnte. Um sich den Anschein größerer Unbefangenheit zu geben, suchte er endlich