Im Schattenkasten. Arno Alexander

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Название Im Schattenkasten
Автор произведения Arno Alexander
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711626016



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      Arno Alexander

      Im Schattenkasten

      Kriminalroman

      Im Schattenkasten

      © 1949 Arno Alexander

      Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen

      All rights reserved

      ISBN: 9788711626016

      1. Ebook-Auflage, 2016

      Format: EPUB 3.0

      SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com

      I.

      Mr. Harrogate hatte seinen Bericht beendet. Alles, was ein schmerzerfüllter Vater dem Leiter einer völlig unfähigen Polizei sagen konnte, war gesagt worden, und Mr. Harrogate empfand jetzt neben der Erleichterung, die ihm sein Erguß verschafft hatte, auch ein Gefühl der Leere und Hoffnungslosigkeit. Was für einen Zweck hatten denn seine langen Auseinandersetzungen? Würden sie ihm sein Kind wiederbringen? Und nur darauf allein kam es ihm doch an!

      Lincoln, Chefinspektor der New Yorker Polizei, hatte seinen Besucher aufmerksam angehört und dabei auf einen Bogen Papier ein sauber gezirkeltes Fragezeichen neben das andere gemalt. Diese Zeichen bezogen sich aber in keiner Weise auf die Rede Mr. Harrogates.

      „Drei Detektive haben versagt, behaupten Sie“, meinte Lincoln nach kurzem Schweigen nachdenklich und betrachtete seine Fragezeichen.

      „Vier Detektive!“ betonte Mr. Harrogate aufgebracht.

      „Es waren wirklich nur drei“, widersprach der Chefinspektor sanft.

      „Vier waren es!“ rief Harrogate mit erhobener Stimme. „Vier versagten — einer nach dem anderen. Was jetzt? Denken Sie vielleicht, ich warte, bis alle Ihre Detektive ihre Unfähigkeit bewiesen haben? Nein, ich weiß, was ich tue: Ich gehe zu Flannagan!“

      Die letzten Worte hatte er im Tone einer furchtbaren Drohung hervorgestoßen, und sie verfehlten ihre Wirkung auch nicht ganz: Lincoln sah überrascht auf, musterte eine Weile das hagere, bleiche Gesicht seines Gegenübers, und dann nahmen seine Züge den Ausdruck eines mitleidigen Zweifels an.

      „Flannagan?“ sagte er gedehnt. „Haben auch Sie schon von ihm gehört? Ein ausgesprochener Säufer, ein durch und durch unzuverlässiger Mensch, den wir aus dem Dienste entlassen mußten — — —“

      „Er soll aber sehr tüchtig sein!“

      „Tüchtig? Er war es vielleicht einmal, aber jetzt hat sein Geist schon merklich gelitten, und das wirkt sich bei der Arbeit aus. Und außerdem — was wollen Sie? — Ich glaube nicht, daß Flannagan einen Auftrag von Ihnen annehmen wird.“

      „Warum nicht?“ fragte Harrogate heftig.

      „Er behauptet, er arbeite nicht für Geld, sondern nur. wenn es ihm Vergnügen mache.“

      Harrogate lachte gereizt auf.

      „Das wird sich schon geben. Den Menschen möchte ich sehen, der einen Auftrag Harrogates ablehnt!“

      „Gehen Sie zu Flannagan, und Sie werden ihn sehen“, erwiderte Lincoln ruhig. „Das können Sie tun oder auch lassen — ganz wie Sie wollen. Ich denke darüber, wie ein Arzt über die Wirkung eines harmlosen Kräutertees denkt: Es wird nicht nützen, kann aber jedenfalls nicht schaden. Neben diesem Kräutertee muß aber der Kranke eine wirkliche Arznei bekommen. Und darum will ich Ihre Sache jetzt meinem besten Mann, dem Detektiv Bath übergeben — — —“

      „Ich will von Ihren Detektiven nichts mehr wissen! Ich — — —“

      „Bath wird Ihnen helfen, bestimmt.“

      „Wenn das so sicher ist, — warum übergaben Sie ihm den Auftrag nicht gleich?“

      „Erpressungsfälle dieser berüchtigten Bande übergeben wir Bath nur im äußersten Fall, weil nämlich — — —“

      Lincoln schwieg.

      „Gut“, erklärte Harrogate düster. „Ich bin bereit, Ihrem Rate zu folgen und mit diesem Bath mein Glück zu versuchen. Wollen Sie ihn hereinrufen, damit wir ihm gemeinsam den Fall erklären?“

      Lincoln nickte. Dann nahm er den Hörer ab und gab durch den Fernsprecher einige Weisungen.

      „Halt“, sagte Harrogate plötzlich. „Ist Ihr Bath wenigstens waschechter Amerikaner?“

      Es klopfte.

      „Er ist amerikanischer Bürger, so gut wie Sie und ich“, versetzte der Chefinspektor mit einem schwachen Lächeln. Dann rief er laut: „Herein!“

      „Das ist unser Detektiv Bath“, sagte er gleich darauf und wies auf den eingetretenen noch ziemlich jungen Mann.

      Nur mit Mühe unterdrückte Harrogate einen Ausruf des Unwillens: Der Mann sah schmächtig aus und war klein von Wuchs, er trug eine große Hornbrille, und seine Gesichtsfarbe war gelb. Es konnte auch gar nicht anders sein denn der Detektiv Bath war durch und durch — Japaner.

      II.

      Eine halbe Stunde später verließ Mr. Harrogate das Gebäude des Polizeihauptquartiers. Sein Gesicht drückte deutlich erkennbar Unzufriedenheit aus, — noch mehr Unzufriedenheit als vor anderthalb Stunden, da er das Gebäude betreten hatte.

      Er ging an einen harrenden Wagen heran, öffnete den Schlag und nahm neben seiner Tochter Platz, die am Steuer saß.

      „East 23-rd Street?“ fragte sie kurz.

      Er nickte schweigend, und der Wagen setzte sich in Bewegung.

      In der East 23-rd Street wohnte der Privatdetektiv Flannagan. Ohne daß Harrogate seiner Tochter auch nur ein Wort über seine Unterredung mit dem Chefinspektor gesagt hatte, war zunächst doch alles Wichtige zwischen ihnen besprochen. Wenn der Vater zu Flannagan fuhr, bedeutete es, er sei mit dem Erfolg seiner Unterredung nicht zufrieden. Dasselbe sagten die senkrechten Falten auf seiner hohen Stirn. Wozu also Fragen stellen?

      „Tamara …“, begann Harrogate nach einer Weile, dann schwieg er wieder nachdenklich.

      Seine Tochter hieß tatsächlich Tamara. Den schweren Fehler, den er begangen, als er seinem ersten Kind diesen gar nicht amerikanischen Namen gab, konnte sich der Patriot Harrogate nie verzeihen. Er mußte verrückt gewesen sein — das war seine ehrliche Überzeugung bis auf den heutigen Tag. Es war eine Nottaufe gewesen — das Leben von Mutter und Kind schwebte tagelang in Gefahr —, und als der herbeigerufene Pfarrer im letzten Augenblick nach dem Namen fragte, den das Kind bekommen sollte, da stellte es sich heraus, daß Harrogate alle die schönen Namen, die er und seine Frau schon lange vorher ausgesucht, vergessen hatte, einfach vergessen! In seinem Schmerz und in seiner Angst fiel ihm nur der Name Tamara ein, der aus einem kürzlich gelesenen russischen Roman stammte. So kam es, daß die Tochter eines amerikanischen Patrioten einen ganz und gar nicht amerikanischen Namen erhielt.

      „Tamara!“ sagte Harrogate wieder, und dann erzählte er zornig von seiner Besprechung mit Lincoln und von deren geringen Erfolgen.

      „Einen Japaner!“ rief er endlich aus. „Ausgerechnet einen Japs hat er mir zugedacht! Wie findest du das?“

      Tamara überholte erst einen Wagen und winkte freundlich einem Polizisten zu, der seine Hand nach dem Notizbuch ausgestreckt hatte und der daraufhin sofort seine böse Absicht aufgab, sie wegen zu schnellen Fahrens aufzuschreiben. Dann blickte sie schräg zu ihrem Vater auf.

      „Das ist natürlich schrecklich“, stellte sie fest. „Aber schließlich kann ein Japaner ganz tüchtig sein, und ein Mann, der zu der Erpresserbande Verbindung hat, eignet sich wohl am besten dazu, uns das Kind wiederzufinden.“

      „Aber es ist dennoch schrecklich“, beharrte er.

      „Gewiß“, bestätigte sie freundlich, worauf er, zufrieden über die Übereinstimmung