Fußball ist nicht das Wichtigste im Leben – es ist das Einzige. Ben Redelings

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Название Fußball ist nicht das Wichtigste im Leben – es ist das Einzige
Автор произведения Ben Redelings
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783895336607



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mich wieder mal bestätigt: Die Kölner können nicht nur an Karneval so richtig jeck sein. Und deshalb haben sie sich ihren Christoph Daum auch redlich verdient!

      Nachts um zwei trudeln wir am Freitag nach dem Auftritt in Köln wieder in Bochum ein. Abends steht ein Geburtstag an. Wieder Alkohol, wieder spät ins Bett. Und gestern nun die Hochzeit. Als wir um 14 Uhr zurück aus Köln sind, lege ich mich erst einmal auf die Couch und lese im Videotext alles über den 2:0-Sieg der deutschen Nationalmannschaft in Wales.

      Drei Stunden später werde ich vom Klingeln des Handys wach. Ich muss eingeschlafen sein. Wo ist Nadine? Liegt neben mir. Alles klar. Und wo ist das Handy? Kann nicht weit weg sein. Mein Weckerklingelton bimmelt laut und unaufhörlich. Aber irgendwie komme ich nicht hoch. Mir ist schwindelig. Sollte ich mal untersuchen lassen. Nur jetzt muss ich erst einmal dieses nervtötende Telefon finden. Nadine ist auch wach. Sie schaut mich vorwurfsvoll an. Sehr böser Blick. Das Handy klingelt weiter. Hilft alles nichts. Ich muss es suchen gehen. Dann ist plötzlich Stille im Raum. Ich lasse mich wieder zurück aufs Sofa fallen. Im selben Moment geht das Geklingel von vorne los.

      „Stör ich?“, fragt eine Stimme. Jedenfalls denke ich, dass dies der Wortlaut war. Denn eigentlich versteht man fast nichts. Irgendein Idiot macht im Hintergrund eine wahnsinnig laute Durchsage: Zug xy hat wegen Laub auf den Gleisen circa eine halbe Stunde Verspätung. Laub auf den Gleisen? Anfang September? Das müssen Bäume gewesen sein, denen man noch nichts vom Klimawandel gesagt hat. Auf jeden Fall braucht mir Christoph nicht mehr viel zu erklären. Er kommt später als verabredet. Das passt gut, denke ich. Wir sind durch das kleine Nickerchen auch nicht pünktlich. Dass ich mich wie ausgekotzt fühle und mir nicht im Geringsten vorstellen kann, heute auf die Bühne zu gehen, sage ich ihm nicht. Wir werden Moers schon rocken! Erst einmal nehme ich aber eine doppelte Dosis Aspirin.

      Nadine ist den ganzen Tag schon so komisch. Irgendwas stimmt nicht mit ihr. Wenn ich nur wüsste was. Vielleicht waren die letzten Tage auch für sie ein bisschen viel. Immer von früh bis spät im Laden stehen und abends dann Veranstaltungen. Das hält ja niemand lange aus. Aber irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass da noch etwas anderes ist.

      In Moers werden wir herzlich begrüßt. Das Motto des Abends ist „literarisch verzapft“, und es wundert mich nicht sonderlich, dass man uns für den Auftritt hinter einen Tresen stellen will. Christoph kommt gerade noch rechtzeitig und hat Christofer Heimeroth, den Keeper von Borussia Mönchengladbach, unseren heutigen Gast, mit im Gepäck. Der Lange macht auf den ersten Blick einen überaus sympathischen Eindruck. Nur diese riesige Uhr an seinem rechten Handgelenk irritiert mich. Hatte ich vor ein paar Tagen bei mehreren Bundesligaprofis gleichzeitig entdeckt. Muss was mit dem Beruf zu tun haben. Oder ein Werbegeschenk der DFL sein. Wundern würde es mich nicht. Mal drauf achten, ob Udo Lattek beim nächsten Doppelpass im DSF auch auf so ein Ding starrt, um die endlos langen Minuten bis zum Abschlussbierchen zu zählen.

      Christoph wirkt im Gegensatz zu mir wie das blühende Leben. Wie der das wohl macht? „Na, ihr beiden“, begrüßt er Nadine und mich freudestrahlend mit einer Umarmung, „habt ihr euch auch einen richtig schönen Hochzeitstag gemacht?“ Ich merke, wie mir augenblicklich die Farbe aus dem Gesicht weicht und meine letzten Funken Energien irgendwo im Raum verpuffen. Wie konnte ich den nur vergessen? Ich bin ausgelöscht. Auf ewig verdammt. Nie wieder wird auch nur das sanfteste Glücksgefühl meinen Körper durchströmen.

      Schon am Boden liegend, spüre ich noch einen kräftigen Fußtritt in die Magengegend. Nadine straft mich mit einem eis kalten Blick ab. Es rettet mich einzig und allein die Begrüßungsansprache des Veranstalters. Wir müssen hinter den Tresen. Und ich muss schauen, wie ich aus dieser Situation irgendwie herauskomme.

      „Herzlich willkommen zu Scudetto an diesem für uns alle so besonderen Tag. Sie haben einfach mir nichts, dir nichts den Tatort am Sonntag sausen lassen, und meine charmante Ehegattin hat sich bis jetzt gedulden müssen. Wir haben nämlich heute Hochzeitstag. Und da wollte ich dir natürlich sagen, mein Hase, – vor aller Ohren – wie lieb ich dich habe.“ Die ältere Dame links am Tresen lächelt mir aufmunternd zu. Sie scheint mir mit ihren funkelnden Augen sagen zu wollen: Nur jetzt nicht aufhören. Einen musst du noch oben drauf setzen. Dann hast du sie!

      „Und wenn wir die nächsten fünfzig Hochzeitstage hier in Moers mit Christoph und Christofer und mit diesem fantastischen Publikum gemeinsam verbringen dürften, dann wäre ich der glücklichste Mann auf Erden.“ Der aufdonnernde Applaus und die kräftige Torhüterpranke von Christofer Heimeroth auf meiner Schulter zaubern ein Lächeln in mein Gesicht. All die Energien, die ich auf ewig verloren glaubte, dringen mit einem Schlag zurück in meinen Körper. Gestärkt und voller Zuversicht schaue ich hinüber zu Nadine. Sie steht an eine Wand gelehnt und versucht vergeblich die Hände auszuschlagen, die ihr zu solch einem großartigen Ehemann gratulieren wollen. Schnell wende ich den Blick von ihr ab. The Show must go on.

      In der Halbzeit belagern zwei Gladbach-Fans Christofer und weichen ihm nicht mehr von der Seite. Auch dann noch nicht, als wir die zweite Hälfte beginnen wollen. Nach mehreren ergebnislosen Anläufen und verzweifelten Hilferufen von Christofer stelle ich mich hinter den Gladbacher Keeper und lausche dem Gespräch.

      „Ey, Christofer, wir steigen doch auf, oder?“

      „Tja, das ist nicht so einfach. Wir haben noch …“

      „Wir steigen doch auf, Christofer?!“

      „Ich kann euch versichern, dass wir in jedem …“

      „Christofer, wir steigen auf, oder?!“

      „Naja, wir müssen erst einmal gucken, dass wir nächste …“

      Es ist nicht zum Aushalten. Ich nehme Christofer ein Stück beiseite und flüstere ihm ins Ohr: „Sag ja. Sag bitte einfach nur ja.“

      „Ey, Christofer, wir steigen auf, oder?“

      Christofer schaut zu mir herüber. Er wirkt verunsichert. Ich nicke ihm aufmunternd zu. Und dann tut er’s: „Ja, klar!“

      Die beiden Gladbacher ballen die Fäuste, klopfen ihrem Idol auf den Rücken und drehen dann freudestrahlend ab: „Siehste, habe ich dir doch gleich gesagt: Wir steigen dieses Jahr auf. Meint der Christofer auch!“

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       Der bärtige Superman aus Uerdingen

      Ich kann nicht. Noch nicht. Neben mir drängt sich ein älterer Mann mit Schnauzer und hochrotem Kopf in die Reihe der konzentriert vor sich hinstarrenden Männer. Er hat die Hände flehend vors Gesicht gehalten und jubiliert grinsend: „Ich hab’s gewusst. Das ist mein Glückstag. Das ist Gott verdammt noch mal mein Glückstag!“ Seine strahlenden Augen blicken auf das Werbeplakat eines Herstellers für Pyroartikel. „Think pink“ steht da in grellen Lettern drauf geschrieben, doch das Dauergrinsen kommt wohl eher von der dickbusigen Blondine im strammen Bikinioberteil, die neunzig Prozent der Fläche des Plakats mit ihrer riesigen Oberweite bedeckt. Die Ablenkung tut gut. Mit einem leichten Pressen drücke ich die ersten Tropfen heraus und betrachte nun mit deutlich mehr Wohlwollen die absurden Handlungen des Mittfünfzigers neben mir.

      Natürlich läuft es bei ihm sofort. In einem kräftigen Schwall dampft die durchsichtige Flüssigkeit in die silberne Pissrinne. Mittlerweile dreht der Glückskeks des Tages seinen Kopf mit raushängender Zunge und irrem Blick immer näher an das Plakat heran. „Komm, leck sie schon ab, die geile Sau und dann mach fertig“, ruft sein Hintermann, der vorsorglich den Hosenstall schon einmal geöffnet hat und leicht in die Hocke gegangen ist. „Sind ja nicht wegen der Weiber hier“, legt er noch nach und sackt wie zur Bestätigung ein lang gezogenes V-f-L von der gegenüberliegenden Seite ein.

      Das war letzte Woche Freitag. Heimspiel gegen Eintracht Frankfurt. Heute ist Montag, ich sitze am Rechner und schaue Videos bei youtube durch. Und da ist er auch schon: der Fund des Tages. Der bärtigste Trainer der Liga, Friedhelm Funkel, als Superman. Strenger Scheitel, und die Hoden unter den roten Shorts eng zusammengedrückt. Für einen Klassiker der Kinospotwerbung hat der damals frisch umbenannte Verein KFC Uerdingen (vor mals Bayer)