Fußball ist nicht das Wichtigste im Leben – es ist das Einzige. Ben Redelings

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Название Fußball ist nicht das Wichtigste im Leben – es ist das Einzige
Автор произведения Ben Redelings
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783895336607



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Mädels sind dagegen gut gelaunt. Sie haben sich mit einer Flasche Prosecco schon in Stimmung gebracht. Prosecco! Allein das Wort bringt mich im Umfeld eines Stadions schon auf die Palme. Nadine ist die Lage offensichtlich nicht ganz geheuer. Sie weiß mittlerweile ziemlich genau, dass ich beim Fußball die eigene Frau nicht dabei haben will. Die sonst übliche herzliche Begrüßung fällt deshalb aus.

      Ich schnauze währenddessen lieber Gerry an: „Klasse Aktion, Junge! Und beim nächsten Mal machen wir uns dann vorher noch Lunchpakete mit Lachshäppchen und Champagner mit Strohhalmen fertig. Oder sollen wir uns doch lieber gleich VIP-Karten holen und uns fein machen? Die Mädels in ihren schönsten Kleidchen und wir ganz leger in Anzug und Krawatte? Wenn nur dieses blöde Gekicke zwischendurch nicht wäre, was?!“ Gerry versucht ein gequältes Lächeln hinzubekommen, was ihm aber nur ansatzweise gelingt. Schließlich schaut er mich nur noch betroffen an. Ihm sind die Worte ausgegangen. Irgendwie verständlich. Mache ich mich doch gerade vor aller Augen und Ohren zum Oberaffen.

      Aus der Ferne trottet Wolle wie üblich gemächlich heran. Er findet es erwartungsgemäß überhaupt nicht schlimm, dass die Mädels dabei sind. Kein Wunder. Seine Freundin würde im Leben nicht auf die Idee kommen, mit ins Stadion zu gehen. Gerry hat zur Sicherheit erst gar keine. Nur ich mache jetzt aus dem letzten Rückzugsgebiet eines Mannes eine Partnerveranstaltung mit Händchenhalten und leidenschaftlichen Zungenküssen während der Halbzeitpause. Ich fühle mich seltsam unwohl in meiner Haut.

      Erst einmal brauche ich jetzt ein Bier. Seitdem wir in Bochum vor Jahren einen neuen Gastroservice im Stadion bekommen haben, sehe ich die urdeutsche Institution des Eichstrichs mit völlig neuen Augen. Wie immer bin ich genötigt, die nette Dame hinter der Theke darauf hinzuweisen, dass der liebe Gott diesen Strich nicht umsonst am oberen Ende des Plastikbechers gemacht habe. Heute vergesse ich allerdings beim Beanstanden des gerade einmal zu Zweidritteln gefüllten Bieres für einen Moment meine freundlichen Umgangsformen: „Kannst du mich nicht einmal überraschen und den scheiß Becher so weit mit Bier auffüllen, wie es vorgeschrieben wäre, obwohl dein Chef dir gesagt hat, dass man den asozialen Fußballprolls für schlappe 3,20 Euro das Ding nicht bis obenhin vollmachen muss, weil die, besoffen wie die sind, das sowieso nicht merken?!“

      Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie die anderen beschämt hinter mir zur Seite rücken. Ich sollte mich wohl besser ein bisschen zusammenreißen. Andernfalls könnte es sein, dass ich nach den neunzig Minuten nicht nur keine Freunde mehr habe, sondern auch meine Ehefrau aus der gemeinsamen Wohnung auszieht, den Fernseher mitnimmt und mich und meinen Fußball allein zurücklässt. Ups. Der letzte Teil des Satzes ist bei näherer Betrachtung gefährlich. Wird Zeit, dass das Spiel endlich beginnt.

      Auf dem Rasen passiert nicht viel. Ich kann in Ruhe zu Nadine und den Mädels runterschauen. Sie haben sich vier Reihen unter uns gestellt. Das entspannt zwar für den Moment die Lage, macht mir aber auch zugleich ein schlechtes Gewissen. Ich hasse das. Da geht man extra ins Stadion, um für neunzig Minuten den Kopf auszuschalten, und nun hat man plötzlich zu den sonst sowieso schon existierenden Problemen noch einen Haufen neue dazu bekommen. Riesig. Dabei finde ich gerade klasse, wie sich die Alltagsprobleme beim Fußball so wunderbar reduzieren. Normalerweise sind im Stadion nur drei Dinge wichtig: Erstens, habe ich noch ausreichend Bier im Becher? Zweitens, wann haut meine Mannschaft dem gegnerischen Team endlich einen rein? Und drittens, kann ich den fürchterlichen Harndrang, der mir langsam, aber sicher Bauchschmerzen bereitet, wenigstens bis zur Pause aushalten?

      Das Spiel plätschert dahin. Meine Stimmung wäre sicher noch schlechter, wenn die Jungs nicht so begeistert von meiner Wette wären. Alle halten mich zwar für bekloppt, aber es erhöht in jedem Fall die Spannung. Ich habe natürlich versprochen, dass ich 80 Prozent des Gewinns für eine gute Sache spende. Jenne, mein langjähriger Stehplatznachbar, hat daraufhin schon einmal ausgerechnet, wie viele Pils das im Schnitt für jeden wären.

      Und tatsächlich. Marcel Maltritz fasst sich ein Herz. Doch er ballert den Ball mehrere Meter am Tor vorbei. Das war es auch schon in der ersten Hälfte. Wette und fünf Euro verloren.

      Eigentlich müsste ich pinkeln, aber dazu habe ich jetzt keine Lust. Die Mädels gehen runter und verpassen so das nervige Gehüpfe der Cheerleaderinnen. Da man aus der Entfernung sowieso nicht erkennen kann, ob die Hupfdohlen wenigstens gut aussehen, machen wir ab und zu ein paar typisch männliche Späße. Doch heute verspüre ich noch nicht einmal den Drang, ein langgezogenes „Ausziehen“ zu rufen. An anderen Tagen kann ich mich wahnsinnig für die Reaktionen um uns herum begeistern. Denn wenn jemand über diesen völlig ausgenudelten Scherz noch lacht, dann kann man sicher sein, er hat keine Freunde. Hat man so einen dann entdeckt, muss man vorsichtig sein und nicht zu lange hinübergucken. Die Sorte Mensch kennt nämlich gar nichts. Die bringen es fertig und stellen sich, ehe man bis drei zählen kann, neben einen. Und dann labern sie dich von der Seite voll, in einer Art, als ob man sich schon ganz, ganz lange kennen würde. Nur dass sie dabei so viel Mist reden, dass man am liebsten im Erdboden verschwinden möchte. In so einem Fall weichen dann auch die eigenen Freunde von deiner Seite. Mache ich ebenfalls so. Ist die einzig richtige Reaktion. Denn ein falscher Blick, und diese Typen drehen den Kopf zu dir hin und fangen an, dich vollzusülzen. Heute kann mir das allerdings nicht passieren. Meine Aura sendet gefährlich negative Schwingungen aus.

      Als endlich das 1:0 für unseren VfL fällt, ist es um mich geschehen. Alle Sorgen und Nöte fallen von meinen hängenden Schultern herab. Die untergegangene Sonne brennt wieder vom Himmel, und die göttlichen Geigen spielen in meinem Kopf ein atemberaubend schönes Lied: „Schalalalaaa. Schalalalalalalaa ….“. Ich stürze im Taumel die Treppenstufen hinab und gebe Nadine einen fetten Schmatzer auf ihren glücklich strahlenden Mund. Im selben Moment renne ich wieder hinauf und klatsche die Jungs, einen nach dem anderen, ab. Spitzenreiter, Spitzenreiter. Hey, hey!

      Im Tennisklub ist bereits kein Durchkommen mehr. Doch nach endlos langen Minuten habe ich mich schließlich durch die jubelnde Masse gekämpft. Ich stehe am Pissoir und lasse entspannt das Wasser laufen. Neben mir furzt ein Mittfünfziger dreimal hintereinander. Laut und deutlich. Doch der letzte hört sich nicht gut an. Das denkt offensichtlich auch der Mann in der Einzelkabine hinter uns: „Ich will ja keinen Keil in die allgemeine Jubelstimmung treiben, aber für mich klang das eindeutig danach, als ob da Land mitgekommen ist, oder?“ Nach einem kurzen Moment des Innehaltens erntet der Sitzenpinkler schallendes Gelächter für seine Analyse. Ein von hinten Nachdrängender setzt mit einem Schalker Evergreen überschwänglich noch einen drauf: „Ein Leben lang, dieselbe Unterhose an. Blau und weiß ein Leben lang!“ Ich versuche mich singend zum Waschbecken durchzukämpfen, gebe aber nach ein paar Zentimetern des Vorwärtskommens ohne schlechtes Gewissen auf.

      An der Theke krame ich einen Zehn-Euro-Schein aus der Tasche und frage wie früher beim Klümpchenkaufen: „Wie viel Bier bekomme ich dafür?“ Die Bedienung schiebt mir fünf prall gefüllte Gläser herüber und lässt mich ratlos zurück. Wie soll ich die durch die drängelnde und schiebende Masse zu den anderen hinüber transportieren? Mir bleibt nichts anderes übrig, als jeweils einen Finger im Bier zu versenken. Ist zwar unappetitlich, aber sonst bekomme ich sie nicht richtig zu packen. Der Alkohol wird schon dafür sorgen, dass Keime und Bakterien rundum abgetötet werden. Trotzdem kein schöner Gedanke.

      Nadine und Goosen sitzen auf einer Parkbank etwas abseits. Ich reiche ihnen ein Bier. Jetzt haben sie jeder drei. Nach Siegen ist es immer dasselbe. Jeder geht eine Runde holen. Und dann wird getrunken, was vor einem steht. Man will ja schließlich niemanden beleidigen. Und so trinken alle in viel zu kurzer Zeit viel zu viel und sind am Ende randvoll. Gott sei Dank sind wir nicht Fans vom FC Bayern. Die Betty-Ford-Klinik hätte Hochbetrieb.

      Der Strom der Stadionbesucher, die in den Tennisklub wollen, reißt immer noch nicht ab. Ein paar Meter über unseren Köpfen geht ein schmaler Schotterweg entlang. Wir unterhalten uns gerade angeregt, als sich plötzlich ein riesiger Schwall Bier auf unsere Haare und in unsere Nacken ergießt. Goosen springt sofort auf. Er ist stinksauer. Wütend schreit er hinauf zum Schotterweg: „Zeig dich, du Blödmann! Oder bist du ein Schalker?“ Total überrascht gibt sich der Übeltäter im hellen Licht einer Laterne zu erkennen: „Woher weißt du das denn?“