Krumholz. Flavio Steimann

Читать онлайн.
Название Krumholz
Автор произведения Flavio Steimann
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783960542483



Скачать книгу

immer der Mann ackert, geht die frische Saat nicht auf, die junge Frucht des Winterweizens verfault in einem braunen Sumpf. Hat er das Wenige, das nicht verdorben ist, mit Mühe in den Sommer gebracht, fällt es den Hagelzügen zum Opfer und liegt zerfetzt am Boden. Im Stall ist kein Glück, ein Kalb nach dem andern liegt, wenn er am Morgen zum Melken kommt, steif im Stroh, der einst ruhige Mann ist nicht mehr zu erkennen, er flucht, ist laut und tritt die Tiere in die Flanken. Wohl singt er noch, weil sie ihn drängen, freudlos mit einem brüchigen Bass im Männerchor und bläst in der Feldmusik, die schwarze Trauerbinde am Ärmel der Uniform, mehr schlecht als recht das Bügelhorn, aber er tut es wider seinen Willen, es fehlt ihm an Zuversicht und Lebensmut. Die Nächte schlingen ihn in schwere, schwarze Tücher, aus denen er auch in der Tageshelle nicht mehr findet, die Leute sehen ihn, seit er die Frau verloren hat, stets häufiger inmitten einer Arbeit unversehens stehen bleiben. Er schaut, will ihnen scheinen, mit matten Augen durch alle Dinge und auch die Menschen hindurch in eine unsichtbare Ferne, und in der Tat hängt eine Müdigkeit, kaum, dass er sich in der Früh auf die Beine gezwungen hat, an ihm wie ein bleierner Mantel und zieht ihn mehr und mehr zu Boden und in dunkle Tiefen.

      Das hustende Kind mit seinem schweren Atem, auch wenn es ihm nichts tut, steht stets und überall im Weg und wird, weil es mit seinem ins Rötliche fallenden Haar und den gebleichten borstigen Wimpern der schwächlichen Mutter zu gleichen beginnt, ein Schmerz und eine fortdauernde quälende Erinnerung.

      Als unverhofft das erste Rind nicht mehr frisst, ist es zunächst ein bloßer Schreck.

      Dann aber wird die angstvolle Vermutung zur Gewissheit – die Seuche bricht aus. Einem Tier nach dem anderen faulen die Klauen, am Kiefer sind Wunden, das Flotzmaul häutet sich und reißt, das Fleisch hängt in blutigen Fetzen um die Zähne.

      Der Amtstierarzt, den er hat rufen müssen, kommt mit einem Trupp junger Veterinäre; sie tragen lange Schürzen aus Gummituch und Handschuhe bis zum Oberarm. Tier für Tier holen sie aus dem Stall und drängen es, aller Widerwehr zum Trotz, mit Stecken und Stacheln über die Rampe in die wartenden Wagen. Kaum ist der letzte abgefahren, werden eiserne Fässer herangerollt. Die jungen Tierärzte in ihren hüfthohen Watstiefeln ziehen sich Rüsselmasken mit runden Augengläsern über. Mit Pumpen, die an ihrem Rücken hängen, gehen sie daran, in den Ställen alles mit einem grünlichen, streng nach Chlor riechenden Gift einzunässen, bis Barren und Ketten triefen.

      Der Klausert hockt in der dunklen Küche beim Schnaps, derweil im Schlachthaus sein Viehstand abgetan wird; die nächsten Tage spricht er nur noch wenig und dann überhaupt nicht mehr.

      Sein Hof ist ein Geisterort geworden, die Türen zu allen Ställen stehen sperrangelweit offen, nachts kommen die Füchse und strolchen durch alle Räume, der Garten verwuchert, die Felder verganden.

      Die drohende Gant, bei der das ganze Hab und Gut bis zur letzten Gabel unter den Hammer kommt, macht ihm Sorgen und drückt ihn von Tag zu Tag wie eine Zentnerlast mehr und mehr zu Boden.

      Weil nach jedem strengen Winter das Gras wieder wächst, fasst sich der Klausert doch noch ein Herz. Da sie ihm zugeredet haben, will er, sobald es ans Pflügen geht, seine Brachen wieder nutzen und den Nachbarn mit seinen verbliebenen zwei alten Gäulen zur Hand gehen.

      Noch einmal denkt er daran, vielleicht Geld aufzunehmen und Vieh zu kaufen, aber der Verwalter der Darlehenskasse will zuerst mit dem Direktor Rücksprache nehmen; man wird ihm den Bescheid mitteilen.

      In einem Brief.

      Zu Lichtmess, nachdem sie wieder für ein Jahr gedungen sind, feiern Mägde und Knechte den besonderen Tag im Wirtshaus beim Tanz. Man hat Speck gegessen und Würste; zu Beginn des Bauernjahres müssen die Reste der Löhnung noch ausgegeben werden und die geschenkten neuen Schuhe eingetragen. Ein frohes und ausgelassenes Fest ist im Gang.

      Erst als die Kapelle – Mitternacht ist längst vorbei – nach dem letzten Schottisch die Instrumente auf den Bühnenboden legt und jemand im dickdünstigen Menschendampf des kleinen Saals für frische Luft die Fenster öffnet, hört man das Feuerhorn und das Sturmgeläut der Kirchenglocken. Auf der Fluckern stehen Haus und Scheune in Flammen.

      Die Männer aus dem Dorf und von den Höfen, aufgeschreckt aus dem Schlaf und die meisten mit dem Nachthemd in die Stallhosen gestopft, haben kaum Zeit gefunden, den breiten Gurt mit dem Karabinerhaken und den Helm aus der Kammer zu holen. Sie sind, so schnell sie konnten, zum Spritzenhaus gerannt, wo im Turm die Schläuche hängen und die Eimer gestapelt sind.

      Mit scheuenden Pferden, die auf dem zugeschneiten Fahrweg immer wieder ausgleiten, bringen sie die Handdruckspritze hinauf zum Unglückshof und schlagen mit Pickeln Löcher in den felsenhart gefrorenen Bach und durch das dicke Eis des Weihers. Das bisschen Wasser, das sie mit dem Saugschlauch und den rinnenden Kübeln zusammenbringen, reicht nirgendwo hin, aus dem Wendrohr kommt der Strahl nicht stärker als aus der Röhre eines Brunnens.

      Aber es gibt, das kann jeder sehen, ohnehin nichts mehr zu löschen, die Flammen, die den goldenen Kamm auf dem Helm des verzweifelten Kommandanten hell aufstrahlen lassen und ihm schon von weitem die Gesichtshaut spannen, sind auf keine Weise mehr zu bändigen; alle wissen, dass es ein lächerliches Tun ist, wenn sie mit Schaufeln klumpenweise zusammengekratzten Schnee in die Brunst werfen; vom Wohnhaus steht nur noch das Gemäuer mit dem Aufgang aus Sandstein, die Scheune ist längst ein rot glimmendes Skelett, von dem die Ziegelscherben wie glühende Geschosse durch den Qualm in den erhellten Himmel stieben. Bevor das große Dach funkensprühend mit einem wuchtigen Grollen dumpf in sich zusammenfällt, sehen sie den Klausert mit geschmolzenen Stiefeln wie eine verkohlte Puppe am stählernen Schleppseil der Winde unter der Pfette hängen und sich im Wirbel der heißen Gase langsam drehen.

      Die ganze Nacht hindurch suchen sie in den feuerheißen Trümmern nach dem Kind.

      Ein kleiner Trupp hat sich im Hofbrunnen getränkte Säcke um die Schuhe gebunden und das Gesicht mit nassen Taschentüchern geschützt. Mit dem wenigen, das sie noch unversehrt vorfinden, einer rostigen Stange, einer Wagendeichsel, einem Bindbaum, stochern sie im fahlen Schein der Laternen und Karbidlampen in allen Winkeln und Löchern, in den Nischen und eingefallenen Gewölben.

      Wenn einer auf etwas Weiches stößt, stockt ihm das Herz – aber wenn sie nachschauen, ist es ein Bündel gerollter Säcke oder eine versengte Pferdedecke, dann der Schaft eines mit Wasser gefüllten Stiefels.

      Von Glutnestern züngeln unversehens Flammen, Rauch quillt erneut aus verdeckten Glimmstellen, man dreht jedes schwere Mauerstück und hebt alle ausgeglühten Eisenträger, aber auch nach Stunden finden sie den kleinen Körper nicht.

      Der Morgen ist gespenstisch. Schläuche, Eimer und Geräte liegen verstreut zwischen Scherben, verkohlten Hölzern und Ziegelsteinen. Auf dem Brandplatz ist in der Luft eine Wärme wie im frühen Sommer. Die müden Männer, schwarz im Gesicht vom Ruß und mit brennenden Augen, hocken, statt in die Kirche zum Blasiussegen zu gehen, auf Kisten und Eimern im zerstampften Gras und trinken schweigend den Schnapskaffee, den sie vom Nachbarhof gebracht haben. Die Helme mit den zwei Äxten und dem Kreuz auf der Kokarde haben alle abgenommen und auf einem Planenstück zu einem Ries gelegt.

      Aus dem Nebel, der vom Tal her zieht, fällt mit einemmal ein Morgenlicht, nicht gleißend, nicht blendend, aber doch ein Aufleuchten ist es, ein Scheinen, fremdartig und unwirklich, als käme es nicht von der Sonne. Am schweigsamsten von allen ist der alte Wasenmeister, der etwas abseits alleine auf einem Kübel hockt. Im Schutz der Dunkelheit wird er den Selbstmörder Klausert für seinen Frevel büßen lassen und ohne Totenmesse beim kleinen Gehölz hinter der Friedhofsmauer verscharren müssen, außerhalb der geweihten Erde, mit dem Gesicht nach unten und als Bann mit einem großen Eisen beschwert.

      Dann findet einer, als sie die nassen Schläuche rollen und die Hoffnung beim weiteren Suchen längst aufgegeben haben, hinter einer Wegkurve das Kind verschreckt aber unversehrt im kleinen Chaisenwagen, den der Klausert vor seiner Tat spätnachts mit aufgespanntem Verdeck geschützt vor dem Feuer ins feuchte Mergelloch gestellt hat. Eingepackt in einen umgeschlagenen Soldatenmantel und dick in wollene Decken gehüllt hat es auf dem knopfgesteppten Lederpolster die ganze Zeit geschlafen.

      Noch einmal kommt es, mittlerweile Waise, für kurze