Die Erde. Emile Zola

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Название Die Erde
Автор произведения Emile Zola
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726683325



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fuhr er fort:

      „Und außerdem, geziemt sich denn das, heilige Handlungen mit einer Jugend, die keine Achtung vor den Geboten Gottes hat?“

      „Sie sagen das doch hoffentlich nicht wegen meiner Tochter?“ fragte Cœlina mit zusammengebissenen Zähnen.

      „Wegen meiner doch sicherlich auch nicht?“ fügte Flore hinzu.

      Da brauste er auf, weil ihm das zuviel war:

      „Ich sag das wegen der ich das sagen muß ... Das springt einem ja in die Augen. Seht euch so was an mit weißen Kleidern! Ich habe hier nicht eine Prozession, ohne daß eine Schwangere dabei ist ... Nein, nein, ihr würdet dem lieben Gott selber auf die Nerven fallen!“

      Er ließ sie stehen, und die Bécu, die stumm geblieben war, mußte zwischen den beiden Müttern Frieden stiften, die sich aufgeregt ihre Töchter vorwarfen; aber sie stiftete Frieden mit so hämischen Andeutungen, daß sich der Streit verschlimmerte. Berthe, ah, ja, man würde schon sehen, wie das ausging mit ihren Samtblusen und ihrem Klavier! Und Suzanne, famose Idee, sie zur Schneiderin nach Châteaudun zu schicken, damit sie sich umlegen lasse!

      Endlich frei, schoß Abbé Godard davon; da sah er sich der Familie Charles gegenüber. Sein Gesicht erstrahlte in einem breiten freundlichen Lächeln, er schwenkte weit seinen Dreispitz. Majestätisch grüßte der Herr, Madame machte ihre schöne Verneigung. Aber es war vorherbestimmt, daß der Pfarrer nicht fortkommen sollte, denn er war noch nicht am Ende des Platzes, als ihn eine neue Begegnung aufhielt. Eine große Frau von einigen dreißig Jahren war es, die wie gut fünfzig wirkte, mit spärlichen Haaren, ausdruckslosem, weichem, kleiegelbem Gesicht; und zerschlagen, ausgepumpt von zu schweren Arbeiten, schwankte sie unter einem Bündel Kleinholz.

      „Palmyre“, fragte er, „warum seid Ihr nicht zur Messe gekommen an einem Tag wie Allerheiligen? Das ist sehr schlecht.“

      Sie stöhnte auf:

      „Sicherlich, Herr Pfarrer, aber wie soll ich das anstellen? – Mein Bruder friert, wir erfrieren zu Hause. Da bin ich losgegangen, um das hier an den Hecken aufzulesen.“

      „Die Große ist also immer noch so hart?“

      „Ach ja! Sie würde lieber verrecken, als uns ein Brot oder ein Scheit Holz hinzuwerfen.“ Und mit ihrer jammernden Stimme erzählte sie wieder einmal ihre Geschichte, wie ihre Großmutter sie beide fortgejagt, wie sie sich mit ihrem Bruder in einem verlassenen früheren Pferdestall hatte einqartieren müssen. Dieser krummbeinige, arme Hilarion hatte einen durch eine Hasenscharte verzerrten Mund und war trotz seiner vierundzwanzig Jahre so dumm, so einfältig, daß niemand ihm Arbeit geben wollte. Sie arbeitete also für ihn, arbeitete sich zu Tode, sie brachte für diesen Blödling eine leidenschaftliche Fürsorge, eine heldenhafte Mutterzärtlichkeit auf.

      Während Abbé Godard ihr zuhörte, wurde sein dickes und schwitzendes Gesicht von ungewöhnlicher Güte verklärt, seine Zornesäuglein verschönten sich vor Mildtätigkeit, sein großer Mund zeigte eine schmerzensvolle Huld. Der furchtbare Wüterich, der stets mit einem Windesungestüm aufbrauste, war den Elenden leidenschaftlich zugetan, gab ihnen alles, sein Geld, seine Wäsche, seine Anzüge, so daß man in der Beauce nicht einen Priester gefunden hätte, dessen Soutane verschossener und geflickter war. Mit besorgter Miene durchwühlte er seine Taschen, er steckte Palmyre ein Hundertsousstück zu.

      „Da! Versteckt das, ich habe nichts mehr für andere ... Und ich muß noch mal mit der Großen sprechen, da sie so schlecht ist.“ Diesmal enteilte er. Als ihm beim Wiederhinaufsteigen des Hanges auf der anderen Seite des Aigre die Luft wegblieb, nahm ihn glücklicherweise der Fleischer aus Bazoches-le-Doyen, der nach Hause fuhr, in seinem Wägelchen mit; und dicht über der Ebene hin und her geschüttelt, verschwand er mit dem tanzenden Schattenriß seines Dreispitzes, der sich gegen den fahlen Himmel abzeichnete.

      Während dieser Zeit hatte sich der Platz vor der Kirche geleert, Fouan und Rose waren soeben zu sich nach Hause hinuntergegangen, wo sich bereits Grosbois befand. Kurz vor zehn Uhr trafen dann auch Delhomme und Jesus Christus ein; aber auf Geierkopf wartete man vergeblich bis Mittag, niemals konnte dieser verdammte Eigenbrötler pünktlich sein. Zweifellos hatte er unterwegs haltgemacht, um irgendwo zu Mittag zu essen. Man wollte sich darüber hinwegsetzen; dann bewirkte die dumpfe Angst, die er mit seinem Dickkopf einflößte, daß beschlossen wurde, die Auslosung erst nach dem Mittagessen, gegen zwei Uhr, vorzunehmen. Grosbois, der von den Fouans ein Stück Speck und ein Glas Wein annahm, trank die Flasche aus, riß eine andere an, war in seinen üblichen Rauschzustand zurückgefallen.

      Um zwei Uhr noch immer kein Geierkopf. Da ging Jesus Christus in dem Bedürfnis nach Fressen und Saufen, das das Dorf an diesem Feiertagssonntag schlapp werden ließ, bei Macqueron vorbei und machte einen langen Hals; und das hatte Erfolg, die Tür wurde jäh aufgestoßen, Bécu zeigte sich und schrie:

      „Komm, Sauhaufen, damit ich dir einen Schoppen spendiere!“ Er war noch steifer geworden, war um so würdevoller, je mehr er sich betrank. Für den Wilddieb hegte er die brüderlichen Gefühle eines ehemaligen Militärsaufsacks und eine geheime Zärtlichkeit; aber er kannte ihn nicht, wenn er im Amt war und sein Schild am Jackenärmel hatte, immer drauf und dran, ihn auf frischer Tat zu ertappen, so daß er zwischen seiner Pflicht und seinem Herzen hin und her gerissen wurde. In der Schenke hielt er ihn brüderlich frei, sobald er besoffen war. „Eine Partie Pikett, he, willst du? Und zum Himmeldonnerwetter, wenn die Beduinen uns dumm kommen, schneiden wir ihnen die Ohren ab.“

      Sie ließen sich an einem Tisch nieder, spielten laut schreiend Karten, während die Literflaschen eine nach der anderen leergetrunken wurden.

      Macqueron mit seinem dicken schnurrbärtigen Gesicht drehte, in einer Ecke zusammengesackt, die Daumen. Seit er durch seine Spekulation mit den geringen Weinen aus Montigny ein Vermögen verdient hatte, das Jahreszinsen abwarf, war er der Faulheit verfallen, jagte, fischte, spielte den Bürger; und er blieb sehr dreckig, in Lumpen gekleidet, während seine Tochter Berthe rings um ihn überall Seidenkleider herumschleppte. Wenn seine Frau auf ihn gehört hätte, hätten sie den Laden und die Krämerei und die Schenke zugemacht, denn er wurde eingebildet bei seinen noch unbewußten, dumpfen ehrgeizigen Neigungen; aber seine Frau war von einer wilden Gewinngier, und er selber ließ sie, während er sich mit nichts beschäftigte, weiterhin Schoppen ausschenken, um seinen Nachbarn Lengaigne zu ärgern, der den Tabakladen hatte und ebenfalls Getränke anbot. Das war eine alte Nebenbuhlerschaft, die niemals erloschen und immer drauf und dran war, neu aufzuflammen. Allerdings gab es Wochen, in denen man in Frieden lebte; und gerade kam Lengaigne mit seinem Sohn Victor herein, einem großen linkischen Burschen, der bald sein Los ziehen mußte. Lengaigne selber, der sehr lang war, steif aussah und auf breiten, knochigen Schultern einen kleinen Eulenkopf hatte, bestellte seine Äcker, während seine Frau den Tabak abwog und den Wein aus dem Keller holte. Was ihm Ansehen verschaffte, war der Umstand, daß er das Dorf rasierte und allen die Haare schnitt, ein vom Kommiß mitgebrachter Beruf, den er inmitten der Gäste oder in der Wohnung ausübte, wie seine Kunden es wünschten.

      „Na, wie ist’s mit dem Bart, paßt es heute, Gevatter?“ fragte er gleich an der Tür.

      „Richtig, stimmt, ich hab dir gesagt, du sollst kommen“, rief Macqueron aus. „Ja natürlich, sofort, wenn’s dir beliebt.“

      Er hakte ein altes Barbierbecken von der Wand, nahm ein Stück Seife und laues Wasser, während der andere ein Rasiermesser, das so groß wie ein Hirschfänger war, aus seiner Tasche holte und es auf einem am Etui angebrachten Leder abzuziehen begann. Aber eine keifende Stimme kam aus dem Krämerladen nebenan.

      „Hört mal“, schrie Cœlina, „wollt ihr etwa euern Dreck da auf den Tischen machen? – Ah, nein, ich mag nicht, daß man bei mir Barthaare in den Gläsern findet!“ Das war ein Angriff auf die Sauberkeit der Schenke nebenan, wo man mehr Haare aß als man echten Wein trank, wie sie sagte.

      „Verkauf dein Salz und deinen Pfeffer und laß uns in Frieden!“ antwortete Macqueron, verärgert über diese Zurechtweisung vor allen Leuten.

      Jesus Christus und Bécu grinsten. Abgeblitzt, die bessere Hälfte! Und sie bestellten einen neuen Liter bei ihr, den sie wütend und ohne ein Wort brachte.