Operation Rhino. Lauren St John

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Название Operation Rhino
Автор произведения Lauren St John
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783772543456



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ihr Ben und seine Eltern noch eine neue Jeans geschenkt, die sie dringend brauchte.

      Aber für Martine ging wirklich nichts über den Anblick von Bens Gesicht, als Shiloh am Weihnachtsmorgen die Auffahrt hochgetänzelt kam. Obwohl er gerade erst vor wenigen Monaten das Reiten gelernt hatte, war er der geborene Reiter. Pferde reagierten auf ihn wie Wildtiere auf Martine – als ob sie beide dieselbe Sprache sprächen.

      Shiloh sollte auf der Koppel hinter ihrem Haus leben, und das bedeutete, dass Ben, der bei Tendai, dem Wildhüter von Sawubona, das Fährtenlesen erlernte, noch mehr Zeit im Reservat verbringen würde, als er das ohnehin schon tat. Martine konnte es kaum erwarten, bis es so weit war. Er könnte ihr dann immer Gesellschaft leisten, wenn sie ihre weiße Giraffe Jemmy ritt. Anstatt sich wie bisher mühsam zu zweit auf Jemmy zu halten – Ben sagte immer im Spaß, er bekomme dabei Höhenangst –, wäre es ihnen möglich, Sawubona zu erkunden, wann immer sie Lust dazu hatten.

      «Das hättet ihr wohl gerne», hatte ihre Großmutter erwidert, als Martine den Fehler machte, ihre Gedanken laut auszusprechen. «Nur weil ihr in ein paar Wochen auf der Highschool anfangt, heißt das nicht, dass ihr über Nacht erwachsen geworden seid und überall frei im Reservat umherlaufen dürft. Keine Nachtritte, außer bei ganz besonderen Gelegenheiten! Und keine Ritte, die ihr nicht mit Tendai oder mir vorher abgesprochen habt! Nein, seht mich nicht so an. Du und Ben, ihr wisst es besser als alle anderen, dass das Wildreservat ein äußerst gefährliches Gelände sein kann.»

      Es ist auch das schönste Gelände der Welt, dachte Martine und blickte über die rosafarbenen Umrisse von Sawubona. Bei Sonnenaufgang lag ein geheimnisvoller Nebelschleier über dem fernen Wasserloch und über den Wäldern und Tälern des Reservats. Wenn die heiße zartrote Sonne am Horizont aufging, zogen die Büffel, Zebras und Kudus langsam in die Ebene. Ihnen folgten die Elefanten mit noch tropfendem Rüssel von einem frühmorgendlichen Bad.

      Zurückgezogen in den noch dunklen Höhlen des Geheimen Tals dösten die Leoparden in den Tag hinein, bis sie in der Nacht wieder auf Jagd gingen. Draußen in der Ebene ließ sich ein Rudel Löwen schwerfällig auf einer Anhöhe nieder, und mit vollen Bäuchen warteten die Tiere darauf, dass die Sonne ihnen die gelbbraunen Flanken wärmte. Martine war auf Jemmy, weil sie so hoch oben saß, vollkommen sicher – vorausgesetzt, sie fiel nicht hinunter –, aber für Ben, der auf seinem Pony ritt, sah die Sache ganz anders aus. Sie hielten sich bewusst von jener Region des Reservats fern, die Gwyn Thomas die «Fleischfresserecke» nannte, damit sie nicht versehentlich zum Frühstück verspeist wurden.

      Das Beste an der morgendlichen Wildtierparade waren die Vogelgesänge. Mehr als dreißig Vogelarten begrüßten den neuen Tag mit einem Morgenständchen. Tendai hatte Martine beigebracht, wie sie einige von ihnen erkennen konnte. Am leichtesten war das beim Weißbrauenrötel, von dem die ersten erlesenen Melodien des Morgens gegen Viertel vor fünf ertönten, aber ihre Lieblinge waren die gurrenden Tauben und die Drossel mit ihrem hohen, reinen Lied. Der Fliegenschnäpper, die Grasmücken, die Bülbüls und die Brillenvögel waren die Hintergrundsänger eines Chors, in dem die Tenöre – die Turakos und Trogons, die melodischen Würger und die pfeifenden Kuckucke – die Stars waren.

      Während Martine ihnen zuhörte, stellte sie sich vor, sie alle lieferten die Begleitmusik für ihr Rennen gegen Ben, besonders weil Jemmy begann, mit den Hufen zu scharren, voller Begierde, dem Pony hinterherzulaufen. Das ungleiche Paar hatte sich schon bei der ersten Begegnung angefreundet.

      «Jemmy, ich zähle auf dich, dass du alles gibst», rief Martine ihrer Giraffe zu. «Ich hasse nichts so sehr wie Spülen. Auf gar keinen Fall will ich da feststecken und die nächsten beiden Wochen den Abwasch machen.»

      Die Giraffe reagierte mit derartigem Eifer, dass Martine ihr die Arme um den Hals schlingen musste, um nicht hinunterzufallen.

      Als Jemmy den felsigen Abhang erreichte, wurde er langsamer und bewegte sich ungelenk. Seine langen, schlaksigen Beine tasteten zaghaft nach dem nächsten festen Stand. Martine lehnte sich zurück, um ihr Gewicht von seinen Schultern zu nehmen, und klammerte sich mit den Beinen fest. Genau wie sie vorhergesagt hatte, hatte Ben längst die tiefer gelegene Ebene erreicht. Shiloh wurde rasch schneller, und eine blasse Staubwolke stieg hinter den fliegenden Hufen der Stute auf.

      Martine konnte es kaum erwarten, ihr hinterherzujagen, aber sie wagte es nicht, Jemmy anzutreiben. Ein einziger Fehltritt hätte katastrophale Folgen haben können. Als sie die Ebene erreicht hatten, waren Ben und das Pony nur noch ein unscharfer Fleck in der Ferne.

      Jemmy war genauso scharf darauf, sie einzuholen, wie Martine. Sie brauchte kaum seine Flanken zu berühren, da schoss er los und beschleunigte von null auf fünfzig Stundenkilometer, so schnell, dass es Martine den Atem verschlug. Sie kauerte sich nach vorn wie ein Jockey und versuchte, nicht an die harte Erde zu denken, die sehr tief unter ihr nur so vorbeiflog.

      Giraffen haben lediglich zwei Gangarten – Schritt und Galopp –, und Jemmys Galopp kam Martine jedenfalls so schnell vor, als säße sie auf einem Rennpferd. Seine Riesenschritte verschlangen die Entfernung zwischen ihr und Ben. Es wurde immer schneller. Der Wind pfiff Martine um die Ohren. Es war, als ritte sie Pegasus, das geflügelte Pferd aus der griechischen Sage. Sie rauschte an einer Büffelherde vorbei. Zebras stoben auseinander. Springböcke veranstalteten gewaltige Sprünge wie in Zeitlupe.

      Ein so intensives Freiheitsgefühl durchströmte Martine, dass sie sich ganz schwindelig fühlte. Es war noch gar nicht so lange her, da hatte sie sich nicht vorstellen können, jemals wieder glücklich zu sein. Am Silvesterabend vor genau einem Jahr und einem Tag – an einem Tag, der grausamerweise zugleich ihr Geburtstag war – waren ihre Mutter und ihr Vater beim Brand ihres Hauses ums Leben gekommen. In den darauffolgenden Monaten war der Schmerz in Martines Herz so qualvoll gewesen, dass sie sich oft wünschte, sie wäre ebenfalls gestorben. Es hatte auch nicht wirklich geholfen, an das Östliche Kap von Südafrika zu einer Großmutter ziehen zu müssen, von der sie noch nie gehört hatte.

      Anfangs war Martine so einsam gewesen, dass sie sich jeden Abend in den Schlaf geweint hatte. Alles, was ihr Halt bot, waren ihre Erinnerungen gewesen.

      Jemmy zu finden und auf ihm reiten zu lernen hatte ihr das Leben gerettet. Eigentlich hatten sie sich gegenseitig gerettet, denn später hatte Martine die weiße Giraffe den Händen von Wilderern entrissen.

      Aber nicht bloß Jemmy und die Freundschaft mit Ben hatten Martine geholfen. Auch die Zeit und die Sonne hatten dazu beigetragen, dass die Wunden heilten, ebenso eine Reihe von kleinen Wundern, wie zum Beispiel die Musik von Take Flight, ihrer Lieblingsband. Leadsänger Jayden Lucas hatte seinen Vater verloren, als er ein kleiner Junge war, und wann immer Martine ihn Song for Dad singen hörte, fühlte sie sich von ihm verstanden.

      Ebenso wichtig war ihr Verhältnis zu der Mutter ihrer Mutter. Zuerst war sie kalt und streng gewesen – hauptsächlich, weil sie selbst so trauerte –, doch letztendlich hatte sich Gwyn Thomas zu der liebevollsten Großmutter entwickelt, die man sich nur wünschen konnte.

      Noch solch ein Lebensretter war Grace, Tendais Tante, eine traditionelle Zulu-Heilerin, die man als Sangoma bezeichnete. Kurz nach Martines Ankunft in Afrika hatte Grace sie darüber aufgeklärt, dass sie, Martine, eine besondere Gabe besitze. Diese Gabe hatte bereits in Martines Schicksal eingegriffen, und sie würde es in naher Zukunft weiter tun. Es war eine wunderbare Gabe, aber sie verlangte auch einen hohen Preis. Im Laufe des vergangenen Jahres hatte sie Martine und Ben, der sie bei jedem Abenteuer begleitete, Freude und Schrecken gleichermaßen gebracht.

      Als Martine jetzt über die prächtige Ebene Sawubonas raste, war sie so glücklich wie noch nie zuvor. Es würde immer eine leere Stelle in ihrem Herzen geben, dort, wo ihre Eltern gewesen waren, aber der Schmerz wurde mit jedem Tag weniger. Und mit jedem Tag wurde Martine stärker.

      «Los, Jemmy», drängte sie und griff fester in seine Mähne, «du kannst doch noch schneller.»

      Die Giraffe donnerte über die Ebene, und ihr weiß glänzendes Fell mit den Zimtflecken leuchtete in der Landschaft auf. Allmählich holten sie Ben und Shiloh ein. Bald waren sie so nah, dass sie die knatternden Hufschläge des Ponys hören konnten. Das Wasserloch kam in Sicht. Vor ihnen gabelte sich der Weg.

      Zu