Geschichtsmatura. Christian Pichler

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damit kommunizierbar zu machen.“232 Ziel von Unterricht sei ein „[…] Schärfen der ‚Sprache der Geschichte‘ […]“ im „[…] Sprechen über Geschichte […]“.233 Das betrifft alle Kompetenzbereiche des Modells.234 Für Re-Konstruktionen bedarf es zudem der Fähigkeit zur Adressatenorientierung, zur Gattungs- und Textsortensicherheit sowie zur Medienorientierung. Bei Verfahren der De-Konstruktion benötigt man das Vermögen, die Oberflächen- und Tiefenstruktur von Quellen, Darstellungen und Produkte der Geschichtskultur analytisch zu bearbeiten. Ein Schwerpunkt der „Kommunikationskompetenz“ findet sich im Bereich der „Sachkompetenz“. So fußt etwa die Begriffskompetenz auf linguistischen Konzepten (domänenspezifische Begriffslogik; Wandelbarkeit der Termini) und die Strukturierungskompetenz auf der Fähigkeit, Erzählungen sachlogisch zu gliedern. Umgesetzt werden die Fähigkeiten primär in Anwendung der Operationen der Methodenkompetenz, besonders bei Akten der Re-Konstruktion. Pandel propagiert deshalb den bewussten Aufbau von Gattungskompetenz und die Nutzung ursprünglicher Erzählformen (Nach-erzählen, Um-erzählen, rezensierendes Erzählen) als Möglichkeiten des Einübens in Sinnbildung.235 Saskia Handro macht darauf aufmerksam, dass Sprache verbinden soll, aber auch trennen kann. „Historisches Verstehen ist auf Sprache angewiesen und changiert als Denk- und Rezeptionsakt zwischen der Sprache der Vergangenheit und der Sprache der Gegenwart.“236 Das bedeutet, dass es sich bei Sprache um ein Medium handelt, das Limitationen erfährt (Sprachvermögen), das strukturiert und an Konventionen gebunden ist (kultureller Aspekt). Es gibt Gegensatzpaare, deren man sich als Lehrender bewusst sein muss (Sprache der Quellen versus Gegenwartssprache; Fachsprache in Darstellungen versus Alltagssprache). Da das Verstehen an die Sprachfähigkeit gebunden ist, kann mangelndes Sprachwissen zum Schlüsselproblem beim Kompetenzaufbau werden. Im historischen Lernen verbindet die Sprache historische Wirklichkeiten mit historischem Verstehen, die Erkenntnis mit Interpretation und formt als Resultat des Prozesses eine Erzählung. Dieser Vorgang kann nur dann stattfinden, wenn es gelingt, die Schüler*innen aus der Alltagssprache, die ihnen vertraut ist (kultureller Aspekt) schrittweise auf die Ebene der Bildungssprache zu heben und schließlich zur Fachsprache hinzuführen.237 Schöner und Mebus sprechen in diesem Zusammenhang von einem Experten-Novizen-Problem, das durch Unterricht schrittweise aufgelöst zu werden hat.238 Es muss im Unterricht darum gehen, „Sinnbildungsprodukte mit spezifischen sprachlichen Mitteln auf kollektive Anschlussfähigkeit […]“239 zu erzeugen. Das bedeutet die Fähigkeit, adressatenorientiert darzustellen, die historischen Aussagen gemäß dem Aspekt der Sinnbildung auszuwählen und anzuordnen und angemessene Darstellungsformen zu nutzen.240 Filtert man aus den theoretischen Überlegungen von Schöner, Mebus, Pandel, Handro und Hartung das Substrat zum Umgang mit Sprache heraus, könnten Artikulationsfähigkeit, Hinführung zur Fachsprachlichkeit, Diskursfähigkeit und das Vermögen, Erzählhaltungen bewusst einzunehmen als Kriterien für historische Sprachkompetenz herangezogen werden. Sie erscheinen dazu geeignet, jenen fachspezifisch gewendeten Kommunikationsvorgang zu beschreiben, den FUER unter der Erweiterung eines „Common Ground“ der Kommunikation versteht.

      Die dargestellten Überlegungen zur Sprachfähigkeit basieren auf Untersuchungen schriftlicher Narrationen. Mündliche Äußerungen, die die tragende Form der Kommunikation sowohl im Unterricht als auch in der österreichischen Reifeprüfung darstellen, unterliegen anderen Konzeptionen und Bedingungen. Grundsätzlich wird Mündlichkeit einem allgemeinen Verständnis nach als Kontrast zur schriftlichen Kommunikation wahrgenommen. Das Begriffskonzept ist aber unscharf, denn es beschreibt die Summe sprechsprachlicher Produkte, die, extensional verstanden, eine große Vielfalt von Sprechhandlungen erfasst. Diese hängen sowohl vom sozialen wie auch vom situativen Kontext ab. Trotzdem lassen sich prototypische Formen festmachen, die über spezifische Regelsysteme verfügen, die durch die Kontexte, in denen sie entstehen, determiniert sind. Somit erwachsen aus der kommunikativen Praxis typenbildende Konventionen und individuelle Anwendungen. Deren Eigenschaften entwickeln sich entlang der Produktions- und Rezeptionsbedingungen, sind aber nicht akkurat normiert, wie das bei Textsorten der Fall ist, weil sie den Erfordernissen interaktiver Bewältigung (spontaner) Kommunikationssituationen zu entsprechen haben. Mündlichkeit gilt demnach als weniger komplex und als eingängiger als schriftliches Erzählen, sie weist einen geringeren Abstraktionsgrad auf. Als Bauelemente der gesprochenen Sprache gelten Lautlichkeit, syntaktisch-grammatische und lexikalische Komponenten, die je nach Anwendungskontext in spezifischen Ausprägungen in Erscheinung treten können. Das manifestiert sich in einem variablen Tempusgebrauch (im Österreichischen ist es z. B. auf der Stufe des Vergangenen meist das Perfekt), einen alternativen Modusgebrauch (Konjunktive treten im bildungssprachlichen Register selten auf, in Soziolekten hingegen häufig), in einer freieren Wortstellung und in einem weniger ausgeprägt regelgebundenen Satzbau („Schlampigkeit von Sprechsprache“).241 Es ist nicht erforscht, welche Parameter die Verbalität von Reifeprüfungsgesprächen determinieren und wie deren Typen beschrieben werden können. Zu vermuten ist, dass hier sowohl die individuellen Sprachkontexte der Kandidat*innen als auch die der jeweiligen Schul- und Unterrichtskulturen prägend wirken.242

      Die gesellschaftlichen Ansprüche an Wissensbestände junger Menschen, die durch den Geschichtsunterricht zu erwerben seien, streuen erheblich. Während im öffentlichen Diskurs seit jeher das Verfügen über deklaratives Fachwissen (i. e. die Kenntnis über Daten und Fakten, Ereignissen, Epochen, Subjekten, Räumen, Dimensionen und Kategorien) im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, wünscht sich die Geschichtswissenschaft die Erarbeitung von Wissen zu forschungsrelevanten Themen, während eine an Sozialwissenschaften und Pädagogik orientierte Didaktik die Hinwendung zu „[…] epochentypische(n) Schlüsselprobleme(n) unserer Gegenwart und der vermutlichen Zukunft“243 verlangt. Vertreter*innen der jüngeren Geschichtsdidaktik propagieren die Berücksichtigung individueller Interessen der Schüler*innen bei der Auswahl zu erarbeitender Inhalte.244 Im krassem Gegensatz zur Bandbreite der Erwartungen an historisches Wissen stehen die Befunde der empirischen Forschung über dessen Verfügbarkeit bei deutschen Schüler*innen. Bodo von Borries fasst sie pointiert in dem Diktum zusammen, es herrsche „gähnende Leere“.245 Mit dem kompetenzorientierten Unterricht werden die Ansprüche an den zu erarbeitenden „Stoff“ – das „[…] Substrat gesicherten Wissens über die Welt“246 – um mehrere Facetten erweitert: Nutzung von Wissen zum Zweck des Aufbaus der Fähigkeit, historische Phänomene selbstständig zu erschließen, die Gegenwart zu erklären und die Zukunft zu prädeterminieren. Folgt man der Kompetenzdefinition Weinerts, kann man Wissen sowohl als Ausgangspunkt als auch als Ergebnis des Prozesses des Kompetenzaufbaus sehen,247 was die Klärung der Frage des Stellenwerts und der Rolle des Wissens im kompetenzorientierten Unterricht nicht erleichtert. Daher wird im Folgenden der Versuch einer Standortbestimmung unternommen, um einen denkbaren Zugang zum Umgang mit Wissen in den Reifeprüfungen zu finden.

      Die Bedeutung, die historischem Wissen zugemessen wird, hat viel mit Vorstellungen von Bildung, aber auch mit der Haltung zu Unterricht zu tun. Verfolgt man den wissenschaftlichen Diskurs und gleicht ihn mit so manchem kollegialen Gespräch in Konferenzzimmern ab, könnte man zu dem Schluss kommen, der Umgang mit Fachwissen sei die Gretchenfrage des kompetenzorientierten Geschichtsunterrichts. Lehrer*innen artikulieren die Sorge, die Anforderungen im Umgang mit Materialien würden es nicht (mehr) erlauben, ausreichend „Stoff“ zu erarbeiten, um den für unabdingbar gehaltenen Überblick über die Geschichte so aufzubereiten, dass Schüler*innen sich in ihr sicher bewegen und somit als gebildet gelten können. Der wissenschaftlichen Didaktik wird unterstellt, sie propagiere eine Reduktion von Wissensvermittlung im Schulunterricht zugunsten des Einübens von Verfahren.248 Auch wenn die Kritik übersieht, dass die Didaktik eine zielgerichtete und wohlüberlegte Wissensgenerierung fordert, um ausgewählte Themen der Geschichte umfassend und in die Tiefe gehend zu bearbeiten, gibt es die Irritationen innerhalb der Disziplin bezüglich des Stellenwerts von Fachwissen. Das belegt auch die nachfolgende Auswahl an Stellungnahmen aus der Geschichtsdidaktik.

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