Die Frau Professorin. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte. Auerbach Berthold

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Название Die Frau Professorin. Eine Schwarzwälder Dorfgeschichte
Автор произведения Auerbach Berthold
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726614527



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Euch nimmer.“

      ,,Geht Euer Goller da in die Kirch’?“ wendete sich Reinhard an Lorle und erhielt die Antwort:

      „Nein, das gehört der Bärbel, die geht, ich bleib’ daheim; Ihr geht doch auch?“

      ,,Ja,“ schloss Reinhard und trat in die Stube. Er hatte eigentlich nicht die Absicht gehabt, in die Kirche zu gehen, aber er musste und wollte jetzt; er musste, weil er’s versprochen, und wollte, weil Lorle allein zu Hause blieb. Und wie wir unsern Handlungen gern einen allgemeinen Charakter gehen, so redete er sich auch ein, er gewinne durch die Theilnahme an dem Kirchengange auf’s Neue die Grundlage zur Gemeinsamkeit des Dorflebens und ein Recht darauf.

      Während Reinhard in der Stube dies überdachte, sagte Lorle draussen auf der Laube: ,,Denk nur, Bärbel, er hat heut Nacht von mir träumt.“

      ,,Wer denn?“

      „Nu, der Herr Reinhard.“ Lorle verfehlte nie, auch wenn sie von dem Abwesenden sprach, das Wort ,,Herr“ zu seinem Namen zu setzen.

      „Lass dir von dem Fuchsbart nichts aufbinden,“ entgegnete Bärbel.

      „Und der Bart ist gar nicht fuchsig,“ sagte Lorle voll Zorn, „er ist ganz schön kästenbraun und der Herr Reinhard ist noch grad so herzig wie er gewesen ist, und du hast doch früher, wo er nicht dagewesen ist, immer so gut von ihm gered’t und du hast Unrecht, dass du jetzund so über ihn losziehst. Wenn er auch den Spass mit dem Ausschellen gemacht hat, er ist doch nicht stolz, er red’t so gemein und so getreu.“ —

      „Ich kann nichts sagen als: nimm dich vor ihm in Acht, und du bist kein Kind mehr.“

      ,,Ja das mein’ ich auch, ich weiss doch auch wie Einer ist, ich . . .“

      ,,Gib mir mein Goller, du zerdrückst’s ja wieder,“ sagte Bärbel und ging davon.

      Reinhard wandelte sonntäglich gekleidet mit Stephan und Martin nach der Kirche. Alles nickte ihm freundlich zu, Manche lachten noch über die seltsame Bartzier, aber der Träger derselben war ihnen doch heimisch; sie fühlten es dunkel, dass er zu ihnen gehörte, da er nach demselben Heiligthume, zu derselben Geistesnahrung mit ihnen wallfahrtete.

      Auf dem Wege fragte Martin: „Nun was saget Ihr aber zu unserm Lorle? nicht wahr, das ist ein Mädle?“

      ,,Ja,“ entgegnete Reinhard, ,,das Lorle ist gerad wie ein feingoldiger Kanarienvogel unter grauen Spatzen.“

      ,,Es ist ein verfluchter Kerle, aber Recht hat er,“ sagte Martin zu Stephan.

      Reinhard sass bei dem Schulmeister auf der Orgel, der brausende Orgelklang that ihm wundersam wohl, er durchzitterte sein ganzes Wesen wie ein frischer Strom. Die Bärbel, die ihn jetzt von unten sah, dachte in sich hinein: Er ist doch brav! Wie seine Augen so fromm leuchten! Reinhard hörte nur den Anfang der Predigt. An den Text: ,,Lasset euer Brod über das Meer fahren,“ wurde eine donnernde Strafrede angeknüpft, weil das ganze Dorf sich verbunden hatte, nichts für das zu errichtende Kloster der barmherzigen Schwestern beizusteuern. Reinhard verlor sich bei dem eintönigen und nur oft urplötzlich angeschwellten Vortrage in allerlei fremde Träumereien. Drunten aber lag die Bärbel auf den Knien, presste ihre starken Hände inbrünstig zusammen und betete für Lorle; sie konnte nun einmal den Gedanken nicht los werden, dass dem Kinde Gefahr drohe, und sie betete immer heftiger und heftiger; endlich stand sie auf, fuhr sich mit der Hand bekreuzend über das Gesicht und wischte alle Schmerzenszüge daraus weg.

      Der Orgelklang erweckte Reinhard wieder, er verliess mit der Gemeinde die Kirche. Nicht weit von der Kirchenthüre stand die Bärbel seiner harrend; indem sie ihr Gesangbuch hart an die Brust drückte, sagte sie zu Reinhard: „Grüss Gott!“ Er dankte verwundert, er wusste nicht, dass sie ihn erst jetzt willkommen hiess.

      Als Reinhard nun noch einen Gang vor das Dorf unternahm, begegnete ihm der Collaborator mit einem gespiessten Schmetterling auf dem Mützenrande.

      „Was hast du da?“, fragte Reinhard.

      ,,Das ist ein Prachtexemplar von einem papilio Machaon, auch Schwalbenschwanz genannt; er hat mir viel Mühe gemacht, aber ich musste ihn haben, mein Oberbibliothekar hat noch keinen in seiner Privatsammlung; es waren zwei, die immer in der Luft mit einander kosten, immer zu einander flatterten und wieder davon; sind glückselige Dinger, die Schmetterlinge! Ich hätte sie gern beide gehabt oder bei einander gelassen, habe aber nur einen bekommen, und schau wie ich aussehe; in dem Moment wie ich ihn haschte, bin ich in einen Sumpf gefallen.“

      „Und Stecknadeln hast du immer bei dir?“

      ,,Immer; sieh hier mein Arsenal,“ er öffnete die innere Seite seines Rockes, dort war ein R aus Stecknadelköpfen gesetzt.

      ,,Aber dass ich’s nicht vergesse,“ fuhr er fort, „ich habe das Wort gefunden.“

      ,,Welches Wort?“

      „Das Epitheton für das Mädchen: wonnesam! Es ist ein Vorzug unserer Sprache, dass dieses Wort transitiv und intransitiv ist, sie ist voll Wonne und strahlt Jedem Wonne in die Seele. Aber halt! Eben jetzt, indem ich rede, finde ich das Urwort, das ist’s: Marienhaft! Was die Menschheit je Anbetungswürdiges und Wonniges in der Erscheinung der Jungfrau erkannte, das drängte sie in dem Wort Maria, zusammen. Das kann keine andere Sprache, solch ein nomen proprium allgemein objektivisch bilden. Marienhaft! das ist’s.“

      Reinhard ward still; nach einer Weile erst frug er:

      ,,Warst du die ganze Zeit im Walde?“

      „Gewiss, o! es war himmlisch, ich habe einen tiefen Zug Waldeinsamkeit getrunken. Sonst wenn ich den Wald betrat, war mir’s immer, als ob er schnell sein Geheimniss vor mir zuschliesse, als ob ich nicht würdig sei, durch diese heiligen Säulenreihen zu schreiten und den stillen Chor der ewigen Natur zu vernehmen; mir war’s immer, als ob beim letzten Schritte, den ich aus dem Walde thue, jetzt erst hinter mir das süsse geheimnissvolle Rauschen beginne und unerfassbare Melodien erklingen. Heute aber habe ich den Wald bezwungen. Ich bin emporgedrungen durch Gestrüpp und über Felsen bis zum Quellsprung des Baches, wo er zwischen grossen Basaltblöcken hervorquillt und ein breites, rundes Becken ihn sogleich aufnimmt, als dürfte er da zu Hause bleiben. Du warst gewiss noch nicht dort, sonst müsstest du’s gemalt haben; das muss nun dein erstes Bild sein. Die Bäume hangen so sehnsüchtig nieder als wollten sie das Heiligthum zudecken, dass kein sterbliches Auge es sehe, in jedem Blatt ruht der Friede; der rothe und weisse Fingerhut lässt seine Blüthenkette zwischen jeder Spalte aufsteigen, es ist eine Giftpflanze, aber sie ist entzückend schön! Die sanfte Erika versteckt sich lauschend hinter dem Felsen und wagt sich nicht hervor an das rauschende Treiben. Dort lag ich eine Stunde und habe Unendlichkeiten gelebt. Das ist ein Plätzchen, um sich ins All zu versenken. Morgenglocken tönten von da und dort, mir war’s wie das Summen der Bienen, die sich heute bei der Sicherheit des schönen Wetters weit weg vom Hause wagten. Ich war emporgeklommen, hoch hinauf auf Bergeshöhen, die die Kirchthürme weit überragen, ich stand über Zion auf den Spitzen des unendlichen Geistes; da fühlte ich’s wie noch nie, dass ich nicht sterben kann, dass ich ewig lebe; ich fasste die Erde, die mich einst decken wird, und mein Geist schwebte hoch über allen Welten. Mag ich freudlos über die Erde ziehen, klanglos in die Grube fahren, ich habe ewig gelebt und lebe emig.“ …

      Reinhard setzte sich auf den Wegrain unter einen Apfelbaum, er zog auch den Freund zu sich nieder. ,,Sprich weiter,“ sagte er dann; der Angeredete blickte schmerzlich auf ihn, dann schaute er vor sich nieder und fuhr fort:

      ,,Ich lag lange so in selig traurigem Entzücken, ich sah dem unaufhörlich sich ergiessenden Quell zu. Wie ätherklar springt er hervor aus nächtiger Verborgenheit; wie rein und hell schlängelt er sich in die Schlucht hinab, bald aber noch bevor er den ruhigen Thalweg erreicht, wird er eingefangen; was sicht’s ihn an? Er springt keck über das Mühlrad und eilt zu den Blumen am Ufer. In der Stadt aber dämmen sie ihn ein, da muss er färben, gerben und verderben; er kennt sich nicht mehr. Es kann auch einem reinen klaren Naturkinde so ergehen. Was thut’s? Du einzler Quell vom Felsensprung! ströme zu bis hin in das unergründliche, unbezwungene Meer, dort ist neue, dort ist ewige Klarheit und unendliches Leben, ein Ruhen und ein Bewegen in sich . . . . Bei dem