Sag jetzt nichts, Liebling. Hanne-Vibeke Holst

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Название Sag jetzt nichts, Liebling
Автор произведения Hanne-Vibeke Holst
Жанр Языкознание
Серия Therese-Trilogie
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726569582



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kann auch noch warten«, entgegne ich und fange Birgittes Blick über seine Schulter hinweg auf. Sie hält eine Hand schützend über ihre Augen, um uns besser sehen zu können. Ich weiß, sie beneidet mich um die Leidenschaft. Um Pauls Leidenschaft.

      »Aber warum denn, Tes?« fragt er und hält mich fest. »Wir haben doch alles! Haus und Garten, festes Einkommen und das richtige Alter. Und Zarina braucht eine kleine Schwester!«

      »Eine Schwester?«

      »Ich stehe nur auf Mädchen!« erklärt er und küßt mich gierig.

      »Das ist ja gut zu wissen«, sage ich und mache mich frei. Mir gefiel es noch nie, mein Liebesleben öffentlich vorzuführen. Und jetzt kommt Zarina angestürmt. Sie zwängt sich empört zwischen unsere Beine.

      »He! Hört auf mit der Küsserei!«

      Die Gesellschaft lacht, Paul hebt sie hoch und reibt seine Nasenspitze an ihrer.

      »Möchtest du nicht auch gern eine kleine Schwester?« fragt er sie.

      »Nein!« erklärt sie kategorisch. Da muß ich lachen.

      »Hexe!« grinst Paul.

      »Kluges Mädchen!« erwidere ich und merke, daß sie kalte Beine hat. »Jetzt aber ab ins Haus und eine Strumpfhose angezogen!« bestimme ich und wende mich zum Gehen.

      »Nein, ich will nicht!« ertönt es hinter mir, während Paul mich gleichzeitig an den Schultern faßt und mich zwingt, mich umzudrehen, so daß ich ihm direkt in die Augen sehe. »Heute abend ist Vollmond.«

      »Ja, und?«

      »Dann hast du deinen Eisprung.«

      »Und?«

      »Und Lust. Wie alle Frauen.«

      Ich richte mich an der Steilküste des Schlafs ein. Pauls Pobacken leuchten genau wie der Mond durch die Lamellen der Fensterläden, er pustet mir stoßweise ins Ohr, und meine Gedanken flattern irgendwo zwischen Sonntag und Montag herum, zwischen Traum und Wachsein. Zarina schläft in dem Zimmer neben uns, wir schlafen alle drei unter dem Dach, in einem Baugenossenschaftshaus in Østerbro, das ich immer noch nicht als mein rechtmäßiges Eigentum ansehe. Hier ist es fast so still wie auf dem Land, in dem Giebelzimmer bei Tante Mo auf dem Forsthof damals. Deshalb habe ich jede Nacht dieses Gefühl von Kindheit, als würde eine Katze am Fußende schnurren, die Erinnerungen an schwere Federbetten und an Erwachsene, die in ihrem entfernter gelegenen Schlafzimmer husten oder sich gedämpft unterhalten. Ich denke an die Bornholmer Standuhr, die unten in der Stube schlug, und an die knackenden Treppenstufen, auf die mein Onkel immer trat. Das hat herzlich wenig mit Sex zu tun, und vielleicht habe ich deshalb solche Schwierigkeiten, in diesem Haus in Stimmung zu kommen. Oder ich bin ganz einfach zu müde. Zerstreut, abgehetzt. Ehrlich gesagt, bin ich eine überzeugte Gegnerin des symbolträchtigen Hauses, in das ich von Paul gelockt wurde. Er hat es mir an einem perfekten Maitag gezeigt, an dem die Nachbarn in ihren Blumenbeeten gruben und in Vorgärten Kaffee tranken, während die Kinder herumliefen und auf dem gemeinsamen Spielplatz herumtollten.

      »Kannst du es nicht vor dir sehen? Das reine Dorfidyll! Und dann so nahe an der Stadt!«

      Natürlich konnte ich es sehen, und ich unterschrieb auch freiwillig den Kaufvertrag für das Grundstück. Was hätte ich denn sonst machen sollen? Ich meine, was war die Alternative? In Pauls umgeräumter Junggesellenwohnung zu bleiben, in einem immerwährenden Kampf mit Legosteinen und Kekskrümeln und einem immer stärkeren klaustrophobischen Gefühl von Atemnot? Als ich also das Versprechen für mein eigenes Zimmer in dem neuen Haus bekam, waren meine Einwände nur noch formaler Art. Konnten wir das Finanzielle schaffen? Paul leierte einen langen, beruhigenden Vortrag über Brutto und Netto herunter, die günstigen Kreditzinsen, die Umlage des Wohnungsdarlehens und die guten Möglichkeiten für Staatszuschüsse bei Renovierungen, aber da hatte ich bereits abgeschaltet. Denn in Wirklichkeit waren meine Vorbehalte von so grundlegendem Charakter, daß sie in diesem Zusammenhang vollkommen irrelevant erschienen. Wir hatten die Landzunge passiert, waren bereits seit langer Zeit in der Fahrtrinne, wo man sich nicht mehr fragen kann, ob man überhaupt an der Segelregatta teilnehmen möchte, sondern genug damit zu tun hat, die Segel zu reffen, den Kurs zu halten und Kentern und Schiffbruch zu vermeiden. Ich war mit an Bord und hatte zumindest bis dahin meine Rolle als gehorsamer Gast, der dem Kapitän gehorchte und die ungeschriebenen Gesetze der Seefahrt zu respektieren gelernt hatte, akzeptiert. Es war Pauls Wettfahrt – er stand stolz und verbissen am Ruder, während ich über der Reling hing und nur bei hohem Seegang an Meuterei dachte.

      Also bekam er sein Haus, oder genauer gesagt, wir bekamen jeder eine Hälfte. »Wir sind ja leider nicht verheiratet, das hätte alles viel einfacher gemacht«, konnte er sich nicht verkneifen anzumerken. Aber das war der einzige bittere Tropfen in der Maibowle, in der Paul das ganze Frühjahr über badete. Ganz gerührt, auch wenn es die Formen einer kitschigen Reklame annahm, konnte nicht einmal ich mich Pauls hemmungsloser Freude darüber entziehen, Mann im eigenen Haus zu spielen. Den ganzen Sommer über summte und pfiff er, während er, nur in Boxershorts gekleidet, Pinsel in Naturfarbstoffe und Leimfarbe, verrührt mit Ei, tauchte. Unterstützt wurde er dabei von Birgitte, die sich begeistert dem Projekt widmete. Auf jeden Fall haben wir schöne Räume bekommen. In Matisse-Farben, wie die beiden Experten einstimmig versicherten. Perfekte limonengrüne und hibiskusrote Rahmen für das Familienleben, das Pauls offenkundige Vision ist – die ersehnte Trophäe, der Sinn des Ganzen. Ich beneide ihn darum, versuche, ihn seinen Traum weiterträumen zu lassen, solange ich nicht mit einbezogen werde. Und dennoch mußte ich mich einmal einmischen und die Wut des Patriarchen dämpfen, als Zarina in unbewachten zwanzig Minuten die lavendelblauen Wände des Kinderzimmers mit schwarzer Fingerfarbe dekoriert hatte. Er war kurz davor, sie übers Knie zu legen, als er sie auf frischer Tat ertappte, und gewiß war es eine Unartigkeit von ihr, vielleicht sogar eine bewußte Provokation, aber seine Reaktion war unverhältnismäßig, geradezu hysterisch, ans Infantile grenzend. Sie erschrak dermaßen, daß sie in die Hosen pinkelte. Ich nahm sie in den Arm, beschützend und tröstend, während das Blut in der Gebärmutter der Löwin pochte.

      »Take it easy, Mr. Perfect!« zischte ich, »wir haben vielleicht auch noch das Recht, hier zu wohnen!«

      Er wirbelte herum und starrte mich an, die Augen vor Verwunderung und Wut weit aufgerissen, weil seine Geliebte, von der er angenommen hatte, sie gezähmt und besänftigt zu haben, immer noch diejenige war, die die Vorhänge herunterriß und das nackte Zimmer präsentierte. Zarina hörte schluchzend auf zu weinen, die Erde hörte auf, sich zu drehen, und mein Herz hörte in diesem Bruchteil einer Sekunde auf zu schlagen, als wir beide erkannten, daß wir hier wieder unser Spiel spielten. Daß wir trotz Versöhnung und gemeinsamer Adresse immer noch so weit voneinander entfernt waren, wie wir es immer gewesen waren. Das war so schwindelerregend erschreckend – auch für mich –, daß ich instinktiv einen Arm nach ihm ausstreckte, mich entschuldigte und ihn inständig anflehte, nicht zu gehen, als ich sah, wie der Fluchtinstinkt in ihm aufstieg. Er blieb, ließ sich umarmen, küßte Zarina, bat sie um Entschuldigung und war auch derjenige, der ihr saubere Sachen anzog.

      Die Szene war einmalig und hatte unmittelbar keine anderen Konsequenzen, als daß wir uns gegenseitig mit Samthandschuhen anfaßten. Jeder für sich hatte den Tanz auf dem Vulkan erkannt, lebensgefährlich, aber zu spät, um noch abzuspringen. Unsere einzige Möglichkeit bestand darin, im Takt zu bleiben und zu hoffen, daß die Musik uns trug.

      Paul brauchte lange, um zu kommen, und ich weiß, warum. Er haßt »Pflichtbumsen«, wird nicht aus »Vaterlandsliebe« oder bei »Zombiesex« scharf. Und so gern ich es möchte, ich kann ihm kein Orgelbrausen mit voll gezogenen Registern bieten. Ich bin zu müde, zu fern, zu wenig Körper und zu viel Kopf. Aber dann ist er schließlich doch der ersehnten Klimax so nahe, daß sein Körper sich spannt, die Adern am Hals hervortreten und die Augen weit aufgerissen sind. Ich bin kurz davor, allein davon geil zu werden. Aber da übertönt das Telefon sein hohles Stöhnen, meine zurückgehaltene Anspannung und die Nachtstille des Hauses.

      Es ist das Krankenhaus in Aalborg. Ich war als nächste Angehörige angegeben. Mein Vater hatte einen Blutsturz. Koma, der Zustand ist kritisch.

      »Wenn Sie ihn noch einmal