Название | Literaturvermittlung und Kulturtransfer nach 1945 |
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Автор произведения | Группа авторов |
Жанр | Документальная литература |
Серия | Edition Brenner-Forum |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783706561228 |
Die folgenden Überlegungen ließen sich unter dem Obertitel „Die Pseudonyme Gottes“ zusammenfassen. Hans Urs von Balthasar hat Rilkes Dichtung als verkappte Theologie gelesen und damit ihren Konkurrenzcharakter zum Glauben diagnostiziert. Noch Rahners Priester und Dichter, der einige berühmte Verse der Duineser Elegien als Ausgangspunkt nimmt, ist im Grunde eine Apologie des priesterlichen Wortes gegen die poetische Chimäre.15 Dieses Misstrauen in die Legitimität und Wahrhaftigkeit der Poesie grundiert auch Guardinis Lektüre der Duineser Elegien, der eine unterirdische Beziehung zwischen Rilkes konsequentem und bindungslosem Individualismus und der Auslieferung an die totalitären Es-Mächte konstatiert. „Sein Leben war eine einzige Wanderung“.16 Er war, mit Marcel zu sprechen, der Guardinis Arbeiten kannte, ein Heilsverweigerer, ans Christentum in einer antithetischen Beziehung gebunden. (Es scheint mir hier erwähnenswert, dass Guardini 1939 unter dem Pseudonym Lucien Valdor auf Französisch das Buch Le chrétien devant le racisme veröffentlicht hat.)
Es ist hier nicht der Ort, einen Vergleich der Haltung Marcels mit Ludwig von Fickers Position der 1930er Jahre anzustellen, die im nicht erschienenen Brenner von 1938 durch den Reichsadler und das gemeinsame Requiem für Kraus und Dollfuß eindeutig bestimmt ist. Marcel führt im Homo Viator, der aus Beiträgen der Jahre 1941 bis 1944 besteht, einen philosophischen Krieg gegen den Nihilismus, den Individualismus, die technokratische Zivilisation, die Massenmedien und den Verfall sakraler Institutionen wie der Ehe. Auch eine gewisse Ähnlichkeit mit der Ich-Du-Philosophie Ebners ist gegeben. (1965 hat Marcel in Wien und Salzburg Vorträge über Ebner gehalten. Hans Rochelt hat energisch gegen die Vereinnahmung Ebners durch den „christlichen Existentialismus“ protestiert).17 Auf dieser Basis beruhen Marcels scharfe Kritiken an Sartre, Bataille und Camus. Es handelt sich konsequent um katholische heilsgeschichtliche Verurteilungen der „Verweigerer des Heils“. Diese Denkweisen sind für ihn entweder „faszinierendes perverses Spiel“ oder tiefergehend „die Vollendung eines Prozesses der Selbstzerstörung, der sich im Inneren einer verdammten Gesellschaft vollzieht, einer Menschheit, die mit ihren ontologischen Bindungen gebrochen hat – oder glaubt, mit ihnen gebrochen zu haben.“ Dieser „Narzissmus des Nichts“ ist zugleich Negierung Gottes und des Menschen.18
Man hat Marcel nicht ganz zu Unrecht eine gewisse Sympathie für das Régime des Maréchal Pétain nachgesagt, das dem katholischen Ständestaat in manchem verwandt war, wenn man den Anspruch auf einen korporatistisch organisierten „katholischen Sozialstaat“ mit besonderer Berücksichtigung des Bauernstandes betont. Sein Vortrag über das Geheimnis der Familie ist nicht nur theologischer, sondern eindeutig politischer Natur. Bei seiner Verteidigung der Werthierarchie bezieht er sich u.a. auf Theodor Haecker und Charles Péguy, der die Familienväter als die wahren Helden und Abenteurer der Moderne gefeiert hatte. Rilke kann in dieser Frage nur als unsteter erotischer Wanderer figurieren. (Péguy war im vorletzten Brenner vertreten. Friedrich Heer hat einen Vergleich zwischen Brenner und Péguys Cahiers de la Quinzaine gezogen und bedauert, dass dem Brenner eine Breitenwirkung von der Art Péguys versagt geblieben ist.)19 In den dreißiger Jahren war Marcel überdies überzeugter Monarchist. Trotzdem wurde er nach der Befreiung entgegen den Einwänden Aragons in den Organismus aufgenommen, der sich mit der „Säuberung“ (épuration) der der Kollaboration verdächtigten Intellektuellen befasste. In diesem Kontext, in dem kaum von Literatur die Rede war – sieht man von einer Bemerkung über Kafka in der Auseinandersetzung mit Camus’ Mythos des Sisyphus ab –, wirken die zwei Vorträge über Rilke als Zeuge der Spiritualität aus dem Jahre 1944 auf den ersten Blick wie Fremdkörper. Im Vorwort zur Neuausgabe von 1963 hat sie Marcel so gerechtfertigt: es gehe ihm im Gegensatz etwa zum Gigantismus der „Religion der Technik“ um das Weiterbestehen des „authentisch Sakralen“, das ohne Bindung an „eine übermenschliche Ordnung“ und ohne Hoffnung nicht denkbar ist. Zu diesen ewigen sakralen Werten gehört auch der „Orphismus, den zu verkennen, nicht ungestraft bleiben kann...“ In einer Ruinenlandschaft sammeln sich dem menschlichen Räsonnement und Irrsinn kaum wahrnehmbar die Gegenkräfte:
Der gekoppelte Sinn von Tod und Auferstehung, der die Sonette an Orpheus wie ein Atem aus anderen Welten durchzieht, ist im Grunde eine Frömmigkeit gegenüber den Seelen und Dingen, deren Geheimnis wir meiner Meinung nach heute wiederentdecken müssen. Das Echo dieser Frömmigkeit möchte ich hörbar machen in einer Zeit der Verallgemeinerung des Sakrilegs, in der die stärksten Geister Frankreichs seit zwanzig Jahren sich in der Tat vorzustellen scheinen, dass die Blasphemie […] der Eckstein einer Philosophie und einer Politik werden könne. Verderbliche Illusion, die nicht nur der Glaube, sondern vor allem das Denken unermüdlich auflösen müssen.20
Der „Entzauberung der Welt“ durch die technische und wissenschaftliche Rationalität wird die Hoffnung auf eine Sakralisierung entgegengesetzt. Ein unerschöpfliches europäisches Thema seit der Aufklärung. Welche Rolle spielen Rilke und Heidegger für Marcel in diesem Prozess?
Gabriel Marcel ist noch von Angelloz’ Behauptung überzeugt, „der Philosoph Heidegger habe, als er die Elegien kennenlernte, behauptet, Rilke habe in poetischer Sprache dieselben Ideen ausgedrückt wie er in seinem großen Werk ‚Sein und Zeit‘“.21 Marcel ist skeptisch, zieht aber eine Parallele zwischen Heideggers Kritik des alltäglichen Geredes und dem Anspruch des Dichters, durch sein Sagen die wahre Existenz der Dinge zu garantieren. Er fügt aber, darin durchaus dem Geist seiner Komödie folgend, hinzu, dass Heidegger unfähig sei, zwischen einem guten und einem schlechten