Dialekt und Standardsprache in der Deutschdidaktik. Hubert Klausmann

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Название Dialekt und Standardsprache in der Deutschdidaktik
Автор произведения Hubert Klausmann
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783823302483



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durch die historisch bedingte „Offenheit“ des ostmitteldeutschenOstmitteldeutsch Raumes begünstigt war. Diese Einheitlichkeit wurde von den ostmitteldeutschen Schreibern übernommen – und genau dort war auch Luthers Heimat. Besch hält fest: „Dieses Ineinanderfließen der Schreibtraditionen des Südostens und mitteldeutschenMitteldeutsch Ostens ist für mich der Haupteindruck, den mir das bearbeitete Material des 15. Jh. vermittelt. Es kann kein Zweifel sein, dass dabei der Süden mehr gegeben, der mitteldeutsche Osten mehr empfangen hat. Wer die nhd. Schriftsprache ohne entscheidenden Anteil der donauländischen Schreib- und Sprachtradition entstanden sieht, geht an der sprachlichen Wirklichkeit jener Zeit vorbei.“7

      Für LuthersLuther, Martin Interesse, dass seine Schriften in einem möglichst weiten Raum gelesen werden können, war diese bereits vorhandene Einheitlichkeit optimal. Er hat damit das weitergeführt, was bereits seit Jahrhunderten im Gange war, nämlich dass die ostmitteldeutsche Schriftsprache noch näher an die südostdeutsche rückte. So konnten die einzelnen Schreibformen, Wortformen, Wörter und grammatikalischen Besonderheiten ein Geltungsareal erhalten, das meistens viel größer war als das der anderen Regionen. Dieses Geltungsareal ist zweifellos das wichtigste Kriterium bei der Variantenauswahl. Sind zwei Geltungsareale gleich groß, so hat sich bei Luther und den Druckern oft die oben genannte südostdeutsche-ostmitteldeutsche Variante durchgesetzt. Ein Beispiel für diese Landschaftskombinatorik ist die Durchsetzung von liebe gegenüber minne. Beide haben ein ähnlich weites Geltungsareal, doch setzt sich – wie wir wissen – liebe durch.

      Abb. 3:

      Verbreitung der Wörter minne, liebe/leve in den Handschriften des 15. Jhs. (nach Besch 1967: Karte 54, vereinfachte Darstellung durch Flächen statt einzelner Ortssymbole).

      Auch die Durchsetzung des süddeutschen kam im Gegensatz zum nördlicheren quam lässt sich so erklären. Ein weiteres Kriterium bei der Auswahl von Varianten ist die etymologische Durchsichtigkeit. Steht ein Wort isoliert da und hat das Konkurrenzwort weitere Wörter um sich herum, so setzt sich das letztere durch. Schließlich können bei der Auswahl von Varianten auch noch die Frequenz, also die Häufigkeit einer Variante in den Texten, und das Prestige, also die Verwendung einer Variante von sozial hoch angesehen Personen, ausschlaggebend sein.

      Der Übergang von der Phase der Schreibsprache zur Phase der Schriftsprache ist in den Handschriften sehr schön an den sogenannten Doppelformen zu erkennen. Standen in den Texten des 15. Jahrhunderts noch häufig Doppelformen in den Texten (Beispiel minne und liebe, dick und offt, oblate und hostie), so setzt mit LutherLuther, Martin ein Prozess ein, der diesen Doppelformen dadurch ein Ende bereitet, dass die oben genannten Auswahlkriterien wirken und sich am Ende nur noch eine der Varianten durchsetzt. In Luthers Texten kann BeschBesch, Werner alle die genannten Prozesse an einzelnen Beispielen genau nachweisen. So hält er bei den Doppelformen dick und offt fest: „Luther hat anfänglich noch dick, später nur in solchen Schriften, deren Herausgabe er nicht selbst besorgte […]. oft ist die bairisch-ostfränkischeFränkisch Form, sie setzt sich gegen das übrige Sprachgebiet durch, allerdings erst nach gut zwei Jahrhunderten. Im Niederländischen ist dick schriftsprachlich geworden.“8

      Die Karte minne-liebe/leve (Abb. 3) sowie die Abb. 4 sind ein schönes Beispiel dafür, wie sich die ostmitteldeutscheOstmitteldeutsch-ostoberdeutsche Variante sowohl im Wortschatz als auch bei grammatischen Formen (als ein blinder, als ein siecher) durchgesetzt hat.

      Halten wir für die zweite Phase zusammenfassend fest: LuthersLuther, Martin Einfluss auf die Entstehung der deutschen Schriftsprache besteht vor allem darin, dass er eine bereits vorhandene südostdeutsche (= südoberdeutsche) Einheitlichkeit ausgenutzt und verbreitet hat. Wenn das OstmitteldeutscheOstmitteldeutsch zu seiner Zeit gegenüber dem Südostdeutschen noch eine Abweichung zeigte, so entschied sich Luther nach anfänglichem Zögern schließlich für die südostdeutsche Variante und verhalf dieser damit zu einem enorm angewachsenen Geltungsareal, das für den weiteren Konkurrenzkampf gegen die anderen deutschen Varianten entscheidend werden konnte. Im weiteren Verlauf der Sprachgeschichte haben sich dann auch die anderen Regionen immer wieder einmal durchsetzen können, so dass BeschBesch, Werner abschließend festhält: „Unsere nhd. Schriftsprache ist demnach nicht das Werk einer von Anfang an dafür prädestinierten Landschaft, sondern in der Grundlegung eine ostmitteldeutsche-ostoberdeutsche Allianz, in der weiteren Entwicklung eine Angelegenheit fast aller bedeutenden Sprachlandschaften.“9

      Für die Phase der Standardsprache sind verschiedene Faktoren von Bedeutung. Parallel zu den Bemühungen LuthersLuther, Martin und der Drucker, die Varianten zu reduzieren, um zu einer Einheitlichkeit zu gelangen, die einen größeren Absatz und eine umfangreichere Leserschaft verspricht, kommt es zu den ersten Grammatiken der deutschen Sprache. Waren es anfangs noch mehr oder weniger lediglich Anleitungen zum Lesenlernen, so erscheint 1648 mit Justus Georg SchottelsSchottel, Justis Georg „Ausführliche Arbeit von der Teutschen Haubt Sprache“ die erste richtige Grammatik. Für das 18. Jahrhundert sind dann die Grammatiken von GottschedGottsched, Johann Christoph und AdelungAdelung, Johann Christoph die Vorbilder. Auch die großen Schriftsteller beriefen sich auf sie und diese wurden damit normativ. Die Grammatiker versuchten, das Phänomen Sprache genauso zu beschreiben wie dies die Naturwissenschaftler mit den Phänomenen der Natur taten. Sie suchten ganz im Sinne der Aufklärung nach logisch begründbaren Regeln. Der konkrete SprachgebrauchSprachgebrauch war für sie kein Anhaltspunkt. Ein weiterer wichtiger Faktor auf dem Weg zur Standardsprache ist schließlich die Schulpflicht. Man darf davon ausgehen, dass sich mit Beginn des 19. Jahrhunderts die „Allgemeine Schulpflicht“ durchgesetzt hat. Die Schriftsprache wird dadurch fast allen Bewohnern der deutschsprachigen Länder bekannt und spätestens jetzt zur Standardsprache.

      Abb. 4:

      Verbreitung der Formen als ein siech(e), als ein blinde) gegenüber als ein blinder, als ein siecher in einem Satz wie Ich ging zu ihm als … in den Handschriften des 15. Jhs. (nach Besch 1967: Karte 87 vereinfachte Darstellung durch Flächen statt einzelner Ortssymbole).

      Abb. 5:

      In dieser Grafik stehen Standardsprache und Dialekte nicht untereinander, sondern nebeneinander. Damit soll verhindert werden, dass allein schon optisch die Standardsprache als höherwertig angesehen wird. Aus dem gleichen Grund sprechen wir auch von Standardsprache und nicht von Hochsprache oder Hochdeutsch.

      Zunächst galt die Standardsprache nur für den schriftlichen Bereich (1. Phase). Ihre Umsetzung ins Lautliche führte zu regional unterschiedlichen Varianten. Dies galt auch noch für den Beginn des 20. Jahrhunderts. Im niederdeutschenNiederdeutsch Raum richtete man sich nach der Übernahme der einheitlichen Schriftsprache auch im Mündlichen nach dieser aus, man sprach also „nach der Schrift“. Da das Niederdeutsche wegen der Nicht-Teilnahme an der Zweiten LautverschiebungZweite Lautverschiebung lautlich sehr weit von der – wie wir gesehen haben – vorwiegend im ostoberdeutschen-ostmitteldeutschenOstmitteldeutsch Raum entstandenen Standardsprache entfernt war, konnten sich dort regionale Besonderheiten weniger „einschleichen“. Der Weg vom niederdeutschen Dialekt (= Platt) zur gesprochenen deutschen Standardsprache kam praktisch dem Erlernen einer Fremdsprache gleich.

      Mit der Entstehung der Tragödie um 1800 bemühte man sich schließlich, eine über allen RegionalsprachenRegionalsprache stehende einheitliche Lautung zu finden. Am Ende setzten sich zwei Auffassungen durch: 1. Das beste Hochdeutsch wird im norddeutschen Raum gesprochen. 2. Das beste Hochdeutsch wird im ernsten Drama gesprochen. 1898 erschien dann die „Deutsche Bühnenaussprache“ von Theodor SiebsSiebs, Theodor. Sie wurde zur Richtlinie für die korrekte Aussprache der deutschen Sprache weit bis in das 20. Jahrhundert hinein. Für den einen oder anderen Sprachtrainer gilt sie noch immer.

      Mit der Übernahme der zunächst nur schriftlichen Standardsprache in den mündlichen Bereich (2. Phase) ist eine völlig neue sprachliche Aufteilung entstanden, die je nach Region ganz anders aussieht. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein hatte nämlich