Eddie und die beste Freundin der Welt. Viveca Lärn

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Название Eddie und die beste Freundin der Welt
Автор произведения Viveca Lärn
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788711463109



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immer dann über die Zimmerdecke wanderte, wenn unten auf der Landstraße ein Auto vorbeifuhr. Das war Geborgenheit. Nicht irgendeine fremde, schreckliche Stadt am großen, kalten, tiefen Meer.

      «Bei meiner Schwester geht’s euch gut», hatte Lennart zufrieden gesagt. «Atme ordentlich durch, Eddie, wenn du schon mal am Meer bist. Das ist gut für dich.»

      Eddie baumelte mit den Beinen. Er überlegte, wie alt man werden musste, bis sie zum Fußboden reichten. Wenn seine Tante ihn nun mal nicht abholen kam! Das sähe ihr richtig ähnlich. Sie hatte so eine kreischige Stimme und eine wütende Stirn.

      «Ach, Eddie, hätte ich ihn abholen sollen? Wie sollte ich mir das merken – ich hab doch so viel zu tun. Ich muss Weißwäsche waschen und Buntwäsche und die Spüle putzen und noch so einiges. Wer ist das übrigens – Eddie?»

      Lennarts ältere Schwester Ann-Sofie hatte überhaupt keine Ähnlichkeit mit ihrem kleinen Bruder. Wenn Lennart nüchtern war und ein kariertes Hemd trug, sah er fast wie Elvis Presley aus. Ann-Sofie sah eher aus wie ein japanischer Ringkämpfer oder wie eine der Frauen bei der Essensausgabe in der Schule. Und außerdem hatte sie vier riesige erwachsene Kinder, die alle einen Ring im Ohr trugen. Aber die waren von zu Hause ausgezogen, zum Glück. Eddie wurde fast ein bisschen wütend, als er daran dachte, dass Ann-Sofie vergessen könnte, ihn vom Bus abzuholen, wenn er ankam. Stand wahrscheinlich zu Hause und briet Fisch oder legte ein Riesenpuzzle, so ein ganz langweiliges, das hundertsechzehn Schwäne zeigte, die zwischen Eisschollen herumschwimmen. Oder sie blätterte in einem Versandhauskatalog mit der neuesten Damenunterwäsche und melierten Herrenunterhemden.

      Der Bus fuhr über die Brücke über den Göta-Fluss und Eddie schaute zur Hafeneinfahrt hinüber. Die Herbstluft war klar und kalt, er konnte also ganz weit sehen. Warum durfte er nicht hier in Göteborg bleiben? Hier gab es doch reichlich Meeresluft? Er sah sogar eine Möwe. Aber Quallen gab es in Göteborg genauso wie in Lysekil. Von allem Gefährlichen, was es im Meer gibt, sind Quallen das Gefährlichste. Das fand Eddie jedenfalls. Haie: kein Problem. U-Boote: auch leicht reinzulegen. Aber Quallen! Denen war nicht beizukommen. Die konnten unschuldige Menschen wer weiß wie lange verfolgen und sie verbrennen, sodass sie zwei Tage mit kühlen Umschlägen im Bett liegen mussten. Und vier Augen haben die. Wenn die Quallen müde werden, können sie mit zwei Augen schlafen und mit den anderen beiden Augen gucken und weiter Leute verfolgen. Und sobald sie einen Arm oder ein Bein erwischen, fangen sie an, mit ihren schrecklichen Fäden zu brennen, sodass die armen Menschen fast verbrennen. Als Eddie klein war, ist er selbst mal schwer verbrannt worden an den Armen und am Hals. Genau in Lysekil. Eine gefährliche Stadt. Mit Eddies Bach war das doch was anderes – da gab es nicht eine einzige Qualle.

      Er hatte eine weite Reise vor sich und wusste nicht, wie er sich die Zeit vertreiben sollte. Er beschloss, schielen zu lernen. Arne konnte das prima. Ob Quallen wohl schielen können? Eddie wollte sie übertrumpfen. Er versuchte, auf seine Nase zu gucken. Das war der beste Trick. Aber man musste aufpassen (sagte Arne immer), dass der Wind nicht drehte und gleichzeitig der Hahn krähte, denn sonst schielt man bis in alle Ewigkeit. Eddie spürte keinen Wind und er sah auch keinen Hahn, Eddie konnte also intensiv trainieren. In Kungälv stieg eine einzige Person zu, eine griesgrämige Frau mit braunem Regenmantel und roter Baskenmütze.

      Wo die sich wohl hinsetzt, dachte Eddie nervös und umklammerte die Fahrkarte in seiner Tasche. Genau wie er befürchtet hatte, war das eine Frau ohne Manieren. Sie kam den Mittelgang mit einem Haufen Tragetaschen in den Händen entlang und ließ sich auf den Sitz neben Eddie plumpsen. Er rutschte näher ans Fenster. Die Frau guckte ihn freundlich an und holte eine Banane hervor. Als sie sie geschält hatte und anfing zu essen, verließ der Bus die Haltestelle und fuhr weiter nach Norden. Da holte sie noch eine Banane heraus.

      «Da ist eine Banane für dich», sagte die Frau zu Eddie.

      «Iss nur, du siehst so mickrig aus. Und jetzt, wo der Wind von vorn bläst, müssen wir Menschen zusammenhalten.»

      Eddie sah die Frau lange an. Dann streckte er einen Arm in die Luft und blieb so eine Weile sitzen.

      «Ist was mit dir, Kind?», fragte die Frau besorgt.

      «Aber wir haben doch keinen Wind von vorn», flüsterte Eddie. «Es bläst überhaupt kein Wind im Bus.»

      Da lachte die Frau. «Nun iss mal, Kind, damit du groß und stark wirst.» Sie klopfte ihm auf die Schulter und dann sah sie geradeaus auf die Straße.

      So sind sie wohl, die Leute aus Lysekil, dachte Eddie, während er die Banane aß. Die merken sogar im Bus, wenn draußen der Wind von vorn bläst.

      Tante Ann-Sofie

      Der Bus erreichte Lysekil und rollte langsam die Pier entlang, nah an den Schiffen, Eddie spähte übers Meer. Ob er hier noch Boden unter den Füßen hatte? In seinem Bach hatte er das. Wenn ihm etwas in seinen Bach fiel – und das passierte hin und wieder –, konnte er es fast immer wieder rausholen. Hier am Meer war vermutlich alles schlimmer. Eddie kontrollierte, dass Arnes Armbanduhr noch fest an seinem Arm saß. Er spürte förmlich Arnes festen Griff im Nacken, während er, Eddie, zu erklären versuchte, warum Arnes Armbanduhr auf dem Meeresboden lag. Eddie schluckte, dann fing er an zu lachen. Was sollte das eigentlich? Er hatte sie ja noch gar nicht verloren. Er tastete seinen Nacken ab. Keine packende Hand.

      «Südhafen!», rief der Busfahrer und Eddie stieg schnell aus.

      Ann-Sofie sah er sofort. Da stand sie und unterhielt sich mit einer anderen Frau, während sie den Bus anstarrte. Dann ließ sie die andere Frau stehen und kam auf Eddie zu. Sie schüttelte ihm etwas feierlich die Hand und sie sah freundlich aus, obwohl sie nicht lächelte.

      «Da bist du ja», sagte sie. «Du siehst aus, als ob du was zu essen brauchtest. Hast du keinen Koffer?»

      Eddie schüttelte den Kopf. Sie gingen über den Marktplatz. Am anderen Ende lag eine ziemlich große, verlockende Imbissbude. Aber leider duftete es nach nichts.

      «Ist dein Papa jetzt in diesem Heim?», fragte Ann-Sofie.

      Eddie nickte.

      «Er soll lernen, nicht mehr zu trinken», sagte er. «Wenn er ganz trocken ist, kommt er nach Hause.»

      «Das werden wir ja sehen», sagte Ann-Sofie und seufzte.

      «Was siehst du?», fragte Eddie höflich.

      «Na, eben das», fauchte Ann-Sofie.

      Eddie lächelte ein bisschen unsicher. Sie kamen an einem Stand vorbei, an dem ein Mann frische Krabben verkaufte. Eddie guckte weg. Wenn der nun auch Quallen verkaufte! In Lysekil gab es bestimmt massenhaft Quallen. Vielleicht aßen die Leute ja anstelle von Käse oder Wurst Quallen als Brotbelag! Knäckebrot mit gebratener Qualle, das schmeckte wahrscheinlich nicht besonders gut.

      «Dann sag ich einfach, ich bin Vegetarier», sagte Eddie entschlossen zu sich selbst.

      «Was hast du gesagt?», fragte Ann-Sofie.

      «Na, eben das», sagte Eddie.

      Seine Tante ging mit sehr energischen Tantenschritten, sodass Eddie fast neben ihr herlaufen musste. Er wünschte, sie hätte ihn an die Hand genommen. Viele Tanten machten das, wenn sie mit einem Kind spazieren gingen. Kein Rowdy würde sich trauen, so eine zusammengeschweißte Gesellschaft auch nur anzugucken. Nicht mal die großen schrecklichen Jungen mit den kahl rasierten Köpfen und Sicherheitsnadeln in den Backen.

      In dem Augenblick nahm Ann-Sofie ihn bei der Hand, und zwar ziemlich fest. Es war wunderbar, obwohl ihre Hand so groß und rissig war und ganz rot. Eddie war plötzlich sehr fröhlich und hatte Lust, zu pfeifen und zu schielen und auf einem Bein zu hüpfen.

      «Was machst du?», fragte Ann-Sofie.

      «Das», sagte Eddie und kicherte.

      Ann-Sofies Mann hieß Malkolm und er saß oft auf dem Sofa. Das heißt auf der Bank in der Küche. Da saß er, weil er von dort so gut sehen konnte. Ja, eigentlich sah er den Fernseher und die Keksdose und die Wanduhr, aber vor allen Dingen sah er das Fenster. Und da Ann-Sofie so fleißig aufräumte und ihre Fenster oft putzte, konnte