Die Skrupellose - Schweden-Krimi. Inger Frimansson

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Название Die Skrupellose - Schweden-Krimi
Автор произведения Inger Frimansson
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726445015



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er, es nicht persönlich zu nehmen.

      Andererseits gab es auch einige, die sich gerne unterhielten und einen gar nicht mehr gehen lassen wollten.

      »Kommen Sie doch mit, ich lade Sie zu einer Tasse Kaffee ein«, hatte ihn eine dieser alten Schachteln immer wieder eingeladen. Sie trug meistens eine bekleckerte, karierte Hose und hatte kleine, blutunterlaufene Augen.

      Ein einziges Mal war er mitgegangen. Die Frau wohnte in einer Einzimmerwohnung, die mit verstaubtem Nippes voll gestopft war. Ihre Hände zitterten, als sie Kaffeepulver in den Filter gab. Er hatte wie auf Kohlen gesessen. Der Kaffee war schwach, aber heiß gewesen, und er hatte sich die Zunge verbrannt. Von da an hielt er sie sich vom Leib.

      »Ich habe leider keine Zeit.« Er hatte ihren Vornamen vergessen. S. stand an der Tür. S. Andersson, er wollte nicht daran erinnert werden, sich nicht erinnern. Schabracke Andersson.

      Auf ihrer Etage musste er immer besonders schnell schrubben. Aber er wusste genau, dass sie hinter der Tür war, er spürte ihren Blick durch den Spion. Er war wie ein Laserstrahl, wenn er ihm zu nahe kam, würde er den Alarm auslösen. So ließ er seiner Fantasie freien Lauf, um stärker zu werden. Es galt, weiterzuschrubben, die abgetretene Treppe feucht zu machen, zu wienern und zu wischen, sich aber stets von dem Strahl fern zu halten.

      Du bist kindisch, schoss es ihm manchmal durch den Kopf. Dann wurde er beinahe wütend auf sich selbst.

      Aber es war eben ein Weg, die Arbeit erträglich zu gestalten.

      Eine andere Möglichkeit waren die Namensschilder auf den Türen, zu denen man sich etwas einfallen lassen konnte. Buxterhud zum Beispiel. Wie mochte jemand aussehen, der so hieß? Er hatte noch nie jemanden aus dieser Wohnung kommen sehen, stellte sich aber einen großen und angeberischen Kerl mit breitem Kreuz vor. Wenn er schlampig schrubbte und Buxterhud ihn dabei erwischte, dass er es mal nicht so genau nahm, würden sich die krallenartigen Finger des Mannes in seinen Nacken bohren und er in Buxterhuds kleinen Flur geschleift werden. Manchmal bekam er eine Erektion, wenn er sich vorstellte, was hinter dieser Tür alles geschehen könnte.

      Mittlerweile hatte er sich schon in die vierte Etage heruntergearbeitet. Trotz der Wärme kam er heute schnell voran. Das halbe Haus war fertig, allerdings kam der Flur im Keller noch hinzu. Andererseits war es dort unten dunkel, es gab kein entlarvendes Sonnenlicht. Wenn er diese Etage fertig hatte, würde er frisches Wasser holen müssen. Er drehte sich um und summte, hier ging die Arbeit leicht von der Hand, es stand nicht jede Menge Zeug vor den Türen wie an anderen Stellen im Haus: Kinderwägen, Fahrräder, leere Getränkekästen und Müll. Im Grunde war das verboten. Aber wer war er, so etwas zu beanstanden?

      Die Leute darauf ansprechen? Nein, das war bestimmt falsch. Was hieß wohl beanstanden auf Deutsch?

      Er hatte sich vorgenommen, Deutsch zu lernen. Seit fast einem Jahr paukte er nun, und schuld war sein Buder Jerry. Man könnte auch sagen, es war sein Verdienst. Sie waren im Tre backar ein Bier trinken gewesen, einer Kneipe mit Bücherregalen an den Wänden. Ein Buch war auf ihrem Tisch liegen geblieben, jemand hatte vergessen, es zurückzustellen. Daniel spielte damit und las plötzlich laut vor:

       »Der Tod in Venedig.«

      Der Tod.Aber er hatte das Wort schwedisch ausgesprochen, das O als ein U gelesen.

      So etwas hätte er niemals getan, wenn er nicht getrunken hätte, nicht in Jerrys Gegenwart, denn Jerry war jemand, der immer alles besser wusste. Er hatte Daniel das Buch aus der Hand genommen und mit überdeutlicher Stimme seine Aussprache korrigiert:

      »Der Tood in Venedig. Von Thomas Mann.«

      »Na und?«

      »Das ist Deutsch. Man spricht es mit O. Es bedeutet Tod. Falls du das nicht wusstest.«

      Es war doch klar wie Kloßbrühe, dass er das nicht wusste. Er hatte nie Deutsch gelernt, war ohnehin nicht sonderlich sprachbegabt und generell keine große Leuchte in der Schule gewesen.

      Erst wurde er wütend. Konnten die nicht so schreiben, dass man es als Schwede richtig aussprach? Stattdessen machten sie es einfachen Leuten wie ihm absichtlich schwer. Musterten sie aus, schufen Klassenunterschiede. Aber er konnte auch verdammt stur sein. Als er an jenem Abend nach Hause ging, hatte er seinen Entschluss gefasst.

      In seinem Elternhaus fand er eine deutsche Grammatik, die seine Mutter benutzt hatte, als sie jung war. Sie hatte den Umschlag mit Blumengirlanden verziert, Kurzgefaßte deutsche Grammatik von Hjalmar Hjort und Sven Lide. Er nahm sich unverzüglich die Ausspracheregeln vor und wäre bereits daran fast gescheitert.

      Doch zu der Zeit hatte er Ulrika kennen gelernt.

      Und sie konnte verdammt gut Deutsch.

      Jetzt wischte er vor der letzten Tür in der vierten Etage. J. Bosch stand auf dem Namensschild, vielleicht war der Mieter ja Deutscher, J. Bosch. Sollte er klingeln und fragen? Irgendetwas sagen? Eine der Phrasen vorbringen, die er auswendig gelernt hatte?

       Denen, die tapfer sind, steht die Welt offen.

      Die Tür öffnete sich unvermittelt und eine Frau trat in den Flur hinaus. Sie schaute sich um, zog anschließend die Tür hinter sich sehr nachdrücklich zu und schloss ab. Sie war älter als er, ein paar Jahre vielleicht. Höchstens 35, ein breiter Hintern, um den sich ein eng sitzender Rock spannte, sodass er die Passform ihres Slips sah. Sie hatte blonde Haare, die nachlässig zu einem Knoten hochgesteckt waren. Da war etwas mit ihren Augen, sie starrten ihn an und brannten ihn in die Wand.

      »Hallo«, entfuhr es ihm.

      »Hei. Du bist das also, der hier putzt?«

      Er nickte.

      Sie trug Schuhe mit hohen Absätzen. Ihre Beine schimmerten irgendwie. Als sie die Tür zum Aufzug öffnete, drehte sie sich noch einmal um und lächelte ihm zu.

      »Wie heißt du?«

      »Daniel.«

      »Keep smiling, Daniel. Keep smiling.«

      Sie ging ihm den ganzen Weg bis nach Vällingby nicht mehr aus dem Sinn. Er saß in der U-Bahn und musste dauernd an sie denken.

      »Keep smiling, Daniel. Keep smiling.«

      Ihre Art, seinen Namen auszusprechen, fast wie Dánniel. Ihre raue, etwas heisere Stimme. Als hätte sie in ihrem Leben viel geschrien.

      Bei Orgasmen?

      Er schloss die Augen und versuchte sich an ihr Aussehen zu erinnern, eine schmale Taille, er würde sie mit den Händen umfassen können, und üppige Hüften, sie hatte einen kurzen Rock getragen, der nur den halben Oberschenkel bedeckte, und ein T-Shirt, ihre Haut war glänzend und braun gewesen.

      Es gibt andere Frauen, dachte er. Zum Teufel, es gibt auch noch andere Frauen als Ulrika. Wenn ich ihr nicht mehr gut genug bin.

      Aber ich könnte sie vielleicht überraschen.

      Mit einer Flasche Wein. Und einem Strauß Rosen. Nein, das geht zu weit, der Wein muss reichen. Im Grunde kann ich mir nicht einmal den leisten.

      3. Magda

      Sie konnte es nicht glauben, es einfach nicht akzeptieren. Sie hob das Kissen hoch, so als hätte Angelica platt wie eine Briefmarke darunter liegen können. Das Kissen fiel ins Gras, und das Diadem holperte davon. Sie hob es wieder auf. Ihre Bewegungen waren schwerfällig und steif. Sie hielt das Diadem in der Hand und hörte, wie sich ihre Lippen mit einem schmatzenden Laut öffneten.

      »Angelica!« Ihre Stimme überschlug sich krächzend, und sie rief erneut, diesmal jedoch lauter, schneller. Ihr Mund war ausgedörrt, sie betrachtete die Saftflasche, griff aber nicht danach.

      Der Saft ist für sie, sie braucht ihn dringender als ich. Wenn sie kommt. Kommt?

      Aber sie hatte doch geschlafen. Sie lag doch im Wagen und schlief.

      »Magda?« Kattis kam den Hügel hinauf. Kattis und die Kinder. Magda zählte sie durch. Nein,