Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane. Felix Dahn

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Название Die Zeit der Völkerwanderung: 14 Historische Romane
Автор произведения Felix Dahn
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788027222049



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im liebenden Herzen, teils Reue und Mitleid mächtiger als je zu dem leidenden König.

      Oft wurden sie jetzt auch durch ein gemeinsames Werk der Barmherzigkeit vereint. Die Bevölkerung von Ravenna hatte in den letzten Wochen angefangen, während die Belagerer von Ancona aus das Meer beherrschten und aus Calabrien und Sizilien reiche Vorräte bezogen, Mangel zu leiden. Nur die Reichen vermochten noch die hohen Preise des Getreides zu bezahlen. Des Königs mildes Herz nahm keinen Anstand, aus dem Überfluß seiner Magazine, die, wie gesagt, die doppelte Zeit bis zum Eintreffen der Franken auszureichen versprachen, auch an die Armen der Stadt wohltätige Verteilungen zu machen, nachdem er seine gotischen Tausendschaften versorgt hatte: auch hoffte er auf eine große Menge von Getreideschiffen, welche die Goten in den oberen Padus-Gegenden auf diesem Flusse zusammengebracht hatten und in die Stadt zu schaffen trachteten.

      Um aber jeden Mißbrauch und alles Übermaß bei jenen Spenden fernzuhalten, überwachte der König selbst diese Austeilungen: und Mataswintha, die ihn einmal mitten unter den bettelnden und dankenden Haufen angetroffen, hatte sich neben ihn auf die Marmorstufen der Basilika von Sankt Apollinaris gestellt und ihm geholfen, die Körbe mit Brot verteilen. Es war ein schöner Anblick, wie das Paar, er zur Rechten, die Königin zur Linken, vor der Kirchenpforte stand und über die Stufen hinab dem segenrufenden Volk die Spende reichte.

      Während sie so standen, bemerkte Mataswintha unter der drängenden, flutenden Volksmasse – denn es war viel Landvolk ja auch von allen Seiten vor den Schrecken des Krieges in die rettenden Mauern zusammengeströmt – auf der untersten Stufe der Basilika seitwärts ein Weib in schlichtem, braunem, halb über den Kopf gezogenem Mantel. Dies Weib drängte nicht mit den andern die Stufen hinan, um auch Brot für sich zu fordern: sondern lehnte, vorgebeugt, den Kopf auf die linke Hand und diesen Arm auf einen hohen Sarkophag gestützt, hinter der Ecksäule der Basilika und blickte scharf und unverwandt auf die Königin.

      Mataswintha glaubte, das Weib sei etwa von Furcht oder Scham oder Stolz abgehalten, sich unter die keckern Bettler zu mischen, die auf den Stufen sich stießen und drängten: und sie gab Aspa einen besondern Korb mit Brot, hinabzugehen und ihn der Frau zu reichen. Sorglich bemüht häufte sie mit mildem Blick und mit den beiden weißen Händen tätig das duftende Gebäck. –

      Als sie aufsah, begegnete sie dem Auge des Königs, das, sanft und freundlich gerührt, wie noch nie, auf ihr geruht hatte. – Heiß schoß ihr das Blut in die Wangen, und sie zuckte leise und senkte die langen schönen Wimpern.

      Als sie wieder aufsah und nach dem Weib im braunen Mantel blickte, war dies verschwunden. Der Platz am Sarkophag war leer.

      Sie hatte, während sie den Korb füllte, nicht bemerkt, wie ein Mann mit einem Büffelfell und einer Sturmhaube, der hinter der Frau stand, sie beim Arme gefaßt und mit sanfter Gewalt hinweggeführt hatte. «Komm», hatte er gesagt, «hier ist kein guter Ort für dich.» Und wie im wachen Traum hatte das Weib geantwortet: «Bei Gott, sie ist wunderschön.»

      «Ich danke dir, Mataswintha!» sprach der König freundlich, als die für heute bestimmten Spenden verteilt waren.

      Der Blick, der Ton, das Wort drangen tief in ihr Herz. Nie hatte er sie bisher bei ihrem Namen genannt, immer nur die Königin in ihr gesehen und angesprochen. Wie beglückte sie das Wort aus seinem Munde und wie schwer lastete doch zugleich diese Milde auf ihrer schuldbewußten Seele! Offenbar hatte sie sich zum Teil seine wärmere Stimmung durch ihr werktätiges Mitleid mit den Armen erworben. «Oh, er ist gut», sagte sie, halb weinend vor Erregung, «ich will auch gut sein.»

      Als sie mit diesem Gedanken in den Vorhof des ihr angewiesenen linken Flügels des Palastes trat – Witichis bewohnte den rechten, eilte ihr Aspa geschäftig entgegen. «Ein Gesandter aus dem Lager», flüsterte sie der Herrin eifrig zu. «Er bringt geheime Botschaft vom Präfekten einen Brief, von Syphax’ Hand, in unsrer Sprache – er harrt auf Antwort…» –

      «Laß», rief Mataswintha, die Stirne furchend, «ich will nichts hören, nichts lesen. Aber wer sind diese?»

      Und sie deutete auf die Treppe, die aus der Vorhalle in ihre Gemächer führte. Da kauerten auf den roten Steinplatten Weiber, Kinder, Kranke, Goten und Italier durcheinander, in Lumpen gehüllt – eine Gruppe des Elends.

      «Bettler, Arme, sie liegen hier schon den ganzen Morgen. Sie sind nicht zu verscheuchen.» – «Man soll sie nicht verscheuchen!» sprach Mataswintha, nähertretend.

      «Brot, Königin! Brot, Tochter der Amalungen!» riefen mehrere Stimmen ihr entgegen. «Gib ihnen Gold, Aspa, alles, was du bei dir trägst, und hole… –» – «Brot! Brot! Königin, nicht Gold! Um Gold ist kein Brot mehr zu haben in der Stadt.»

      «Vor des Königs Speichern wird es umsonst verteilt. Ich komme gerade davon her, warum wart ihr nicht dort?»

      «Ach, Königin, wir können nicht durchdringen», jammerte eine hagere Frau. «Ich bin alt, und meine Tochter hier ist krank, und jener Greis dort ist blind. Die Gesunden, die Jungen stoßen uns zurück. Drei Tage haben wir’s umsonst versucht: wir dringen nicht durch.» – «Nein, wir hungern», grollte der Alte. «O Theoderich, mein Herr und König, wo bist du? Unter deinem Zepter hatten wir vollauf. – Da kamen die Armen und Siechen nicht zu kurz. Aber dieser Unglückskönig… –»

      «Schweig», sprach Mataswintha, «der König, mein Gemahl», und hier flog ein wunderschönes Rot über ihre Wangen «tut mehr, als ihr verdient. Wartet hier, ich schaffe euch Brot. Folge mir, Aspa!»

      Und rasch schritt sie hinweg. «Wohin eilst du?» fragte die Sklavin staunend.

      Und Mataswintha schlug den Schleier über ihr Antlitz, als sie antwortete: «Zum König!»

      Als sie das Vorgemach des Witichis erreicht, bat sie der Türsteher, der sie mit Befremden erkannte, zu verweilen. «Ein Abgesandter Belisars habe geheime Audienz: er sei schon lange im Gemach und werde es bald verlassen.»

      Da öffnete sich die Türe: – und Prokop stand zögernd auf der Schwelle. «König der Goten», sprach er, sich nochmals wendend, «ist das dein letztes Wort?» – «Mein letztes, wie’s mein erstes war», sprach der König voller Würde. – «Ich gönne dir noch Zeit: – ich bleibe noch bis morgen in Ravenna.» – «Von jetzt an bist du mir als Gast willkommen, nicht mehr als Gesandter.» – «Ich wiederhole: fällt die Stadt mit Sturm, so werden alle Goten, die höher als Belisars Schwert, getötet – er hat’s geschworen! Weiber und Kinder als Sklaven verkauft – Du begreifst: Belisar kann keine Barbaren brauchen in seinem Italien – Dich mag der Tod des Helden locken: aber bedenke die Hilflosen – ihr Blut wird vor Gottes Thron –» – «Gesandter Belisars, ihr steht in Gottes Hand wie wir, leb’ wohl.« Und so mächtig wurden diese Worte gesprochen, daß der Byzantiner gehen mußte, so ungern er es tat. Die schlichte Würde dieses Mannes wirkte stark auf ihn. Aber auch auf die Lauscherin.

      Als Prokop die Türe schloß, sah er Mataswintha vor sich stehn und trat bewundernd einen Schritt zurück, geblendet von so viel Schönheit. Ehrerbietig begrüßte er sie. «Du bist die Königin der Goten!» sagte er, sich fassend, «du mußt es sein.»

      «Ich bin’s!» sagte Mataswintha, «hätt’ ich das nie vergessen.» Und stolz rauschte sie an ihm vorüber.

      «Augen haben diese Germanen, Männer und Weiber», sagte Prokop im Hinausgehen, «wie ich sie nie gesehen.»

      Zwanzigstes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Mataswintha war inzwischen unangemeldet bei ihrem Gatten eingetreten.

      Witichis hatte alle Gemächer, welche die Amalungen Theoderich, Athalarich, Amalaswintha bewohnt (sie lagen im Mittelbau des weitläufigen Palastes), unberührt gelassen und einige auch früher schon von ihm, wenn er die Wache am Hofe hatte, bewohnte Räume im rechten Flügel bezogen. Er hatte die Gold-und Purpurabzeichen der Amaler nie angelegt und aus seinen Zimmern allen königlichen Pomp entfernt. Ein Feldbett auf niedern Eisenfüßen, auf welchem sein Helm, sein Schwert und