Название | Die Apokalypse ist nicht das Ende der Welt |
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Автор произведения | Marie-Christin Spitznagel |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783740973711 |
Tief einatmend öffnete Sofia die Augen, blickte quer durch ihre Wohnung und musste, trotz allem, lächeln. Sie liebte ihre Wohnung. Für sie war es ihr Rückzugsort, etwas, das nur ihr gehörte. Das machte sie glücklich. Sie kam aus einer Familie mit fünf Kindern, war das unauffällige mittlere Kind, das sich ein Zimmer mit ihren beiden großen Schwestern hatte teilen müssen und deren Kleider sie aufgetragen hatte. Ihre beiden jüngeren Brüder hatten natürlich neue Sachen bekommen. Bis sie von Zuhause auszog, was ein Drama opernhaften Ausmaßes seitens ihrer Mutter ausgelöst hatte; der letzte Akt lief noch - hatte sie nie etwas ausschließlich für sich besessen.
Mit einem wohligen Seufzer kuschelte Sofia sich tiefer in den schweren, dunkelbraunen Ledersessel mit schräger Rückenlehne. Von diesem Platz unter dem Fenster aus konnte sie ihr kleines Reich komplett überblicken. Wohn- und Schlafzimmer gingen ineinander über, getrennt durch einen dünnen, weißen Vorhang. Ein schlichtes, weißes Metallbett stand neben einem Stuhl, den sie als Nachttisch nutze. Über dem Bett hingen zwei Lichterketten und sorgten für eine gemütliche Beleuchtung.
Ihre Mutter war keineswegs glücklich darüber, dass ihre Tochter lieber alleine wohnen wollte und sich mehr für ihren Job in einer Bank interessierte, als sich einen Mann zu suchen und möglichst schnell Kinder in die Welt zu setzen wie ein katholisches Meerschweinchen.
Sofia war glücklich mit ihrer Entscheidung. Sie hatte sich gegen ihre Mutter durchgesetzt. Aber hätte sie jemand gefragt, ob sie auch glücklich war mit ihrem Leben, wäre die Antwort eher aus Reflex denn aus Überzeugung gekommen. Tatsächlich hatte sie inzwischen das Gefühl, sich seit Jahren nicht mehr weiterzuentwickeln, sondern auf der Stelle zu treten. Sie hatte die Ziele ihrer Jugend erreicht, war unabhängig, eigenständig. Derzeit fehlten ihr neue Ziele, auf die sie hinarbeiten konnte.
Ihr Blick fiel auf den Ganzkörperspiegel links in der Ecke neben ihrem Bett. Gewissenhaft blickte sie ihrem Spiegelbild ins Gesicht, sah ihre braunen Augen, ihr fein geschnittenes Gesicht mit den hohen Wangenknochen, die dunklen und sorgfältig gestutzten Augenbrauen, die feine schmale Nase. Wie lange war es schon her, dass sie ihren Anblick im Spiegel gemocht hatte? Ihre Haare waren schon wieder ganz aus der Form geraten, und auch zur Kosmetikerin musste sie wieder, ihre Haut war vor lauter Stress ganz fahl.
Sie rappelte sich aus dem Sessel hoch, um ihr abendliches Yogaprogramm vorzubereiten: Kleider wechseln, Matte ausrollen, DVD einlegen. Eine dauerlächelnde, sehnige junge Frau begrüßte Sofia, und mit Bedauern stellte sie fest, dass deren aufgesetzte Begeisterung ganz und gar nicht ansteckend war.
Eine halbe Stunde später erhob sie sich aus der Yoga-Pose ‹herabschauender Hund›, bei der sie sich auf Füße und Hände stützte, den Po hoch in die Luft gestreckt. Sie ließ ihr Becken sinken, bis ihr Körper eine Gerade bildete und schob ihren linken Fuß zwischen ihre aufgestützten Hände. Ihr Gewicht verlagerte sie wieder auf beide Füße und richtete sich in die Kriegerposition auf. Dabei stand sie in weiter Grätsche, die Füße in einer Linie, das Becken nach vorn gedreht. Sie blickte in den Spiegel, um ihre Haltung zu kontrollieren.
Vor ihren Augen verschwamm ihr Gesicht. Fest rieb sie mit den Fingerkuppen über ihre Augenlider bis Sternchen erschienen. Fast wäre sie dabei aus dem Gleichgewicht gekommen. Als sie ihre Augen wieder öffnete, sah sie nichts ihm Spiegel außer ihrem Wohnzimmer und einem hellen, strahlenden Licht an der Stelle, wo eigentlich sie hätte stehen sollen.
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