Die Sache, die man Liebe nennt. Lise Gast

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Название Die Sache, die man Liebe nennt
Автор произведения Lise Gast
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788711509111



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      »Nicht den ersten gemacht, nein. Aber den dritten. Sie war sehr stolz. Ich hab’ es ihr gegönnt.«

      »Dazu wäre meine Altvordere auch fähig. Aber du, solche Mütter sind gar nicht die schlimmsten«, sagte Angeli, und es klang, als habe sie soeben die Formel für den Stein der Weisen entdeckt. Selbst erstaunt, aber überzeugt, fuhr sie fort: »Weißt du, bis jetzt dachte ich immer, man sei geschlagen mit so einer Alten. Aber wenn du dir’s überlegst: Mütter, die auf Kaffeeklätschen sitzen und dicker und dicker werden – auch innerlich verfetten, verstehst du –, die sind vielleicht viel schlimmer.«

      »Die gibt’s doch gar nicht mehr«, sagte Tim, »alle hungern sie und saufen Karottensaft.«

      »Hast du ’ne Ahnung! – Sieh mal, dort drüben – du, ich glaub’, diesmal sind das keine Rinder! Wollen wir?«

      Sie galoppierten an. Es waren wirklich keine Kühe. Der Leuchtturm samt Lokführer waren schon am Ball. Letzterer machte wilde Zeichen, daß Tim und Angeli auf der anderen Seite bleiben sollten. Diese Zeichen waren zu wild, die Einjährigen hatte ja auch Augen. Zwei von ihnen, die sowieso vorn und anscheinend am aufgeregtesten waren, warfen die Köpfe und gingen ohne Übergang in Renngalopp über. Tempo steckt an. Im Nu war die ganze Herde ein flaches, sausendes, schweifefliegendes Feld – hoho, ein Wunschtraum für zwei berittene Nichtsnutze wie Tim und Angeli. Tim sah den Schriftgelehrten, der zu seiner Überraschung auch dabei war – er mußte den Leuchtturm und seine Begleiter eingeholt haben, während er und Angeli die Kuhherde jagten –, einen bildschönen Salto nach rückwärts schlagen: er war auf ein so plötzliches Anspringen seines Pferdes nicht gefaßt gewesen. Auch der Leuchtturm sah es und fluchte berserkerhaft, aber das half dem Philologen nicht wieder aufs Roß. Das ging hinter den Fohlen her, seine Bügel wehten, der Zügel hing ungleichmäßig lang durch, ein ekelhafter Anblick für jeden Reiter. Jetzt trat der eine Vorderhuf hinein – gottlob, das Leder zerfetzte, nun konnte dem Pferd nicht mehr viel passieren.

      Der Leuchtturm und der Lokführer ritten rechts der Herde, Angeli und Tim links. Sie versuchten, die Flüchtenden langsam, aber stetig in die Richtung zu schieben, die der Leuchtturm angegeben hatte.

      Es war hell geworden. Die Sonne, herbstlich blaß, schien den Reitern und Pferden genau waagerecht in die Augen. Tim und Angeli zogen die Kappen tiefer. Sie verständigten sich mit halblauten Rufen. Von drüben, vom Reitlehrer her, konnte man nichts hören, dazwischen war das Trommeln der Hufe. »Bis übermorgen so weiter!« juchzte Angeli einmal, und Tim fand, daß er soeben dasselbe gedacht hatte. Jetzt näherten sie sich Gebäuden, die einsam lagen. Tim versuchte, gegen die Sonne zu erkennen, wo das Tor war – die ganze ungezogene Jugend mußte ja durch irgendeine Öffnung in die freie Wildbahn gelangt sein.

      Dort! Eine Koppel mit heruntergeworfenen Schiebebäumen am Tor! Dorthin mußte die Bande; sie schien es selbst zu wissen. Der erste, ein lohfarbener Junghengst, galoppierte darauf zu, Tim schob die Mütze aus der Stirn und wollte soeben durchparieren. Da fiel dem jungen Vierbeiner vor der Koppel offenbar ein, daß es noch Zeit habe mit der Heimkehr, er drehte halb ab, nach der andern Seite zu. Tim spähte gespannt, wie sich das Rennen entwickeln würde. Kam der Reitlehrer eher an, dann schnitt er dem Frechdachs den Weg ab, und der mußte nach links, die Herde mit ihm. Überspurtete er aber den Reiter ...

      Er schaffte es. In fliegendem Galopp zog er zwei Meter vor seinem Verfolger diesem vor der Nase vorbei, die andern hinterher. Nun gab es kein Halten mehr.

      »Wunderbar!« rief Tim halblaut und warf sich nach vorn. Angeli neben sich mehr ahnend als wahrnehmend, jagte er der Herde nach. Nun konnte das noch ein paar Stunden so weitergehen, ihm war es recht. Julfreund hatte eine ungemein kräftige Lunge.

      Und es ging weiter. Einen unvergeßlichen Vormittag lang jagten sie, bald näher, bald weiter hinter der Herde über die Alb, so richtig was fürs Herz. Als die Jungherde endlich auf Nummer Sicher war, hatten Reiter und Pferde keinen trokkenen Faden mehr am Leibe, trotz der Herbstkühle, und Tim vertraute Angeli an, er habe sich das erstemal im Leben einen Wolf geritten.

      »Bis auf den rohen Schinken durch«, versicherte er, und es klang außerordentlich befriedigt. »Künftige Reitlehrer müssen alles kennenlernen. Kannst ihn besichtigen.«

      Angeli dankte.

      An diesem Tag fiel der Unterricht aus. Das Putzen und Stallrichten natürlich nicht – gefüttert hatten die Daheimgebliebenen –, aber auf die Theorie mußte man verzichten. Der Leuchtturm hatte sich leise grollend zurückgezogen. Natürlich ahnte er, wie von Herzen junge Reiter solch eine Panne genießen, das wäre ein Grund zu lautem Groll gewesen. Aber drei seiner Schüler hatten sich doch wahrhaftig wacker gehalten und mitgeholfen, die Panne zu beseitigen. Der dritte ...

      Der Schriftgelehrte! Richtig, um den mußte man sich ja auch noch kümmern! Der Reitlehrer machte aus der Ecke kehrt, wie es bei der Hufschlagfigur heißt, und begab sich, statt in sein Zimmer, zurück ins Leben. O diese Lehranwärter! Aber warte, wenn ihr erst soweit seid!

      3

      Ich habe mein »Bestes« angezogen, ein sportliches Kostüm mit Pulli. Darin mochte ich mich am ehesten leiden; Uli hat ein so ausgesprochenes Talent, sich immer passend und vorteilhaft anzuziehen, daß ich meist neben ihr resigniere. Heute aber kam es für mich drauf an, hübsch auszusehen – ich gab mir alle Mühe. Sogar ein Paar neue Halbschuhe hatte ich mir gekauft, und die Strümpfe – hatten sie auch keine Laufmasche?

      »Machlos!« trieb Uli mich an, »einen Verlobten läßt man nicht warten.«

      »Herrje, immer diese Hast«, knurrte ich, in den Tiefen unseres gemeinsamen Schrankes wühlend, »wenn es ums Heiraten geht, drehen die Vernünftigsten durch.«

      »Es geht ja gar nicht um mich«, sagte Uli friedlich. »Ich meine nur, du solltest Jochen nicht mit Kleinigkeiten verärgern. Verlobt sein heißt klug sein.«

      »Natürlich.« Ich hatte mich nochmals gesetzt und betrachtete nachdenklich den noch blanken Ring am linken vierten Finger. »Verlobt sein ist komisch, aber auch schön. Es beruhigt. Verheiratet sein wahrscheinlich noch mehr.«

      »Ach, was du dir so denkst ...« Uli zupfte vor dem Spiegel an sich herum. »Es beruhigt – in einer Art schon. Aber Baldrian zum Beispiel beruhigt auch – und hu, nein ...« sie schüttelte sich. »Reden wir nicht davon.«

      »Sondern schweigen wir weiter zweistimmig von etwas anderem«, sagte ich, ausbrechend. »Von deinem verdammten Pessimismus in bezug auf die Ehe – und deinem vermaledeiten Sarkasmus den Männern gegenüber. Ja, und deiner höllischen Unkerei, was meine Zukunft betrifft. Warum in aller Welt soll ich nicht heiraten wie tausend andere und eine gute Ehefrau werden und sieben bis neun herzige Kinderchen in die Welt setzen, alle mit Jochens Klugheit begabt und seiner Ruhe, seiner Verläßlichkeit und ...«

      »Und seiner Denkerstirn, sprich: werdenden Glatze«, vollendete Uli heiter und zog ihre Augenbrauen nach. Ich erraffte das erste, was ich zu fassen kriegte – die Haarbürste –, und schleuderte sie nach ihr, die sich blitzschnell duckte. Peng, machte der Spiegel. Wir standen beide einen Augenblick mucksstill und hielten den Atem an. Sieben Jahre Pech – wir dachten es beide. Aber es auszusprechen, war Uli zu taktvoll und ich zu abergläubisch.

      »Ich war grade fertig und brauch’ keinen Spiegel mehr«, sagte Uli, aber es klang bemerkenswert lahm. Es klingelte an der Tür. Da kam Leben in mich.

      »Räum die Scherben weg, so was darf er nicht sehen«, flüsterte ich rasch.

      »Weil ...«

      »Ach, weil so was nicht passieren darf. Es ist auch noch nie – wozu ihn also schockieren? Schnell, ich geh’ schon hinunter.«

      Uli gehorchte. Unten stand Jochen – Dr. Joachim Schneider, Patentanwalt –, und begrüßte mich mit einem Kuß auf die Wange. Wir stiegen ein, ich vorn, Uli hinten. Jochen fährt einen seiner Stellung angemessenen, aber keineswegs protzigen Wagen. Ich saß und vermied es, Ulis Blick im Rückspiegel zu begegnen. Obwohl – nun, Uli sollte sich nur unterstehen zu grinsen, wenn ihr ihr Leben lieb war. Über Jochen wird nicht gegrinst, auch nicht heimlich. Ich war wild entschlossen, ihn zu verteidigen