Ferryman – Die Verstoßenen (Bd. 3). Claire McFall

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Название Ferryman – Die Verstoßenen (Bd. 3)
Автор произведения Claire McFall
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783038801375



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Dämon bereits weitergezogen war, konnte er überall und nirgends sein.

      Sie brauchten nicht lange, um den Waldrand zu erreichen. Wenigstens hatte der Regen fast ganz nachgelassen und Dylan konnte ihren Schirm auf einer niedrigen Steinmauer ablegen, die das Wäldchen säumte. Dann half Tristan ihr hinüber und sie machten die ersten Schritte unter den dunklen Baumwipfeln. Hier wuchsen fast ausschließlich Fichten, die ihre Nadeln das ganze Jahr über behielten, und bei dem bewölkten Himmel war es zwischen den Stämmen ziemlich schummrig.

      Das Wäldchen war winzig; nach ein paar Dutzend Schritten hatten sie die Mitte erreicht und Dylan konnte bereits das schwache Licht sehen, das von der anderen Seite her durchsickerte.

      »Vorsicht …« Tristan hob einen dicken abgebrochenen Ast auf. »Das Versteck eines einzelnen Dämons muss nicht sehr groß sein. Jeder Fuchs- oder Dachsbau würde genügen oder sogar ein tiefer Spalt zwischen zwei Wurzeln. Hier drinnen, wo nur wenig direktes Sonnenlicht hinkommt, würden diese Kreaturen keine geschlossene Höhle brauchen.«

      »Na super«, murrte sie, ging weiter und setzte vorsichtig Fuß vor Fuß in dem schwammigen Untergrund aus feuchtem Laub und aufgeweichten Nadeln.

      Tristan zu ihrer Linken bewegte sich wie in einem Raster vorwärts, indem er methodisch jeden Quadratmeter Waldboden absuchte. Sie selbst arbeitete sich aufs Geratewohl voran, wanderte hierhin und dahin, untersuchte alles, was irgendwie ungewöhnlich wirkte oder eine seltsame Form aufwies. Sie fand nichts und allmählich reichte es ihr. Sie war durchgefroren und langweilte sich und hätte am liebsten aufgegeben. Auch Tristan hatte inzwischen seine systematische Suche beendet. Er stand da, eine Hand in die Hüfte gestemmt, und sah ziemlich frustriert aus.

      »Shit«, murrte er. »Hier ist er nicht.«

      »Aber das ist doch gut, oder?«, wandte sie ein. »Kein Dämon, kein Riss im Schleier. Und folglich auch kein Besuch vom Inquisitor.«

      »Ja, schon. Aber … ich war mir so sicher.«

      »Tut mir leid für dich.« Dylans Mund kräuselte sich zu einem erleichterten Lächeln. »Also, ehrlich gesagt bin ich nur froh, dass wir nicht von einem entlaufenen Tiger gefressen wurden.«

      Tristan warf lachend seinen Kopf zurück, verstummte aber plötzlich.

      »Was?« Sie schaute ihn an. »Was ist?«

      Er gab keine Antwort, zeigte nur mit dem Finger nach oben. Sie kam zu ihm herüber, stellte sich neben ihn und folgte seinem Blick. Dort oben, in sechs bis sieben Metern Höhe, hing eine wacklig aussehende Plattform zwischen den Bäumen. Mit zusammengekniffenen Augen blinzelte Dylan in das Schummerlicht und konnte undeutlich ein blaues Seil ausmachen, das die Plattform mit den Bäumen verband. Und wenn sie sich nicht täuschte, ragte sogar eine Art krudes Dach darüber auf, was das Ganze zu einem kleinen Baumhaus machte. Wahrscheinlich war es von einem Kind gebaut worden, das mittlerweile aus solchen Sachen herausgewachsen war.

      Diesmal entwich ihr ein Fluch.

      »Verdammt.« Sie stieß einen tiefen Seufzer aus und fügte hinzu: »Bitte sag mir, dass Dämonen unter Höhenangst leiden.«

      Tristan schnaubte und ließ seinen Ast fallen, der mit einem dumpfen Aufprall auf den Waldboden plumpste.

      »Ich klettere hoch und seh mir das mal an«, sagte er. »Und du bleibst hier, okay?«

      Er schwang sich auf den Baum hinauf, indem er sich an einem knotigen Abschnitt des Stamms festhielt. Dylan schaute zu, wie seine Füße auf der glitschigen Oberfläche nach Halt suchten – vergeblich. Er schlitterte auf den Boden zurück und rubbelte sich das klebrige Harz von seinen Handflächen.

      »Erfahrener Baumkletterer, was?«, spottete sie.

      »Nein«, gab er zu, ohne sich beirren zu lassen. Er wuchtete sich wieder hinauf und zog sich auf den untersten Ast. »Aber wer immer das gebaut hat, muss irgendwie hochgekommen sein, also schaffe ich das auch.«

      »Ja, klar«, murmelte Dylan vor sich hin, während sie um den Baum herumging und nach der untersten Sprosse fasste, die an den breitesten Stamm genagelt war. »Allerdings nehme ich an, dass diese praktische Leiter nicht nur als Deko angebracht wurde.«

      Es war nicht leicht – das Holz feucht und glitschig, ihre Armmuskeln alles andere als durchtrainiert, weil sie jeder Art von sportlicher Betätigung sorgfältig aus dem Weg ging. Wenigstens lagen die kleinen Sprossen dicht übereinander, sodass sie in weniger als einer Minute auf Augenhöhe mit Tristan war.

      Ihm fiel die Kinnlade herunter und sie grinste ihn frech an.

      »In Ordnung«, sagte er schließlich. »Du steigst jetzt wieder runter und ich geh hoch.«

      Sie schüttelte den Kopf. »Nein. Wir gehen beide. Wir machen das zusammen …«

      Diesmal schüttelte er den Kopf, bevor sie auch nur zu Ende sprechen konnte. »Dylan …«

      Ohne ihn zu beachten, kletterte sie weiter.

      »Dylan!«, zischte er wütend, weil er den Dämon nicht durch lautes Schreien aufscheuchen wollte, falls tatsächlich einer über ihnen lauerte. Aber sie ignorierte ihn und machte weiter. Eine Sekunde später hörte sie einen unterdrückten Fluch, dann knarzte es im Baum, als er schnell zu ihr hochkletterte.

      Sie ließ ihn. Ihr Wagemut hatte Grenzen – sie war jedenfalls nicht wild darauf, das Baumhaus allein unter die Lupe zu nehmen.

      Ein Stück unterhalb der Plattform hielt sie inne und Tristan tauchte fast sofort neben ihr auf. Er legte einen Finger an seine Lippen, dann streckte er eine Hand aus, um ihr zu bedeuten, dass sie zurückbleiben sollte. Sie schüttelte den Kopf. Auf keinen Fall würde sie zulassen, dass er sich allein in Gefahr begab. Tristan verzog das Gesicht, schien aber zu wissen, dass sie sich nicht aufhalten lassen würde.

      Also streckte er drei Finger hoch, dann zwei, dann einen. Eine Sekunde später stiegen sie weiter hinauf. Einen Schritt, dann noch einen. Die Plattform war nur noch eine Handbreit über Dylans Kopf, als der Baum unter ihrem Gewicht gefährlich ins Schwanken geriet. Sie klammerte sich an den Sprossen fest, drückte sich an den Stamm und schaute hinunter, was sie besser nicht getan hätte.

      Hilfe, war das hoch!

      Hoch genug, dass sie sich noch mal beide Beine brechen konnte. Warum hatte sie nicht auf Tristan gehört und war auf dem Boden geblieben? Aber sie konnte es einfach nicht ertragen, dass er sich allein in Gefahr brachte. Obwohl das dumm war, denn inwiefern sollte sie ihm eine Hilfe sein?

      Ein Windstoß fegte durch das Wäldchen und der Baum schwankte noch mehr. Den Griff noch fester umklammernd, gestattete sie sich einen Augenblick der Feigheit, bevor sie ihre Finger löste und nach der nächsten Sprosse fasste, um weiterzuklettern.

      Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Tristan sie besorgt beobachtete. Sie rang sich ein beruhigendes Lächeln ab, das aber zur Grimasse entgleiste. Als er sah, dass sie entschlossen voranging, kam er hastig hinterher, um sie erneut zu überholen.

      Ihr Kopf reichte jetzt über die Kante der Plattform. Leer. Jedenfalls auf den ersten Blick. Weiter hinten kam tatsächlich eine Art Dach zum Vorschein – oder eigentlich nur eine ausgefranste alte Plane, die längst zusammengesackt war und einen wirren Haufen bildete.

      Darunter konnte alles Mögliche sein.

      Oder nichts.

      Als sie Tristan unbeholfen über die Kante klettern sah, krabbelte sie schnell hinterher. Die Holzplanken waren dick und stabil, aber sie mussten lange Zeit der Witterung ausgesetzt gewesen sein und Dylan vertraute nicht darauf, dass die Seile und Nägel halten würden. Sie zog ihre Knie an und ging mit dem Rücken zum Baumstamm in die Hocke. Ihr Blick fiel auf ein kurzes Holzstück in greifbarer Nähe und sie hob es auf, wild entschlossen, auf alles einzuprügeln, was auf sie zuschoss, während Tristan langsam und vorsichtig auf die Plane zuschlich.

      Dort kauerte er sich nieder, streckte zögernd die Hand aus und packte die zerfransten Ränder des dicken Materials. Er hielt inne, die Plane in der Hand, und warf ihr einen Blick über die Schulter zu. Sie nickte, verlagerte ihr Gewicht, um besseren Halt zu finden,