Ferryman – Die Verstoßenen (Bd. 3). Claire McFall

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Название Ferryman – Die Verstoßenen (Bd. 3)
Автор произведения Claire McFall
Жанр Книги для детей: прочее
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Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783038801375



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in aller Welt waren sie hierhergekommen? Sie hatten doch beide Löcher zum Niemandsland geschlossen. Es gab keine Möglichkeit für die Dämonen, in die Wirklichkeit durchzubrechen.

      Und selbst wenn es einer geschafft hatte, was sollte er dann hier? So weit weg von den beiden Stellen, an denen der Schleier gerissen war – dem Tunnel, in dem sie ihr Leben verloren hatte, und der dunklen Gasse, in der Jack an einer Messerwunde verblutet war. Und hier waren nicht einmal Menschen gestorben, sondern Schafe, was zugegebenermaßen sehr merkwürdig war … aber es konnte doch unmöglich etwas mit ihr und Tristan zu tun haben?

      »Tristan!«, rief sie. »Es ist schon spät und es wird gleich dunkel.«

      »Ja, gut.« Er steckte sein Smartphone in die Tasche, nachdem er ein paar Schnappschüsse gemacht hatte. »Ich bin fertig.« Er kam zurück und im Gegensatz zu Dylan bewegte er sich mühelos durch den tiefen, saugenden Schlamm. Typisch.

      »Was denkst du?« Auch wenn sie noch so skeptisch blieb, sie war nun mal keine Expertin.

      Tristan zog eine Grimasse und warf einen Blick über die Schulter zu den verkohlten Kadavern einer ganzen Herde. »Ich weiß nicht«, gab er zu. »Die Kadaver sind zerfetzt und aufgeschlitzt, wie man es bei einer Dämonenattacke erwarten würde, aber …«

      »Aber es sind Schafe«, warf sie ein.

      »Richtig.«

      »Kann es nicht eine Meute bösartiger Hunde gewesen sein, die aus irgendeinem Grund in einen Blutrausch geraten sind?« Das hatte der wütende Bauer gesagt, als er in den Nachrichten interviewt worden war – Dylan sah ihn noch vor sich, mit seinen rot geränderten Augen unter der abgewetzten alten Kappe. »Oder ein Raubtier, wie die Polizei vermutet.«

      »Ja, vielleicht«, räumte Tristan zögernd ein.

      »Ich meine«, fuhr sie fort, »wir sind ja nicht mal in der Nähe der beiden Löcher. Wenn ein Dämon dort durchgekommen wäre, hätte er eine ganze Reihe von Ortschaften voll saftigem Menschenfleisch passieren müssen, bis er hier gelandet wäre.«

      »Saftiges Menschenfleisch?« Tristan zog eine Augenbraue hoch.

      »Du weißt schon, wie ich das meine.« Sie verdrehte die Augen und stieß ihn mit der Schulter an.

      »Du hast recht«, seufzte Tristan. »Wahrscheinlich hat es nichts zu bedeuten. Nur dass ich …« Er schaute noch einmal zu den verkohlten Überresten zurück. »Ich habe nur so ein komisches Gefühl, dass hier etwas nicht stimmt.«

      »Spürst du einen Dämon?« Tristans Worte brachten ihre Überzeugung ins Wanken und ihre eigenen mulmigen Gefühle nagten an ihr. Vielleicht war es doch nicht ganz so ausgeschlossen, dass die Schranke zwischen den Welten irgendwie durchbrochen worden war?

      »Nicht wirklich.« Tristan rümpfte die Nase. »Glaube ich jedenfalls. Ohne Susanna ist es viel schwieriger …«

      Er brach ab und sie knirschte mit den Zähnen. Schon wieder Susanna! Die Seelenfahrerin war bei der Dämonenjagd natürlich viel nützlicher gewesen als sie, was sie immer noch störte, wenn es ihr unter die Nase gerieben wurde, so wie jetzt.

      »Ja, klar.« Es kam schärfer heraus, als sie gewollt hatte.

      Sie blickte sich um, wobei sie die toten Schafe auszublenden versuchte. Sie waren nur wenige Meilen außerhalb von Kilsyth und das Land war säuberlich in einzelne Felder unterteilt. Einige, so wie das, auf dem sie standen, waren mit Gras bedeckt und wurden offensichtlich als Weide genutzt. Andere bestanden aus nichts weiter als gepflügter brauner Erde, deren sorgsam gezogene Furchen sich nach dem letzten Starkregen in Schlamm verwandelt hatten. Auf einem Hügel, ungefähr eine Meile entfernt, ragte ein großes Haus in die Höhe, umgeben von einigen Nebengebäuden und Ställen – wahrscheinlich der Bauernhof, zu dem die Felder hier gehörten. Hoffentlich waren die Leute, die dort wohnten, nicht zu Hause – sie hatte keine Lust, sich von einem wütenden Bauern verjagen zu lassen, der plötzlich den Hang heruntergerannt kam, mit einer Schrotflinte in der Hand.

      Weiter unten am selben Hang, auf dem schmalen Weg, der in die Hauptstraße zum Ort hinunter mündete, standen ein paar gepflegte kleine Cottages, in denen vielleicht früher einmal die Knechte und Mägde des Bauernhofs gewohnt hatten. Dylan hoffte inständig, dass die hohen Hecken um das Anwesen herum sie vor den Blicken der Bewohner verbargen, aber sie fühlte sich trotzdem ausgeliefert und verletzlich. Absurderweise hatte sie mehr Angst davor, von den Hofbesitzern erwischt und angeschrien zu werden, als wenn ein Dämon plötzlich aus der Hecke hervorgeschnellt wäre, um ihr ein Loch in den Bauch zu reißen.

      »Prioritäten setzen«, murmelte sie vor sich hin.

      »Was?« Tristan schaute auf die Landschaft hinaus, aber sie bezweifelte, dass er dabei an wütende Einheimische dachte.

      »Nichts«, sagte sie und versuchte sich zu konzentrieren. »Weißt du, auf welchem Feld das Pferd gestanden hatte?«

      »Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Nach dem Zeitungsartikel, den ich gelesen habe, liegt es weniger als eine Meile von dem Schafmassaker entfernt und wir können von hier aus eine gute Meile weit in alle Richtungen sehen. Es muss also ganz in der Nähe passiert sein.«

      »Okay.« Sie drehte sich langsam im Kreis. Es gab nicht sehr viel zu sehen. »Abgesehen von den Häusern scheint es hier nicht viele Verstecke zu geben.«

      »Wenn der Dämon einen Weg in die Häuser gefunden hätte, wäre es eine viel größere Geschichte geworden«, sagte Tristan.

      Dagegen ließ sich kaum etwas einwenden. Zerfleischte Leichen, deren Tod rätselhaft blieb, hätten natürlich Schlagzeilen gemacht. Flüchtig schoss ihr ein Bild von Denny durch den Kopf, dem Ort, in dem sie das Dämonennest gefunden hatten. Sie hatte noch immer Albträume von den bluttriefenden Wänden, obwohl sie nur einen kurzen Blick darauf erhascht hatte.

      »Und was machen wir jetzt?«, fragte sie.

      »Dämonen jagen«, entgegnete Tristan trocken. »Obwohl …« Er runzelte die Stirn. »Vielleicht sollten wir erst die Stelle suchen, wo er durchgekommen ist.«

      »Falls einer durchgekommen ist«, warf sie ein. Sie wollte immer noch nicht die Möglichkeit ausschließen, dass vielleicht doch kein Dämon dahintersteckte.

      »Ja, klar«, murmelte Tristan zerstreut, den Blick auf die Umgebung gerichtet.

      »Und wie machen wir das? Wir werden das Loch ja wohl kaum mit bloßem Auge sehen können, oder?«

      »Jedenfalls nicht, bevor wir dicht genug dran sind, um reinzustürzen.« Tristan grinste. »Und darauf lege ich keinen Wert. Wenn eine Seele ein Loch hinterlassen hätte, müsste es auf der anderen Seite des Schleiers genauso aussehen wie hier. Das wäre so, als wollte man einen randlosen Spiegel aufspüren, der praktisch nicht zu sehen ist. Dummerweise kannst du hier ja den Sog nicht spüren, so wie damals im Tunnel. Dann wäre es viel einfacher für uns.«

      »Ehrlich gesagt bin ich froh darüber«, gab sie zu. Es war ein entsetzliches Gefühl gewesen, als sie an den Ort zurückgekommen waren, an dem sie ihr Leben verloren hatte. So als hätte eine bösartige Macht nach ihrem Herzen gegriffen … und mit aller Kraft daran gezogen.

      »Ja, ich auch.« Tristan drückte ihre Hand, eine stumme Entschuldigung. Dann holte er tief Luft. »Gut, ich denke, wir versuchen als Erstes herauszufinden, ob es tatsächlich ein Dämon war oder nicht. Und wenn wir einen aufspüren, können wir uns immer noch Gedanken machen, wo er hergekommen ist.«

      »Okay, das ist ein guter Plan.« Sie drehte sich erneut im Kreis, dann hielt sie inne. »Du meinst wahrscheinlich, dort drüben, oder?«

      »Ja.«

      »Na toll.« Sie schniefte abfällig. »Der dunkle, gruselige Wald. Was denn auch sonst?«

      Es war kein richtiger Wald, höchstens ein Wäldchen, ungefähr auf halber Höhe des Hangs, auf allen Seiten von Feldern eingegrenzt. Und hier war tatsächlich – abgesehen von den Häusern, die Tristan bereits ausgeschlossen hatte – die einzige Möglichkeit für einen Dämon, sich bei Tageslicht versteckt zu halten.