Die größten Kriminalfälle Skandinaviens - Teil 2. Frederik Strand

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Название Die größten Kriminalfälle Skandinaviens - Teil 2
Автор произведения Frederik Strand
Жанр Языкознание
Серия Die größten Kriminalfälle Skandinaviens
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788726548426



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zugewiesen, da die Lagerleiter dazu neigten, die Macht an einzelne Gruppen von Gefangenen zu delegieren – und hier erwiesen sich die Kriminellen in der Regel als die Skrupellosesten. Die Homosexuellen rangierten dagegen zumeist am unteren Ende der Hierarchie.

      So gesehen war das Dritte Reich Kriminellen gegenüber nicht einmal besonders feindlich eingestellt, solange diese ihren Platz innerhalb der vorgegebenen Strukturen der Lager kannten und einnahmen. Taten sie das, konnte es sogar zu einer guten Zusammenarbeit mit der Lagerleitung und den Wachsoldaten kommen. Doch waren die Kriminellen natürlich nicht alle gleich – und das wichtigste Kriterium bestand darin, mit wem man zusammenarbeiten konnte! Im Hinblick darauf gab es seitens der deutschen Polizei keinen Zweifel, dass die Sass-Brüder für eine Zusammenarbeit nicht geeignet waren. Man war überzeugt, dass sie unverbesserlich waren und innerhalb eines Lagers für nichts als Chaos sorgen würden. In diesem Zusammenhang ist die Tatsache interessant, dass Höß in seinen Tagebuchaufzeichnungen beschreibt, wie die Brüder nach Sachsenhausen gebracht wurden – und wie sie während der Fahrt „dreist“ mit den Wachsoldaten debattiert hatten. Selbst eine lange Haftstrafe hatte die streitlustigen Brüder nicht gebrochen!

      Studienobjekte im Dritten Reich

      Um zu beweisen, dass es sich bei den Brüdern um unverbesserliche Berufsverbrecher handelte – und sie damit umgehend zu liquidieren waren – wurde ihr Leben und Werdegang im Monatsheft Kriminalistik – Deutschlands führender kriminologischer Zeitschrift, herausgegeben von Heinrich Himmler und dem Chef der Sicherheitspolizei, Reinhard Heydrich – ausführlich dargestellt. In fünf Ausgaben wurden die Meriten der Einbrecher und Diebe von allen Seiten beleuchtet. Es wurde über ihren „imbezilen“ Vater aus Polen berichtet, der nie die deutsche Sprache erlernt hatte, vom manischen Drang der Brüder zu stehlen sowie von ihren homosexuellen Freunden und ihrem unverschämten Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei.

      Man betonte jedoch, dass Franz und Erich Sass keine gewöhnlichen Diebe, sondern etwas Besonderes waren, sich Schritt für Schritt neue Methoden angeeignet und ein Netzwerk aufgebaut hatten, das sie zu außerordentlich gefährlichen Verbrechern machte. Unter anderem hatten sie Kontakte zu Ingenieuren, die ihnen bereitwillig beigebracht hatten, wie man die neuesten Schneidbrenner benutzte – eine Fähigkeit, die sich zu einer der Spezialitäten der Brüder in Sachen Tresorknackerei entwickelte. Außerdem hatten sie einen der führenden Verteidiger Berlins engagiert, wie man weiter unterstrich, der ein ums andere Mal dafür sorgte, dass sie um eine Strafverfolgung herumkamen.

      Im Namen des Deutschen Volkes!

      All das brachte das Blut der Repräsentanten des Dritten Reichs innerhalb des Rechtswesens in Wallung. Für sie handelte es sich um gemeine Gewohnheitsverbrecher, die der Polizei immer wieder durch die Lappen gegangen waren! Auch das süße Leben mit Luxusreisen durch Europa, Sportwagen und Motorrädern befeuerte die Verbitterung, nicht zuletzt, weil die Brüder sich das leisten konnten, ohne einer Arbeit nachzugehen. Damit würde nun Schluss sein, die Zeit der Abrechnung war gekommen! In dem Augenblick, in dem die Brüder die Grenze überschritten, wurde ein Verfahren gegen sie eingeleitet. Ihr gesamtes Sündenregister wurde aufgerollt und die Wohnung ihrer Eltern gestürmt und durchsucht – wobei man einen Goldbarren und einige dänische Kronen fand. Danach wurden die Brüder einem schmerzlichen Verhör unterzogen, in dessen Verlauf Erich – nicht aber Franz – ihre Taten gestand. Im Januar 1940 wurde in Berlin das Urteil gefällt – Franz und Erich wurden zu 14 beziehungsweise 13 Jahren Zuchthaus verurteilt. Ihr Bruder Max hatte nach der Machtübernahme der Nazis in seiner Zelle Selbstmord begangen, und zwar während er verhört wurde – man kann sich vorstellen, wie das Verhör ablief!

      In der Niederschrift des Urteils findet sich übrigens ein interessantes Detail. Dort heißt es am Ende, beide Brüder seien „unverbesserliche Gewohnheitsverbrecher (…), die, sofern sie auf freien Fuß kämen, Verbrechen der gleichen Art begehen würden (…) sie sind in allerhöchstem Grad asoziale Elemente (…), die niemals den Weg zurück in die Volksgemeinschaft finden werden.“ Dieser Passus, der faktisch ihr Todesurteil war, wenn auch verklausuliert, fand seinen Weg in die Zeitschrift Kriminalistik, die sowohl Himmler als auch Heydrich lasen, und damit war der Weg in die Kiesgruben von Sachsenhausen geebnet. Denn damit wurden die Brüder Sass zu so unverbesserlichen Gewohnheitsverbrechern gestempelt, dass sie aus Sicht des Dritten Reichs nicht einmal die Konzentrationslager zurück auf den rechten Weg bringen konnten. So wurden sie zum Exempel dafür, wie das nazistische Deutschland „unverbesserliche Gewohnheitsverbrecher“ behandelte. Die dänischen Behörden erhielten im Übrigen Bescheid, die Brüder seien bei einem Fluchtversuch erschossen worden. Damit gab man sich gerne zufrieden!

      Die Brüder Sass kehren zurück

      Die Geschichte der legendären Brüder ist aber an dieser Stelle noch nicht zu Ende. Im Oktober 1955 wandte sich ein Schreinerlehrling an die Polizei. Während der Arbeit an der Kapelle auf dem Garnisons-Friedhof in Kopenhagen hatte er eine bis dahin unbekannte Luke entdeckt. Darunter befanden sich verschiedene Werkzeuge, Schweißgeräte, Bohrer und Eisenstangen. Genauere Untersuchungen zeigten, dass das Werkzeug den Brüdern gehörte, aber wie sie sich Zutritt zu der Kapelle verschafft und warum sie die Geräte ausgerechnet dort versteckt hatten, konnte nie geklärt werden. Die Brüder Sass spukten also immer noch herum, obwohl das Dritte Reich sich ihrer entledigt hatte – sie waren unverbesserlich!

      Horst Paul Issel:

       Die Jagd auf einen Kriegsverbrecher

      von Stine Søgaard, M. A. Geschichte und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Polizeimuseum

       Am Abend des 4. Mai 1945 wehte ein frischer Südostwind, und die Temperaturen lagen bei ungefähr zehn Grad. Ein hochgewachsener, schlanker und gut gebauter Mann mit blondem Haar packte eilig seine wichtigsten Sachen zusammen. In den vergangenen 24 nervenzehrenden Stunden war ihm die eigene Welt zwischen den Händen zerfallen – und jetzt spürte er deutlich, dass der Boden unter seinen Füßen zu heiß wurde. Hastig schritt er durch die regnerischen Straßen Kopenhagens. Obwohl es an diesem Abend windig und einigermaßen kalt war, wimmelten Straßen und Plätze vor glücklichen Menschen, erleichterte Stimmen und jubelnde Zurufe begegneten ihm überall. Er teilte ihre Freude nicht. Er musste aus Dänemark verschwinden, jetzt – nach Hause nach Deutschland. Es war die einzige Möglichkeit, wenn er sich ein neues Leben aufbauen und eine neue Identität zulegen wollte.

       Der Mann, der an diesem Abend Kopenhagen in aller Eile verließ, hieß Horst Paul Issel, auch bekannt unter dem Namen Horst Waldenburg. Er war seit September 1944 im Land und gehörte zu den wichtigsten Geheimagenten der SS in Dänemark. Seine primäre Aufgabe hatte darin bestanden, ein Terrornetzwerk aufzubauen, das unter dem Namen Werwolfnetzwerk mit dem Codenamen Operation Jörgen agierte. Gleichzeitig war er Leiter einer Terrorzelle namens Die Peter-Gruppe und persönlich an zahlreichen Liquidierungen und Sprengstoffanschlägen beteiligt gewesen. Unter Issels Führung zeichnete Die Peter-Gruppe für 63 Morde, sieben Mordversuche und 129 Sprengstoffanschläge verantwortlich, von denen drei auf Züge verübt wurden. Bei den Bombenattentaten kamen 29 Menschen ums Leben, 32 wurden schwer verletzt.

      Die Flucht

      Es glückte Issel, ungesehen von Kopenhagen nach Næstved zu gelangen, wo er sich in der Kaserne meldete. Dort erhielt er die Uniform eines Gefreiten der Reiterstaffeln, und ein deutscher Oberleutnant, Günther Toepke, stattete Issel mit einem offiziellen deutschen Dokument aus, demzufolge sein Soldbuch verloren gegangen war und es sich beim Inhaber des Schreibens um den Reitersoldaten Hans Isermann handele. Anschließend setzte Issel seine Flucht in Richtung der dänisch-deutschen Grenze bei Kruså fort. Zahlreiche weitere zentrale Figuren der SS in Dänemark ergriffen in den Tagen nach der Kapitulation ebenfalls die Flucht. Viele schlossen sich den deutschen Truppen an, die bei der Befreiung 280.000 deutsche Soldaten zählten und nach Deutschland zurückgezogen wurden. Der Rückzug ging bewaffnet und überwiegend zu Fuß vonstatten. Die schweren Waffen ließen die Einheiten zurück, doch brachten die Soldaten leichte Waffen mit an die Grenze, wo die Briten unterstützt von der Widerstandsbewegung Papiere und Identität jedes einzelnen Mannes kontrollierten und sämtliche Waffen übernahmen, bevor die Erlaubnis