Die Hegerkinder im Gamsgebirge. Alois Theodor Sonnleitner

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Название Die Hegerkinder im Gamsgebirge
Автор произведения Alois Theodor Sonnleitner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711570081



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sie sind auch falsch!“ meinte Franzel entrüstet. — „Wie voreilig du mit deinem Urteil bist, lieber Franzel! Weil ein einzelner Türke vor vielen Jahren sich wortbrüchig gezeigt hat, urteilst du gleich, das ganze Volk wäre falsch! Ich hab’ auf der Wiener Universität türkische Studiengefährten gehabt, die waren an Ehrenhaftigkeit manchem Christen über. Und ich kenne Wiener Geschäftsleute, die auf dem Balkan mit den Türken, Griechen, Bulgaren und Serben Handel treiben. Die haben mir oft und oft Beispiele erzählt von türkischer Ehrlichkeit und Treue.

      Es passt gar nimmer in unsere Zeit, jetzt noch einem Volke etwas nachzutragen, was die Vorfahren dieses Volkes in früherer Zeit an Unrecht begangen haben. Der ganze Hass wegen der Feindschaften zwischen Menschen, die längst verstorben sind, ist ein Unsinn. Haben nicht die Schweden im Dreissigjährigen Krieg in Deutschland und in Österreich wehrlose Bauern gebrandschatzt und gemartert? Und heute ist das schwedische Volk den Deutschend und Österreichern freund.“ Sepperl berührte den Ärmel des Studenten: „Bitt, schauen wir uns jetzt die Dreifaltigkeitssäule an!“ Als sie davor standen, sprach der Student: „Wer etwas von der Kunst versteht, der erkennt auf den ersten Blick, dass diese Dreifaltigkeitssäule nicht so alt ist, wie die gotische Kirche und der Turm. Sie stammt aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts. Der wunderliche Faltenwurf der Kleider an den Heiligenstatuen und das viele Schnörkelwerk kennzeichnet den damals üblichen Barockstil.

      Dass es eine Pestsäule ist, erkennt man an dem Reliefbild, welches dem Marktplatz zugewendet ist. Als im Jahre 1713 die furchtbare Pest in Wien zu wüten aufhörte, hat Kaiser Karl VI. in Wien die Karlskirche errichten lassen (auch sie ist barock).

      Perchtoldsdorf war aber von der Pest beinahe verschont geblieben. Von 1800 Einwohnern waren nur sechs als Opfer der Seuche gestorben. Hieher hatten sich auch viele Wiener geflüchtet. Aus Dankbarkeit haben Perchtoldsdorfer und Wiener dieses Denkmal errichtet. — Betrachtet euch das Steinbild genauer: Im Vordergrunde seht ihr eine Sterbende, die von einem Manne betreut wird. Und der hält sich die Hand vor den Mund, um sich des ansteckenden Anhauches zu erwehren. Und ringsherum Leichen. Über den Häusern schwebt aber ein Engel, der das Racheschwert an Gott zurückgibt.“

      Der Student stieg mit den Kindern die Stufen zum Portal der Pfarrkirche hinan; sie fanden die Türe offen. So leise, als es die eisenbeschlagenen Schuhe zuliessen, gingen sie bis zum Mittelgang vor. An einem der buntverglasten, spitzbogigen Fenster32 unweit des Einganges blieben ihre Augen haften: Da war die Niedermetzlung der Perchtoldsdorfer Bevölkerung in farbigen Gläsern dargestellt. Es war ein redendes Bild von ergreifender Wirkung.

      „Seht euch die verschnörkelten, goldüberladenen Altäre hier neben der Kirchentür und gegenüber an! Barockaltäre in einer gotischen Kirche! Die stammen aus der Wallfahrtskirche St. Leonhardi, des Viehpatrons, die bis zum Jahre 1787 oberhalb der Burgruine auf dem Berg gestanden ist. Dort hatten die Bauern aus der Umgebung Opfer dargebracht, damit ihr krankes Vieh genese33. Kaiser Josef II. hat diesem Brauch ein Ende gemacht.“

      Der Student sah auf seine Taschenuhr. „Jetzt wird es Zeit, dass wir den Herrn Hyrtl aufsuchen.“

      Aus der kühlen und dämmerigen Kirche traten die drei in die blendende Sonnenhelle des Marktplatzes. An der Martinikapelle vorbei gelangten sie in das Kirchengässlein34. Links das Wohnhaus Hyrtls35, rechts sein Laboratorium36 im Gemäuer der Burgruine.

      Sie fanden ihn weder da noch dort. Die gute Frau des Gelehrten litt nicht, dass sie sich weiter mit den Rucksäcken abschleppten. Die sollten sie dalassen und bald zur Jause wiederkommen. „Mein Mann dürfte im Schiessgraben sein,“ sagte sie.

      Sie stiegen durch das Kirchengässchen empor und standen ausserhalb des Marktes, vor sich das Föhrenbergel37, rechts die Burgmauer. Links ging es zum Schiessgraben. Da, unweit des steinernen Brückleins sahen sie einen alten Mann in langem, schmutzigem Leinwandkittel, einen grünseidenen Augenschirm auf der Stirne. Der war damit beschäftigt, aus einer Scheibtruhe den Mist auf den Komposthaufen zu schichten, der sich am Rande des Grabens erhob. Der Student trat heran und zog den Hut. „Herr Professor, verzeihen Sie die Störung!“ Da richtete sich der alte Herr auf. „Ah! Sie sind’s, mein lieber Dressler! — Wie steht’s? — Schon promoviert?“ — „Noch nicht, Herr Professor, ich trete erst im nächsten Sommersemester zu den Rigorosen an. Aber die Staatsprüfungen als Mittelschullehrer hab’ ich hinter mir, im Herbst mach’ ich schon Dienst als Probekandidat am Mariahilfer Gymnasium!“ — „Da gratulier’ ich! und was gibt’s sonst Neues?“ — „Den Gschaider-Franz bring’ ich, weil’s Herr Professor erlaubt haben.“ — „Das sind ja zwei Buben!“ wunderte sich Hyrtl. — „Der da ist der Franzel, der andre sein Bruder Sepperl; den führ’ ich weiter zu seinem Onkel nach Losenheim.“ — „Recht so, ich schick’ gleich um die Christel, die macht schon das Weitere. Und jetzt kommt mit zur Jause!“

      Damit führte er seine drei Gäste durch ein Mauertürl ins Gartenhaus und ging nach vorne. Hier warteten sie und die Knaben sahen den Studenten verwundert an. Das sollte der reiche Hyrtl sein? — „Da staunt ihr? Der Mann, den alle Universitäten der Welt ehren, der vielfache Millionär, der sich’s leisten könnt’, in einem Schloss zu wohnen und sich von Lakaien bedienen zu lassen, wohnt in einem einfachen Haus und arbeitet selber am Komposthaufen. Seine stille Freud’ ist sein Garten. Und die Blumen brauchen Dung. Da sammelt er die Kuhfladen auf der Heide und bringt sie auf den Kompost. Wer ihn nicht kennt und ihm begegnet, möcht’ ihm ein paar Kreuzer schenken. — Weil er für sich wenig braucht, hat er viel übrig für andre. Und wenn er auch im Leinwandkittel dahergeht, er bleibt, wer er ist. Seine marmorne Büste steht in den Arkaden der Wiener Universität — in der Ruhmeshalle der Wissenschaft.“

      Kaum hatte Dressler ausgesprochen, als schon der alte Herr wieder da war, hinter ihm die Magd mit der Jause: Kaffee und Butterbrot. „Ich lass’ euch allein, es schmeckt euch vielleicht so besser.“ — Damit kehrte der alte Herr zu seinem Komposthaufen zurück.

      Als die drei ihre Jause beendet hatten, verhielten sie sich ruhig, keiner sprach ein Wort. Da trat aus dem Hause ein blondes, schlankes Mädchen. Ihre hellblauen Augen lachten die Gäste an. „Grüss Gott alle miteinander! Ich bin die Christel. Und wo ist der Franzel, der Schlankel, dass ich ihn hinweis’ zum Hafner? Der soll ihm einstweilen Unterstand geben.“ Zutraulich ging der Bub der Fürsorgerin zu, die ihn seinem neuen Heim entgegenführte. Hand in Hand ging sie mit ihm voran; der Student und Sepperl folgten.

      Beim Hafner.

      Dass Franzel als gesunder Bub mit treuherzigem Geschau beim Hafner behalten wurde, war eine Selbstverständlichkeit. Er „stand den Leuten zu Gesicht“.

      Dressler und Sepperl übernachteten auf dem Heuboden des Hafners und nahmen am frühen Morgen des nächsten Tages Abschied.

      Franzel trachtete sich im Hause nützlich zu machen. Er hoffte, dabei die Hafnerei vom Grund auf zu erlernen. Aber es kam anders. Er wurde zunächst bloss mit den Erzeugnissen der Hafnerei bekannt. Den Vormittag über durfte er dem Gesellen beim Abtragen der Mauer helfen, mit welcher der Töpferofen vor dem Anheizen abgeschlossen worden war. So wurde das gebrannte Geschirr zugänglich. In Schichten übereinandergetürmt, standen da zu unterst rohe Blumengeschirre, Tassen, Tonrohre, weiter oben bunt glasierte Weidlinge, Schüsseln, Töpfe und Schalen. Alles streng der Grösse nach geordnet, je zwei Schichten durch tönerne, dreikantige Stäbe von einander getrennt. In den Stoss eingebaut waren unglasierte Tondosen, die der Gesell als Muffeln bezeichnete. Sie enthielten feineres Geschirr, Vasen und Figuren, denen der Aschenflug geschadet hätte. Beim Ausräumen des gebrannten Geschirrs halfen Meister, Gesell und Franzel zusammen. — Nur, was schön geworden war, kam in die Gestelle des Lagers. Was sich beim Brennen verbogen hatte, wurde als „Ausschussware“ vom Gesellen und Franzel auf den Boden geschafft. Dabei gab es aber eine Schwierigkeit. Hertha, die Wolfshündin, welche sonst im Hofe an der Kette gelegen war, hatte die Kiste neben der Bodenstiege bezogen und darin zwei Junge zur Welt gebracht. — Und jetzt wollte sie es nicht dulden, dass jemand auch nur vorbeiging. Als die beiden hintereinander auf der Stiege standen, jeder ein Tragbrett mit Geschirr in Händen, knurrte die Hündin bedrohlich; als der Gesell den Boden betrat, bellte sie wie besessen, sprang aus der Kiste, knurrte und fletschte das furchtbare Gebiss. Aber sie liess doch mit