Die Schweinedärme kullerten platschend auf den glitschigen Boden. Rudolf Nährig

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Название Die Schweinedärme kullerten platschend auf den glitschigen Boden
Автор произведения Rudolf Nährig
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711448540



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nur gab es im Fall der anderen Schicksale kein solches lebendiges, strampelndes und brüllendes Corpus Delicti in Windeln, wie es die Mirkan-Ursl vorzuweisen hatte. Wenn ihr Sohn sie nicht zurückgehalten hätte und sie zudem nicht so feige gewesen wäre, so sagte die betrogene Ehefrau, dann hätte sie sich schon umgebracht.

      Im Weingarten, droben auf dem Berg, wusste sie weiter zu berichten, da hätten sie sich immer getroffen. Drinnen in der kleinen, behelfsmäßig aus Holz gezimmerten Schutzhütte hätten sie zusammen Wein getrunken und Zärtlichkeiten ausgetauscht. Der Schickler-Ferdl habe einmal gesehen, wie sie zusammen hineingegangen seien, und da hat er sein rechtes Ohr an die groben alten Bretter der Holztür gepresst und gelauscht, was sie redeten, und dabei dem Leopold sein Stöhnen, Ächzen und Prusten und der Ursl ihr „Nein, Nein!“-Gewimmer gehört. Doch alles Nein hat nichts genützt, es ist passiert. Das hat der Ferdl dann alles halblaut im Dorf herumerzählt, wobei er allen mit wichtiger Miene die Pflicht zu schweigen aufgetragen hat.

      Auch das hat nichts genützt, die Leute haben es auf den Bänken vorm Haus, auf denen schon ihre Väter und deren Väter saßen, weitergeflüstert und weiterberichtet, bald mit völlig anderen Worten, unter vorgehaltener Hand. Dumm stehe sie nun da, die betrogene Ehefrau. Sie erzählte meiner Mutter, sie wolle sich den Lauf des Schrotgewehrs in den Mund stecken und abdrücken, aber dann würde es ihr womöglich nur den Gaumen, die Zunge und die Kiefer zerfetzen, tot aber wäre sie nicht, nur ein Maulkrüppel auf Lebenszeit.

      Nachdem sie meiner Mutter ihr Herz ausgeschüttet hatte, während meine Mutter und ich unterdessen Grießkoch mit Zucker bereiteten, verabschiedete sie sich mit feuchten Augen und ging, einen Fettfleck auf dem Kleid und einen blauen Fleck auf der Haut, zurück in ihr Haus, in dem ihr Mann, der Poildl, sie nicht mehr haben wollte. Voll Qual ertrug sie ihr schlimmes Los weiter, bis sie in auswegloser Verzweiflung eines Tages schließlich ihre paar Sachen packte und mit ihrem Sohn drei Ortschaften weiter zog, um bei einem Bauern als Tagelöhnerin mit Kost und Quartier zu arbeiten.

      Unterdessen wurde die Ursl zum zweiten Mal schwanger. Eines Sonntagvormittags lieh sich ihr verheirateter Liebhaber Leopold, dessen Frau nun drei Ortschaften weiter gezogen war, das Moped vom alten Mirkan, dem Vater von der Ursl, um nach Ziersdorf zum Feuerwehrfest zu fahren. An der Kreuzung beim Friedhof in Gettsdorf – eine sehr gefährliche, unfallträchtige Kreuzung – war er beim Linksabbiegen unachtsam. Der Fahrer eines entgegenkommenden, mit Kies beladenen Lastkraftwagens sah ihn zu spät und überfuhr ihn frontal. Er war sofort tot. Als die an der Straße wohnende alte Frau die Rettung verständigte, sagte sie belustigt dazu: „In der Woche kracht’s schon zum dritten Mal.“ Der Krankenwagen ist auch schnell gekommen, doch konnten die Sanitäter nur noch den zerdrückten Körper bergen, dessen aus der geplatzten Bauchdecke quellenden Därme lediglich durch die feste Jacke zusammengehalten wurden. Der Schädel war bis zur Unkenntlichkeit zertrümmert und das rot-weiß lackierte Puch-Moped MS 50 völlig verbogen.

      Heute, an dem wunderschönen Samstag, an dem ich mit meinen kobaltblauen Scherben zusammen mit Franz, Mitzi und der Schickler-Gerti Tempelhüpfen gespielt habe und auf einem Bein von der Hölle über das Fegefeuer in den Himmel gesprungen bin, sitzen auch der alte Mirkan, der nun kein Moped mehr hat, und seine Frau vorm Haus. Ihre Tochter, die Ursl, dazwischen. Der sechs Wochen alte Gottlieb schläft im Kinderwagen in der goldenen Abendsonne.

      Nach dem Kirchgang leerte er den Toilettenkübel

      Dem alten Schickler, dem Vater vom Schickler-Ferdl, der den Leopold und die Ursl in der Schutzhütte droben auf dem Berg im Weingarten belauscht hatte, waren wegen eines unheilbaren Wundbrandes beide Beine im unteren Drittel des Oberschenkels abgetrennt worden. Mit fünfundsechzig Jahren war er ein Pflegefall. Man hatte ihn in die „Ausnahme“ ausquartiert, die Unterkunft für sieche, alte Menschen. Seine Frau und ihr im Haus gebliebener Sohn, der dumpfe Ferdl, Vater von Gerti, wollten ihn im Haus nicht länger ertragen.

      In seiner winzig kleinen Ausnahmekammer, vom Hof aus gegenüber dem Misthaufen gelegen, hatte der alte Schickler alles, was er in den Augen seiner Frau und seines Sohnes als Krüppel brauchte. Ein Bett aus braunem Eichenholz, in dem ein durchgelegener Strohsack eine tiefe Grube bildete, über die ein gelb-graues durchgewetztes Leintuch gebreitet war. Die Federn in der Tuchent, dem Federbett, waren schon so klumpig, dass sie auf beiden Seiten wie schwerer Ballast herunterhingen und in der Mitte, die doch den Körper vor Kälte schützen sollte, nur noch das schmutzige, zerschlissene Leinen blieb. Im Winter war der Körper des Alten nicht nur vom Wundliegen im rauen und feuchten Strohsack rot, sondern auch blau und violett vor Kälte und Erfrierungen. Ein Sessel stand neben dem Bett, damit der alte Schickler vom Bett auf den Sessel und vom Sessel weiter auf seinen verzinkten Blech-Toilettenkübel rutschen konnte, der ein- oder zweimal pro Woche auf den Misthaufen im Hof geleert wurde.

      Oftmals kam es vor, dass der alte Schickler in seiner Siechkammer zwischen Bett und Sessel auf den Boden fiel und nicht mehr aus eigener Kraft in sein Bett zurückkonnte. Seine Hilferufe wurden nicht gehört, niemand war im Haus. Er versuchte dann immer wieder, den am Boden liegenden Rumpf an den Armen in die Strohgrube seines Bettes zu ziehen. Die Kraftanstrengung ließ die dicken, aufgequollenen Adern auf dem erhitzten roten Gesicht an Stirn und Schläfen dunkelblau bis schwarz anlaufen. Die beinahe blinden Augen waren weit aufgerissen, und aus den Winkeln des zahnlosen Mundes lief rinnsalartig schäumender Speichel. Dicke Schweißperlen rannen über Wangen und Hals. Das schmutzig graue, unter den Achselhöhlen löchrige Nachthemd, dessen kragenloser Saum rundherum ausgefranst war, klebte triefend nass am verschwitzten Leib.

      Als er einmal so zwischen Bett und Sessel lag, kamen zufällig die beiden Millingertöchter vorbei, Vroni und Else. Das war seine Rettung, jedenfalls für diesen Tag. Die beiden jungen Schwestern versuchten mit aller und letzter Kraft, den in sein zerfetztes Nachtkleid gehüllten, am Boden liegenden und röchelnd nach Luft ringenden Mann wieder in sein Bett aus feuchtem Stroh und einem zerschlissenen Jutesack zurückzuhieven. Immer wieder glitschte den schwachen Mädchen der schweißnasse, plumpsackartig schwere Körper aus den Händen. Unter größter Anstrengung gelang es ihnen schließlich, den Beinlosen, mit dem Gesicht nach unten, in sein Bettloch zu rollen. Schwer atmend blieb er dort für einige Zeit auf dem Bauch liegen, bis er wieder genug Kraft gesammelt hatte, um sich auf den Rücken zu drehen. Da war er auch schon wieder allein in seiner winzig kleinen Ausnahmekammer. Der beißend strenge Fäkaliengeruch des Mannes und seiner Behausung hatte die Millingermädchen mit Ekel erfüllt und gezwungen, fluchtartig die Kammer zu verlassen.

      Am Kopfende des Bettes stand ein Nachtkastel mit einer Kerze drauf, die aber jeden Abend nur zwei Stunden brennen durfte, und zum Anzünden gab es pro Tag nur ein Streichholz. Zu den Mahlzeiten wurde dem Beinlosen das Essen von seiner strengen Frau auf einem emaillierten braunen, verbeulten Blechteller mit stilisierten, teilweise abgeriebenen roten Rosen darauf grußlos durch die Tür geschoben und auf das am Eingang stehende Stockerl, einen kleinen Schemel, gestellt. Die tägliche Weinration von einem halben Liter Haustrunk bekam er am Mittag. Sie musste bis zum Einschlafen ausreichen. Zigaretten gab es keine mehr, was für den zeitlebens starken Raucher – deswegen hatte er auch beide Beine verloren – ein tagtägliches Martyrium war. Doch da half kein Bitten und kein Betteln. Die Frau blieb hart. Obwohl es jetzt doch eigentlich schon egal war, ob er noch rauchte oder nicht, er hatte ja eh keine Beine mehr zum Amputieren.

      Ab fünf Uhr früh ging im Schicklerhaus, schräg gegenüber von dem unseren, das Geschrei und Geplärre seiner Frau los, der Mutter der beiden Söhne des alten Schickler, Ferdinand und Gustav. Gustav allerdings hatte sich schon frühzeitig aus dem Staub gemacht. Er war der Sensiblere und besaß zumindest ein gewisses Potenzial an Intelligenz, das er aber nicht zu nutzen vermochte. Nun führte der dumpfe und leicht beschränkte Ferdinand, meist Ferdl genannt, zusammen mit seiner Mutter und später seiner Frau ihre verwahrloste Klitsche von Hof. Die einzige Kommunikation von Mutter und Sohn bestand darin, sich gegenseitig mit niederträchtigen Gemeinheiten und den wüstesten Beschimpfungen anzuschreien. Der etwa fünfunddreißigjährige abgemagerte Ferdl – debiler Gesichtsausdruck, schmale Lippen, spitze, kurzrückige Nase, blasse, tote Haut, ein larvenähnliches Gesicht – war in dieser Disziplin der einzige Sparringspartner der Alten; zumindest so lange, bis er seine Frau Fanny heiratete, mit der die alte Schickler nun jemand Neues zum Anschreien und Beschimpfen gefunden hatte.

      Ferdls Gehabe