Hexenjunge. Bo R. Holmberg

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Название Hexenjunge
Автор произведения Bo R. Holmberg
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788711461501



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bei meinem Bruder bleiben. Und mich satt essen. Vielleicht kann ich sie bezeichnen, ohne dass ich etwas sehe.

      Der Gedanke erregte und beunruhigte ihn zugleich.

      Gemeinsam schoben die Brüder das Floß ins Wasser.

      »So müsste es gehen«, sagte Johan. Er reichte Olof die Kiepe und sprang auf das Floß. Es erbebte. Olof warf die beiden Bretter hinauf, die sie gefunden hatten und mit denen sie paddeln und das Floß steuern wollten. Dann reichte er dem Bruder die Kiepe und sprang selbst auf das schwimmende Gefährt.

      An dieser Stelle war der Fluss breit, aber in seiner Mitte gab es kleine Inseln, wo sie ankern konnten, wenn sie wollten, ehe sie das andere Ufer erreichten.

      »Der Pfarrer auf der anderen Seite des Flusses heißt Johannes«, sagte Johan. »Ich bin schon mehrere Male bei ihm gewesen.«

      Er hatte seine Ledermütze tief in die Stirn gezogen. Es war fast Abend geworden. Die Sonne schickte sich an, auf der anderen Seite des Styran unterzugehen. Das Fahrzeug kam langsam, aber sicher voran.

      »Als ich das letzte Mal bei der Insel anlegte, hatte ich ein schlechteres Floß«, sagte Johan.

      »Warum warst du da unterwegs?«, fragte Olof.

      »Es war, als sie Mutter verhafteten.«

      Mich hat er nicht mitgenommen, dachte Olof bitter. Er hat sich allein davongemacht und mich mehr als zwei Jahre allein gelassen.

      Am Ufer der Insel, die sie passierten, standen einige magere Kühe. Hier war das Wasser so flach, dass sie die Bretter benutzten, um sich vom Grund abzustoßen und bessere Fahrt zu machen.

      Sie wollten nicht direkt über den Fluss übersetzen. Als die Insel hinter ihnen lag, änderten sie die Richtung und arbeiteten sich stromaufwärts.

      Jetzt würden sie einen anderen Pfarrer aufsuchen, der Johans Gabe in Anspruch nehmen wollte.

      »Ich wollte dich auch mitnehmen, und Mutter. Aber es ging nicht.« Johan berührte seinen Bruder. »Jetzt hab ich dich jedenfalls geholt. Und nächsten Sonntag ist es wieder so weit.«

      Olof spürte erneut die Unruhe und die Erregung in sich aufsteigen.

      Vielleicht würde er dieses Mal jemanden bezeichnen können?

      Auf dieser vor ihnen liegenden Seite des Flusses gab es jedenfalls niemanden, den er kannte.

      Es war ein stiller Tag. Die Sonne war hinter dünnem Dunst verborgen und das gelbe Laub raschelte nur leise. Die Hochmesse war vorüber und Johan und Olof hatten sich schon aufgestellt, sodass sie das Kirchenportal im Blick hatten. Der Pfarrer schritt aus dem Tor und näherte sich ihnen. Er war kraftvoller als Peder und hatte einen gelockten Backenbart. Er hatte sie nicht so wohlwollend aufgenommen wie Pfarrer Peder, sondern sie in der Knechthütte übernachten lassen.

      Olof spürte die Unruhe wie ein schleichendes Unbehagen, aber Johan legte ihm einen Arm um die Schultern, wie um ihn zu stützen. Der Pfarrer nickte ihnen kurz zu.

      »Ihr habt eine verantwortungsvolle Aufgabe«, sagte er.

      Johan hatte die Ledermütze abgenommen und hielt sie in der Hand. Er atmete genauso heftig wie beim letzten Mal und presste Olofs Schultern. Jetzt kamen die Leute aus der Kirche. Sie gingen zögernd. Olof hatte den Eindruck, sie wüssten, was hier vor sich ging.

      Der Pfarrer nickte ihnen noch einmal aufmunternd zu. Johan holte Luft, dann ging er rasch auf eine Frau zu und suchte nach ihrem Zeichen. Sie wurde sogleich an die Seite des Pfarrers gebracht. Johan schielte zu seinem Bruder. Olof zitterte am ganzen Körper. Er näherte sich einer Frau, lüftete ihr Tuch. Er strengte sich an, um etwas zu sehen, aber er konnte nichts entdecken.

      Er drehte sich um und schüttelte den Kopf. Aber Johan ging schon auf zwei andere zu, eine Mutter und ihre Tochter. Das Mädchen schien kaum zehn Jahre alt zu sein und ihre Stirn war ganz nackt in Olofs Augen. Johan zerrte ihn am Arm und zog ihn mit sich. Jetzt kamen nicht mehr viele Menschen aus der Kirche. Johan kniff Olof in den Arm und ging rasch vorwärts. Olof holte tief Luft, wie er es bei seinem Bruder gehört hatte, und näherte sich einer Frau mit sehr hellen Haaren und einer Tracht, die etwas feiner aussah. Zitternd hob er den Zeigefinger und sagte:

      »Ich sehe Satans Zeichen auf deiner Stirn.«

      Für einen Augenblick erstarrte die Frau, dann hob sie ihre Hand und schlug zu. Auf seine Wange klatschte eine kräftige Ohrfeige. Er legte seine Hand auf die brennende Haut.

      »Du Schlingel!«, schrie sie. »Ich bin keine Hexe.«

      Der Pfarrer kam eilig herbeigelaufen. Sein Gesicht leuchtete rot.

      »Meine Frau ist keine Hexe!«, rief er und es sah aus, als ob auch er Olof eine Ohrfeige verpassen wollte.

      »Entschuldigung«, sagte Olof. »Ich habe mich getäuscht. Ich habe doch kein Zeichen gesehen. Die Sonne ... hat mich geblendet.«

      Er sah Johan. Der hatte die Hände fest ineinander verschränkt und sein Gesicht war totenblass.

      »Entschuldigung«, wiederholte Olof.

      Verwirrt sah er sich um und entfernte sich rückwärts gehend langsam von der Kirche. Noch einmal blickte er in das Gesicht seines Bruders, dann lief er fort.

      Er erreichte das Floß und stieß sich heftig ab ins Wasser.

      In ihm war nur ein Gedanke: Er musste weg. Er hatte jemanden bezeichnen wollen und es war falsch gewesen. Und ein weiteres Mal hatte er vor seinem Bruder versagt.

      Das Floß war schwer zu steuern. Doch dann nahm der Wind plötzlich zu und das Floß hielt fast geraden Kurs zurück aufs andere Ufer zu.

      Olof erreichte das Ufer etwas unterhalb der Kirche und zog das Floß hastig an Land. Dann lief er den Fahrweg hinauf. Er wusste nicht, wohin er gehen sollte. In das Dorf, wo ihr Zuhause gewesen war, konnte er nicht gehen. Bald würde sein Bruder auftauchen und ihn ausschelten für das, was er getan hatte. Oder nicht getan hatte.

      Eine schreckliche Vorstellung, dass er fast eine Unschuldige ins Unglück gebracht hatte. Und ausgerechnet auch noch die Pfarrersfrau. Nein, er hatte die Gabe nicht. Es war falsch, jemanden zu bezeichnen, wenn man nichts sah.

      Er stand mitten auf dem Weg. Tief unten sah er eine Staubwolke, in der sich ein Wagen näherte. Er entschied sich doch umzukehren und ging in Richtung seines Dorfes. Er lief am Wegrand entlang und tat so, als ob er etwas suchte. Der Wagen kam näher, und als er vorbeifuhr, bockte eins der Pferde und Olof blickte auf. Oben auf dem Kutschbock saß der Kutscher, aber tief eingebettet in dem gefederten Wagen thronten zwei schwarz gekleidete Männer mit Zylindern. Sie sahen aus, als hätten sie etwas Wichtiges zu erledigen.

      Olof drehte sich um. Noch ein Wagen war unterwegs. Zwei Wagen. Drei. Wagen auf Wagen. Staub wirbelte auf, als sie an Olof vorbeifuhren. Im letzten saßen Männer mit der gleichen Art Kopfbedeckung wie jene, die damals seine Mutter abgeholt hatten.

      Olof folgte den Wagen und als er ein wenig weiter hinaufkam, sah er, dass sie angehalten hatten und nicht zur Kirche abgebogen waren. Rechts vom Weg war ein großer Hof, nicht weit entfernt von dem Haus, in dem Johan den Kindern die Engel gezeigt hatte. Davor hatte sich eine Menschenmenge versammelt. Die Pferde waren angebunden worden. Die Männer gingen auf die Leute zu. Abseits stand eine Gruppe Frauen. Die Gefangenenwächter stellten sich breitbeinig auf und der Pfarrer kam. Es war Peder. Er ging auf die Neuankömmlinge zu und reichte ihnen die Hand.

      Die Kommission, dachte Olof und wollte schon fliehen. Aber es war zu spät.

      Der Pfarrer hatte ihn bereits entdeckt und kam hastig auf ihn zu.

      Er packte den Jungen am Arm und zog ihn zu den beiden Männern, die im ersten Wagen gesessen hatten.

      »Hier haben wir so einen Jungen«, sagte Peder. »Er hat die Gabe. Vielleicht kann er auch etwas bezeugen.«

      Olofs Herz schlug heftig, während die beiden Männer leicht die Köpfe neigten, als ob er eine bedeutsame Person wäre.

      Der Pfarrer hielt ihn am Arm fest und zog ihn mit sich.