Hexenjunge. Bo R. Holmberg

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Название Hexenjunge
Автор произведения Bo R. Holmberg
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9788711461501



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und hatte helle lockige Haare. Er erinnerte sich daran, wie er oft nur dagesessen war und Lisbet betrachtet hatte. Die Sonne hatte geschienen, er war immer mit der Sense vorangegangen und sie mit dem Rechen hinterher. Den Sommer würde er nie vergessen. Aber als der Herbst kam, musste er sie verlassen. Lisbet durfte bleiben, sie war schon lange auf dem Hof, aber er musste zusehen, wie er allein zurechtkam. Bis vor einigen Tagen, als er seinen Bruder wieder traf.

      Es war auf dem Marktplatz auf der anderen Seite des Flusses gewesen. Olof hatte dösend hinter einem Wagen gelegen, während der Hunger wie ein Schmerz in ihm mahlte, als er eine Stimme hörte, die er kannte. Er hatte sich aufgerappelt, sich zwischen die Menschen gedrängt, und dort stand er. Sein Bruder. Er hatte sich nicht verändert. Er war von Menschen umgeben, die ihm zuhörten. Er erzählte von den Engelskammern, davon, wie er selbst Engel hervorlocken konnte, die durch den Raum schritten und mit den lieblichsten Stimmen wisperten, die man sich vorstellen konnte.

      Er sah nicht aus, als ob er Hunger gelitten hätte, sein Gesicht war wohlgenährt und Arme und Beine waren stark. Es war sein Bruder.

      Olof ging auf ihn zu. Er erinnerte sich an die Freude, die er empfunden hatte. Und jetzt waren sie zusammen. Nach so einer langen Zeit.

      Die Erinnerungen an früher waren zurückgekehrt, an die Zeit, als sie alle drei in dem kleinen Haus am Fluss gewohnt hatten, er, Johan und Mutter. Aber Mutter war beschäftigt gewesen. Sie hatte ihren Ausschank und abends war das Haus voller Männer gewesen. Sie füllten es mit ihren Stimmen und er erinnerte sich an Mutters Gesicht, das häufig offen und fröhlich gewesen war.

      Als man sie wegbrachte, war die Einrichtung verbrannt worden, nicht von denen, die tags darauf das Haus angezündet hatten. Nicht von Hindersons Knechten. Es waren die Wachen, die ein Feuer gemacht hatten, aus Tisch, Bänken und Mutters Bett.

      Aber vorher war alles gut gewesen. Oft hatte es zu essen gegeben. Nur manchmal war sie besorgt und schwer ansprechbar gewesen.

      Er erinnerte sich auch an die Male, wenn die Stimmen im Haus zu laut und zu gewaltsam geworden waren.

      Dann hat Johan sich um mich gekümmert, dachte Olof.

      Und jetzt waren sie wieder zusammen. Jetzt würde vielleicht alles wie früher werden und Johan würde auf ihn aufpassen und ihm helfen. Wie früher.

      Er hat mich damals nur verlassen, weil er die Zeichen des Teufels lernen wollte, dachte er, nur darum.

      Er erinnerte sich an kalte Winternächte im Haus, als Johan nah bei ihm gelegen und ihm lange Geschichten erzählt hatte. Von der Wasserfrau und der Waldfrau und den kleinen Wesen, die unter den Häusern und im Stall wohnten. Sie waren grau gekleidet und lebten ein ganz eigenes Leben. Und von Jona, der im Bauch eines Wales war, und von Simson mit dem Haar, das ihm Kraft gab.

      Stundenlang konnten sie daliegen, während das Eis draußen auf dem Fluss krachte, und Johan erzählte eine Geschichte nach der anderen.

      Daran erinnerte er sich. Und an Mutter.

      Nach ihr hatte er Johan als Erstes gefragt. Ob er Mutter gesehen hatte. Er war doch in Härnösand gewesen.

      Sie hatten den Marktplatz kaum verlassen, da fragte er schon. Aber Johan hatte nur den Kopf geschüttelt. Und dann sprachen sie nicht mehr darüber.

      Jetzt gingen sie auf der Uferböschung entlang. Von der Kirche war es nicht mehr weit bis zu dem Platz, wo einmal ihr Zuhause gewesen war.

      Johan wollte das Haus sehen, er wusste nicht, dass es nicht mehr stand. Und Olof wusste nicht, wie er es ihm beibringen sollte. Er wollte seinem Bruder nur Schönes erzählen.

      Er trödelte hinterher, um Zeit zu gewinnen, aber schließlich erzählte er es doch. Es musste heraus.

      Johan war ganz still.

      »Und du weißt genau, dass Hindersons das Haus niedergebrannt haben? Hindersons Knechte?«

      »Ja«, sagte Olof. »Der mit dem dichten Bart, falls du dich an ihn erinnerst.«

      Johan nickte kurz mit zusammengepressten Lippen, dann setzte er sich hin, holte Brot aus seiner Kiepe und brach ein Stück für sich und seinen Bruder ab.

      »Jetzt hast du mich«, sagte er, »jetzt sind wir zusammen.«

      Olof aß gierig und Johan schlug ihm aufmunternd auf die Schulter.

      Ja, dachte er, jetzt haben wir uns, jetzt fehlt nur noch Mutter. Sie ist im Zuchthaus. Aber vielleicht gab es trotzdem eine Möglichkeit sie zu sehen.

      »Und du hast Mutter wirklich nicht gesehen? Du bist doch in Härnösand gewesen«, fragte er wieder.

      Johan starrte ihn finster an.

      »Nein, das hab ich doch gesagt. Aber ich habe gesehen, wie sie von dort weggebracht wurde.« Er verstummte und ging schneller.

      Johan wollte zum Haus, auch wenn es nicht mehr stand.

      Das Gehen fällt leicht, wenn man etwas im Magen hat.

      Oberhalb am Hang sah Olof Mårtenssons Haus.

      Ob Lisbet noch da war?

      Johan drehte sich um.

      »Dahin bin ich in der Nacht gegangen«, sagte er und zeigte auf das Inselchen im Fluss. »Ich habe vorausgesehen, dass sie Mutter gefangen nehmen würden. Irgendwie habe ich es gewusst. Und ich habe sie auch gesehen, als sie im Boot zwischen den Gefangenenwärtern saß.«

      Olof wollte mehr über Mutter wissen, wie sie ausgesehen hatte, ob ihr Gesicht immer noch blutig war. Ob das Feuermal auf ihrer Wange zu sehen war.

      Das war kein Zeichen des Teufels. Sie hatte es immer gehabt, sichtbar für alle. Das Zeichen des Teufels dagegen war für die Augen der meisten Menschen unsichtbar.

      Aber Johan redete nicht mehr darüber.

      »Jetzt habe ich die Gabe«, sagte er stattdessen. »Bald hast du sie auch und brauchst nicht mehr zu hungern.«

      Sie starrten auf den Fleck, wo einmal ihr Haus gestanden hatte. Das Einzige, was noch übrig war, war ein verkohltes Brett.

      Johan stand mit zusammengepressten Lippen da.

      »Es waren Hindersons Knechte, bist du ganz sicher?«, fragte er noch einmal.

      Olof nickte.

      »Ja, ich hab Jöns Persson gesehen, den mit dem Bart.«

      Johan schaute über den Fluss. Er hob seinen rechten Arm. Er schloss die Augen und hielt den Arm eine ganze Weile ausgestreckt. Dann klopfte er seinem Bruder noch einmal auf die Schulter.

      »Wir haben zu tun«, sagte er. »Wir haben einen Auftrag.«

      Er setzte sich in Bewegung und ging noch schneller, zurück zur Kirche und dem Pfarrhof.

      Und zur Engelskammer.

      Jetzt wird alles wie früher, dachte Olof.

      Die Kinder saßen auf Stühlen entlang der Wände. Andächtig, still saßen sie da. Es war dämmrig, nur im Fenstersturz stand eine brennende Kerze. Die Fenster waren mit Decken verhängt, die das Abendlicht aussperrten. Die Gesichter der Kinder schimmerten schwach in dem kleinen Lichtschein.

      Mitten im Zimmer stand Johan. Sein Bruder saß an der Wand. Es wurde über sie gemunkelt, dass sie Engel herbeirufen konnten, dass sie mehr sahen als andere Menschen und Hexen von anständigen Frauen unterscheiden konnten. Von der Küste war die Kunde zu ihnen heraufgedrungen, der Ältere habe Frauen erkannt, die zum Blauen Hügel reisten, und nun waren vielleicht sie, die hier oben wohnten, an der Reihe. Der Junge bezeichnete jene, die zum Bösen gehörten, die auf ihrer Stirn das eingebrannte Zeichen des Teufels trugen. Jetzt war er hier. Beim Pfarrer hatten er und sein Bruder Unterschlupf gefunden.

      Er war barfuß und seine Hose endete kurz unterhalb der Knie. Das Hemd hing darüber. Er stand mit geschlossenen Augen da, zwischen den Augenbrauen war eine Falte zu ahnen. Die Kinder bewegten sich nicht, nicht einmal die ganz kleinen, die kaum mehr als fünf Jahre alt waren. Die meisten waren vielleicht zehn; es waren Mädchen