Stil, an den in Deutschland heute prominent die Staatsgalerie Stuttgart von James Sterling erinnert, die Bundeskunsthalle von Gustav Peichl in Bonn, der Messeturm von Helmut Jahn in Frankfurt am Main und
disturbingly late to the party: das abstruse Kanzleramt zu Berlin. In Hamburg selbst hingegen, wo mit
Tempo das Zentralorgan einer nicht allein die Architektur, sondern alles durchdringenden postmodernen Bewegung für den deutschsprachigen Raum publiziert wurde, gab und gibt es überhaupt kein einziges Bauwerk im postmodernen Stil. Was daran liegen könnte, dass dem Hamburgischen an sich das Spielerische und Verspielte doch eher fernliegt. Dem Österreicher hingegen, speziell dem aus Wien, kann es gar nicht spielerisch und dabei auch noch verspielt genug zugehen auf seiner Welt. Dass der erste Chefredakteur des Zentralorgans der bundesdeutschen Postmoderne, der ein Wiener war, sich ausgerechnet das sachliche Hamburg als Sitz für seine Redaktion aussuchte, kann mit seiner Suche nach dem größtmöglichen Reibungspotenzial für seinen Hitzkopf erklärt werden. Hier, umgeben von den Gärten in ewigem
British Racing Green und ihren muschelhellen »Patriziervillen« am Ufer des Alstersees, mit der schönen Modeschöpferin Jil Sander als Nachbarin und einem unnachahmlich feuchten Klima, das schon seit Jahrhunderten auf wunderbare Weise mit den samtigen Rasenflächen und den blickdichten Schleppen der Trauerweiden harmoniert, konnte er sich ein barock verspieltes Hamburg aus den Fingern saugen, wie es wienerischer gar nicht vorstellbar war. Für die übrigen Journalisten der Medienstadt Hamburg, die sich gedanklich allenfalls vom Fleet an die Fleet Street bewegten, aber dabei – Kaufmannsehrenwort – ständig an die Kasse der Verleger dachten, schien er durch seine aufreizende Serie von Vertrauensbrüchen bis zur Unberührbarkeit kontaminiert. Was in Hamburg aber auch nicht weiter tragisch war, denn hinter dem Tor zur Welt gab es inlands gleich mehrere Welten, die im Kosmos der Hansestadt mehr gleichgültig denn harmonisch aneinander gewöhnt waren. Was Jäcki am Gänsemarkt noch so Irrsinniges widerfahren war, hatte immer auch zeitgleich stattgefunden mit dem behaglichen Verspeisen eines warmen Franzbrötchens vor dem morgendlichen Ausritt im Jenischpark und dem Umfallen eines Sacks Kakaobohnen in der Speicherstadt. Bloß dass halt am Gänsemarkt mittlerweile eine Werbeagentur residierte. Dass dort Franzbrötchen aus der gegenüberliegenden Stadtbäckerei schnabuliert wurden, darf nicht gänzlich in Abrede gestellt werden. Aber die Penner und die Nachtschwärmer, die Künstler und so weiter, es gab sie noch immer. Man war halt vom Gänsemarkt aus neunundachtzig bis einhundertundzwei Schritte über den Stephansplatz und auf dem Gorch-Fock-Wall an der Musikhalle und am Justizgebäude vorbei bis durchs Millerntor weitergezogen, von wo aus sich bis zum westwärts gelegenen Nobistor zu beiden Seiten der alten Reeperbahn das Hafenviertel St. Pauli ausgebreitet fand wie eh und je zu Starclub-Zeiten. Seit Neustem aber, eigentlich seit Erfindung der Pornofilme auf Videokassette, aber besonders derbe – wie es dort hieß – seitdem das Virus umging, die Schwulenpest, die Freierseuche, Needle Sharing, Aids, befand sich die Infrastruktur einmal mehr mitten in einem ultraregionalen Strukturwandel. In die leerstehenden Pornokinos und Animierbars und Nachtclubs für erotisches Cabaret, in denen anhaltende Flaute geherrscht hatte, zogen nun, wie Einsiedlerkrebse in Muscheln, Bars und Nightsclubs ein – von der Strategie her waren das meistens Pop-ups – die, wie es auf St. Pauli seit Urvätern Sitte war, erst kurz vor Mitternacht ihr Publikum fanden – dafür blieben die Mädels und Jungs auch gerne bis in die sogenannten Puppen und zechten
by the pail. An den Tresen und in den Plüschecken saßen jetzt nicht mehr bloß traurige Männer und warteten auf Liebe an sich, es mischten sich Alstervilla und Hafenstraße mit Altbau-WG im Hochparterre. Wer in der Gesellschaft der Hansestadt gegen den Kaufmannskodex verstieß, wurde zwar vom Rasen gebeten, fand aber mildtätige Aufnahme im den Zuhälterkodex befolgenden verschworenen Gestrüpp des Nachtlebens. Gleichwie taxiert befand sich also alles wohl in benachbarten Sphären, unter einem weiten Himmel über der Stadt. So konnte es dann schließlich auch dazu kommen, dass ich, ein heuriges Häsle, dort dem Großen Burstah in die Fänge geriet.
Wie hat sich diese Begegnung abgespielt – so wie bei Moriarty und Holmes?
Nein, natürlich nicht.
6000 Fuß jenseits von Mensch und Zeit: Als ich wieder nach Hamburg kam, war das keine Rückkehr für mich, es war auch kein zweites Mal. Die Achtzigerjahre waren vorbei. Eine ganze Kindheit war vorbei. Wie versunken. Aber noch nicht ganz, ein Zipfel schaute noch aus der See, die längst wieder glatt wie ein Spiegel hinter mir lag.
Als ich, ein junger Mann, ein Nobody, in dieser Silvesternacht am Anfang der Neunzigerjahre nach Hamburg kam, wusste ich natürlich erstens nicht, dass ich einst neun Jahre hier gelebt haben würde. Und zweitens konnte mir damals, während vor den zugefrorenen Scheiben die ersten Goldregen durch die Dunkelheit pfiffen, bloß ganz zart erst schwanen, dass ich hier in Hamburg auch die Liebe erleben dürfte. Die Liebe, l’ amour, das einzig Wahre. Der Schatz des Herzens in seiner postmodernen Form, aus Tragödie und Farce zusammengewürfelt.