Elisabeth Reinharz' Ehe. Es lebe die Kunst!. Clara Viebig

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Название Elisabeth Reinharz' Ehe. Es lebe die Kunst!
Автор произведения Clara Viebig
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9788711466926



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mit dreinreden. Im übrigen versteht er von der Literatur soviel wie der Ochs vom Lautenschlagen.“

      „Ach!“ Mehr brachte Elisabeth nicht heraus. Sie sass ganz stumm und steif. Es war gut, dass es hier bald zu Ende ging; einzelne empfahlen sich schon. Sie unterdrückte ein Gähnen, eine grosse Müdigkeit kam über sie und eine leis sich regende Enttäuschung. Diese wich erst, als Frau Leonore sie beim Abschied in die Arme schloss.

      „Liebes Kind, reizend! Man hat mir unausgesetzt Komplimente gemacht. Ich habe Sie Doktor Bolten warm empfohlen. Verlagsbuchhändler Maier hat auch mindestens eine halbe Stunde mit mir über Sie gesprochen. Zu schade, dass unser Eisenlohr heute nicht hier sein konnte, aber ich hoffe, ein andermal! Ich muss Sie doch mit unserem grössten Dichter bekannt machen.“

      „Sie sind so gut!“ Elisabeth beugte sich über Frau Leonores kleine Hand und drückte ihre warmen Lippen darauf.

      „Herzchen!“ Leonore wurde ganz enthusiastisch. „Wir müssen uns ‚du’ nennen! Wenn man so gleich denkt und gleich empfindet wie wir. Also ‚du’ — — hörst du? Und wann kommst du wieder zu mir? Morgen, übermorgen? Komm morgen! Wir haben so viel zu plaudern. Und sei fleissig, hörst du, sei fleissig, kleines Genie!“

      Das war das letzte Wort. Elisabeth stand unten auf der Strasse und sah die Dunkelheit nicht; es war hell um sie, ganz hell, ihre Augen leuchteten, als spiegelte sich Sonne darin wider.

      Sie hatte sich Fräulein Rosen angeschlossen. Elisabeth hätte sich nichts daraus gemacht, zu Fuss zu gehen, aber schon bei dem Gedanken war Alinde ganz entsetzt. „Wo denken Sie hin, zwei junge Mädchen so spät in der Nacht allein! Noch dazu in der Nähe des Tiergartens und in meiner Toilette!“ So nahmen sie eine Droschke.

      Elisabeth war sehr gesprächig, das Glücksempfinden, das sie durchströmte, hatte ihr die Zunge gelöst. Die Droschkenfenster ratterten, der Hufschlag des müden Gauls klapperte auf dem Asphalt, die Räder polterten über Strassenbahngeleise, ihre helle Stimme übertönte alles. „Und glauben Sie wirklich, dass ich vorlesen darf? Ach, und wenn der Doktor was von mir druckte! Wie gut die Menschen sind! Was Frau Mannhardt — Leonore“, verbesserte sie sich, „doch alles für mich tut!“

      „Sie sind wohl sehr befreundet?“ fragte die Rosen.

      „Nein, eigentlich gar nicht; bis jetzt wenigstens nicht. Aber nun. Ich hatte einen Empfehlungsbrief an Herrn Mannhardt, unser Arzt in Meseritz ist ein Verwandter von ihm. Der interessiert sich für mich — ach, mein guter Doktor! Er schrieb Herrn Mannhardt einen langen Brief, und ich ging dann gleich den ersten Sonntag Punkt zwölf hin.“

      „Dieser Arzt in Meseritz ist wohl noch ein junger Mann? Na, na!“ Alinde witterte gleich einen Roman; sie drohte schelmisch mit dem Finger.

      Elisabeth sah sie gross an. „Er war ein Freund meines Grossonkels“, sagte sie ernst. „Er hat ihm auch die Augen zugedrückt. Er war sehr gut zu mir, es wurde mir schwer, mich von ihm zu trennen. Aber ich wollte nach Berlin, ich musste nach Berlin, ich muss etwas erreichen!“ Die Droschke schien zu eng für den vollen, freudigen Klang dieser Stimme: „Ich muss!“

      „Ach ja,“ seufzte die Rosen, „diese Illusionen haben wir alle gehabt!“

      „Sie seufzen?“ Elisabeth wurde ganz eifrig. „Sie können sich doch gewiss nicht beklagen. Wer so viel erreicht hat!“

      Alinde sprach nachlässig: „So meine ich das ja gar nicht. Man stumpft eben so ab. Im Anfang, wenn einem alles neu ist, ist man schon glücklich, nur seinen Namen gedruckt zu sehen. Jetzt — du lieber Gott! Es berührt mich nicht einmal mehr, wenn ich die glänzendsten Rezensionen oder irgendeinen Essay über mich lese.“ Sie lehnte sich zurück und zog den eleganten Pelzmantel fester um die entblössten Schultern.

      Elisabeth sah sie bewundernd an.

      „Es erscheint jetzt wieder ein Roman von mir in Boltens Blatt, einer bei Bornemann und einer im Feuilleton der „Süddeutschen Zeitung“. Ich schreibe doch so das Jahr meine zwei bis drei Romane, abgerechnet die kleineren Sachen.“

      „Um Gottes willen!“ sagte Elisabeth.

      „Jeden Tag Briefe und Briefe, Anfragen von Redaktionen. Ja, es wird auch zu viel! Mein Arzt sagt: ‚Sie überreizen Ihren Geist.’ Aber was soll ich machen? Sie sollen mal meinen Schreibtisch sehen: Haufen unbeantworteter Anfragen. Meine Schreibmaschine klappert den ganzen Tag, aber ich kann doch nicht alle Versprechen einlösen.“

      Elisabeth sagte nichts mehr, sie sah nur immer gross drein.

      Alinde wurde zutraulich: „Und sowie etwas Neues von mir erscheint, regnet’s Blumen in meine Studierstube. Und reizende kleine Aufmerksamkeiten. Besuchen Sie mich doch, ich zeige Ihnen alles, ja?“

      „Das möchte ich wohl.“ Elisabeth reichte ihr die Hand. „Ich danke Ihnen, ich komme sehr gern.“ Und dann mit einem Seufzer: „Ach, wenn ich’s nur jemals halb so weit brächte!“

      „Anerkennung tut freilich wohl,“ Alinde lehnte sich noch bequemer hintenüber, „aber das Höchste ist doch die eigene Befriedigung des schaffenden Künstlers. Ich mache ziemlich viel mit, aber selbstverständlich nur zu Studienzwecken. Die feinsten Motive finden sich allein im Salon. Herrliche Stoffe, grossartige Stoffe! Diese wunderbaren Fäden von Mensch zu Mensch, von Mann zu Weib belausche ich. Ach, wenn ich alles erzählen wollte!“

      „Entschuldigen Sie!“ Das Mädchen legte die Hand auf den Griff der Wagentür. „Ich steige jetzt aus, hier ist mein Haus. Halt, Kutscher!“

      „Adieu, liebes Fräulein!“ Alinde war sehr freundlich. „Sie besuchen mich also?“

      Elisabeth stand schon draussen, ihr Gesicht nickte noch einmal in den Wagen zurück. „Sehr gern!“ — — —

      Hastig stieg Elisabeth die vier Treppen hinauf zu ihrer Gartenwohnung. Gartenwohnung? Nichts als Dächer, lauter Dächer. Tief unten ein enger Hof mit einem kleinen Rasenfleck in der Mitte. Wie im Traum war sich das Mädchen hier anfangs vorgekommen; sie, die immer gewohut gewesen war, gleich aus der Stube im Garten zu sein, sie musste nun viele, viele Stufen hinauf- und hinabsteigen. Merkwürdig, wie das ganze Berliner Leben, war auch das: immer in Hut und Handschuhen gehen, nie einen Satz über Gräben machen und im Schlendergang den Wald durchstreifen. Rasch genug hatte sie sich eingewöhnt, drei Monate war sie erst hier. Sie nahm die Treppen wie selbstverständlich.

      Sie leuchtete sich jetzt mit dem Wachszündhölzchen und schloss geräuschlos die Tür ihrer Wohnung auf. Da war die Küche — und da die zwei Stuben. Auf den Zehen ging Elisabeth, um die alte Mile nicht zu stören, die hinter einem Vorhang in der kleinen Küche schnarchte.

      Langsam, wie träumend, legte sie ihre Kleider ab. So spät war sie in ihrem Leben noch nicht zu Bett gegangen, nur vor dreiviertel Jahren im Mai, als der Grossonkel die Augen geschlossen hatte. Sie musste jetzt so sehr daran denken, damals war sie unglücklich gewesen, und heute? So glücklich!

      Damals sangen die Nachtigallen draussen im dunklen Landgarten, durch die geöffneten Fenster des Sterbezimmers brachte der Nachtwind einen Duftstrom von den ersten Blüten des Jahres. Im Stall brüllten dumpf die Kühe, die Pferde schnauften, Nero winselte im Hausflur, und die Katze schlich miauend um die Tür — vertraute Stimmen, die ihren Herrn riefen.

      Heute alles still. Das Geräusch der grossen Stadr verstummt an der Grenze von Nacht und Morgen. Es war drei Uhr. Ganz allein ...!

      Elisabeth sah sich um. Da lag das schwarzseidene Kleid überm Stuhl, die weissen Spitzenrüschen um Hals und Ärmel waren zerdrückt, die weissen Rosen, die Frau Leonore ihr an die Brust geheftet, abgeknickt. Die kleine Küchenlampe, die Mile auf den Tisch gestellt hatte, brannte trüb und gab dem einsamen Zimmer eine traurige, verlassene Stimmung.

      Und doch nicht allein! Eine Flut von Gestalten drängte sich mit mächtigem Schwall herein, belebte den Raum, glitt hin und her und schaffte Wechsel und Bewegung. Wie Wellen auf hoher See, brausend, Schaumkämme hebend, sich teilend, sinkend, sich wieder hebend, höher, höher wogten Gedanken in dem Mädchenkopf. Stimmen flüsterten, Namen schwirrten. Hoch oben, weit draussen am graunächtlichen Himmel, glänzte