Der kleine Fürst Staffel 13 – Adelsroman. Viola Maybach

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Название Der kleine Fürst Staffel 13 – Adelsroman
Автор произведения Viola Maybach
Жанр Языкознание
Серия Der kleine Fürst Staffel
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740975685



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gehe sie holen«, sagte Corinna. »Bevor wir noch länger darauf warten …«

      Sie war schon zur Tür hinaus, bevor der Kollege etwas erwidern konnte. Niemand brauchte zu wissen, dass sie nicht wegen der Unterlagen freiwillig in den fünften Stock fuhr, sondern ausschließlich wegen Felix von Bernau. Der Mann faszinierte sie, trotz seines Rufs. Aber der Felix von Bernau, der sie kürzlich nach Hause gefahren hatte, war ganz anders gewesen als es ihr hier im Sender ständig erzählt wurde. Ein wenig unsicher hatte er gewirkt, sogar verletzlich. Sie glaubte jedenfalls nicht, dass die Bezeichnung ›Frauenheld‹ ausreichte, um ihm gerecht zu werden.

      Nicht, dass sie an eine Liebesbeziehung dachte. Es war ihr unmöglich, sich vorzustellen, dass sie sich zum jetzigen Zeitpunkt verliebte, wo die Trauer um ihren verstorbenen Bruder ihr Leben beherrschte. Auch Maren hätte dafür sicher keinerlei Verständnis gehabt. Schmetterlinge im Bauch vertrugen sich nun einmal nicht mit Trauer. Aber darum ging es hier ja auch nicht. Sie war nur neugierig auf Felix von Bernau, mehr nicht. Sie wollte ihn kennenlernen, mehr über ihn erfahren als das, was alle zu wissen glaubten.

      Sie war noch nie zuvor im fünften Stock gewesen. Warum auch? Hier herrschten ›die Serienheinis‹, wie der Kollege gesagt hatte, was durchaus nicht nur abfällig gemeint war. Die Serien brachten dem Sender die höchsten Quoten ein, insofern wussten alle, was sie dem fünften Stock zu verdanken hatten.

      Sie fragte einen ziemlich dicken jungen Mann in ihrem Alter nach den Unterlagen.

      Ein erstaunter Blick traf sie. »Und da bemühst du dich selbst nach oben? So viel Beweglichkeit hätten wir euch ja gar nicht zugetraut. Moment mal, ich hole die Mappe.«

      Mist, dachte Corinna. Wenn ich Pech habe, bin ich wieder unten, ohne auch nur Felix von Bernaus Namen gelesen zu haben. Aber sie hatte nicht Pech, sondern Glück, denn in diesem Augenblick erschien er in einer der Türen und betrachtete sie ungläubig. »Sie hier?«, fragte er. »Was verschafft uns denn die Ehre? Oder sind Sie etwa gekommen, um mir einen Besuch abzustatten?«

      Bevor sie antworten konnte, erschien der dicke junge Mann wieder und wedelte mit einer Mappe. »Hier sind die kostbaren Unterlagen. Keine Ahnung, wieso die bei uns gelandet sind, verbummele sie jetzt bloß nicht.« Er bemerkte Felix von Bernau, räusperte sich und verschwand eilig.

      »Kennen Sie ihn näher?«, fragte Felix.

      »Ich habe ihn eben zum ersten Mal gesehen. Er hat mich gleich geduzt.«

      »Ja, das ist bei uns auf dem Stockwerk so üblich, aber gegenüber Besucherinnen gehört sich das natürlich nicht. Sagen Sie, wollen wir mal einen Kaffee trinken gehen? Oder eine Pizza beim Italiener essen?«

      Sie ertappte sich dabei, dass sie am liebsten einfach ›ja‹ gesagt hätte, doch daran konnte sie sich ge­rade noch hindern. »Wieder auf ­Beutejagd?«, fragte sie mit leicht schnippischem Unterton.

      »Nein, und das wissen Sie auch.«

      Ihr fiel auf, dass alle Bürotüren offen standen, und sie nahm an, dass überall die Ohren gespitzt wurden. Vielleicht machte er das ja immer so, wenn er beschlossen hatte, eine Frau zu verführen? Nun, bei ihr würde er kein Glück haben, das stand fest.

      »Okay«, sagte sie lässig. »Heute Abend habe ich Zeit.«

      Er sah so verdutzt aus, dass sie lachen musste. »Was ist? Haben Sie mit einer Absage gerechnet?«

      »Wenn ich ehrlich sein soll: ja.«

      »Tja, da haben Sie sich geirrt. Wollen Sie jetzt einen Rückzieher machen?«

      »Auf keinen Fall, was denken Sie denn? Wann und wo?«

      »Um acht, vorne beim Italiener. In Ordnung?«

      »Ich werde da sein.«

      »Ich auch!«, lachte sie.

      Als sie mit dem Aufzug nach unten fuhr, hatte sie sie doch, die Schmetterlinge im Bauch. Aber nur ganz kurz, dann rief sie sich energisch zur Ordnung.

      Als sie ihr Büro betrat, musste sie feststellen, dass die Neuigkeit aus dem fünften Stock schneller in den zweiten gelangt war als sie mit dem Aufzug. Ihre ältere Kollegin Gitta Heidinger wartete bereits auf sie. »Bist du verrückt geworden?«, fauchte sie Corinna an.

      »Wieso denn?«

      »Du lässt dich auf ein Treffen mit dem Mann ein, vor dem ich dich gewarnt habe? Er macht es bei dir wie bei allen, und ich wollte dir eine bittere Enttäuschung ersparen. Aber wie ich sehe, haben meine Warnungen nichts genützt.«

      »Es ist nicht, wie du denkst, Gitta. Ich will nichts von ihm, und er will nichts von mir.«

      Gitta ließ sich auf einen Stuhl fallen. Sie war eine attraktive Rothaarige von Anfang Dreißig mit traurigen Augen. »Ich fasse es nicht«, sagte sie. »Er wird dich unglücklich machen, Corinna.«

      »Wird er nicht, ich bin doch überhaupt nicht verliebt in ihn, Gitta«, beteuerte Corinna.

      »Und warum triffst du dich dann mit ihm?«

      »Weil ich ihn nett finde, deshalb. Man kann mit einem Mann auch nur befreundet sein.«

      Gitta stand wieder auf und ging zur Tür, wo sie sich noch einmal umdrehte und mitleidig sagte: »Es mag Männer geben, mit denen das möglich ist, Kleine, aber Felix gehört ganz bestimmt nicht dazu.« Nach diesen Worten ging sie.

      Im Laufe des Tages musste Corinna feststellen, dass der halbe Sender zu wissen schien, mit wem sie an diesem Abend verabredet war. Ihr folgten mitleidige, aber auch neidische Blicke, und sie empfand so manchen Gang als Spießrutenlauf. Doch beirren ließ sie sich nicht. Sie war schließlich erwachsen, sie konnte selbst entscheiden, mit wem sie essen gehen wollte.

      Nur wenn sie an Oliver dachte, ihren toten Bruder, meldete sich ihr schlechtes Gewissen. Es war nicht richtig, dass sie noch lebte und sich verabredete, während er …

      Jedes Mal drängte sie diesen Gedanken rasch beiseite, denn er nahm ihr die Luft zum Atmen.

      *

      »Ich dachte, wir beide könnten zusammen hinfahren und den Scheck überreichen, Chris«, sagte Baronin Sofia zu ihrem Neffen.

      Prinz Christian von Sternberg war ein schlanker, groß gewachsener Junge mit ziemlich langen dunklen Haaren und ernsten Augen. Unvermittelt konnte ein Lächeln in seinem Gesicht aufleuchten, dann erst merkte man, wie jung er noch war. Die Trauer um seine Eltern hatte ihn vor der Zeit reifen lassen, die meisten Menschen, die ihn zum ersten Mal sahen, hielten ihn für älter.

      Er nickte stumm, sah seine Tante dabei aber nicht.

      »Wenn es zu schmerzlich für dich ist, fahre ich allein«, sagte sie. »Aber wir haben sie ja seit damals nicht wiedergesehen, weil sie das auch nicht wollte. Doch jetzt kommt es mir so vor, als wäre es an der Zeit …«

      Der Junge unterbrach sie. »Ich habe selbst auch schon daran gedacht, Tante Sofia, aber dann hatte ich Angst. Es gibt sowieso Tage, an denen alles wieder hochkommt, und die sind besonders schwer. Gerade jetzt ist wieder so eine Zeit.«

      Sie ging zu ihm, um ihn zu umarmen. »Weil es bald ein Jahr her ist«, sagte sie ruhig. »Es geht mir genauso. Und dann steht ja auch der Sommer vor der Tür, alles fängt wieder an zu leben …« Sie brach ab, ihre Augen wurden feucht.

      »Letztes Jahr, als der Sommer vor der Tür stand, haben sie noch gelebt«, sagte Christian leise.

      »Ja, ich weiß.«

      »Ich komme mit dir, Tante Sofia. Wann willst du denn hinfahren?«

      »Ich dachte, gegen Ende der Woche. Du musst ja auch Zeit haben, und ihr habt ja immer so lange Unterricht.«

      »Am Samstag?«, fragte er.

      »Ja, Samstagmittag wäre vielleicht eine gute Zeit. Ich werde Herrn Hagedorn bitten, uns anzumelden, sie soll sich nicht überrumpelt fühlen.«

      Eberhard Hagedorn war Butler im Schloss, seit vielen Jahren schon. Er war als junger Mann nach Sternberg gekommen, hatte