Osterläuten. Friederike Schmöe

Читать онлайн.
Название Osterläuten
Автор произведения Friederike Schmöe
Жанр Триллеры
Серия
Издательство Триллеры
Год выпуска 0
isbn 9783839267783



Скачать книгу

Vermutungen, nur ausgebrütete Geschichten. Wie der Plot für einen Film, der nicht von der Stelle kam. Mia stellte die Essensreste und das Brandyglas weg. »Zeig.«

      Er breitete die Karte aus.

      »Hier. Der Wanderparkplatz in der Fränkischen Schweiz. Im Aufseßtal. Da hat sie das Auto abgestellt.«

      Mia starrte auf den Fingernagel mit dem Trauerrand. »Sie selbst. Oder jemand.«

      »Jemand. Richtig. Irgendwer.« Sein Zeigefinger fuhr über die Karte. Wald. Höhenlinien. »Und dort …«

      Der Kopf. Dort lag ihr Kopf. Mia spürte Brechreiz. »Das sind 30, 40 Kilometer.«

      Sie sahen einander an.

      »Was meinst du, wie lange hat er da gelegen?«, fragte André. »Der Schädel, meine ich.«

      Sie zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht.« Tränen kullerten aus ihren Augen. Sie wischte sie weg.

      »Hast du Hunger?«

      »Nach dem Brandy …«

      »Macht Appetit. Ich weiß.« Er ging zum Kühlschrank. »Croque Monsieur?«

      »Hm.«

      Er schaltete den kleinen Grill an und ging zum Kühlschrank. Verquirlte Ei. Tunkte die Brotscheiben hinein. Belegte sie mit Emmentaler und Kochschinken.

      »Béchamel?«

      »Bitte!«

      Er nickte, als habe er Mia ganz richtig eingeschätzt, kleckste Béchamelsoße auf die Sandwiches, deckte sie mit einer weiteren Toastscheibe zu und packte sie in den Grill.

      »Kaffee?«

      »Schwarz.«

      Er mahlte Bohnen. Goss Kaffee auf. Obwohl Mia ahnte, dass er sich allzu oft gehen ließ, achtete er auf hochwertige Zutaten und sorgfältige Zubereitung. Mit Essen hudeln, das hatte er nicht einmal damals getan. Als Monika verschwand. Mit ihrem Auto. Als man das Auto an dem besagten Wanderparkplatz fand. Und keine Spur von ihr. Seit elf Jahren. Als habe es sie nie gegeben.

      Und jetzt ein Schädel. Ein Phantombild ohne Haare. Ein wenig zu füllig gezeichnet, Monika war zierlich gewesen.

      Keine anderen menschlichen Überreste. Zumindest nicht an dieser Stelle im Wald. Aber irgendwo musste doch der Rest sein.

      Der Kaffeeduft belebte Mias Sinne. André stellte ihr eine Tasse hin.

      »Danke!« Sie sog tief das Aroma ein. »Deine üblichen Keniabohnen?«

      Er nickte. »Also. Wieso ist da der Kopf? Und sonst nichts?«

      Rasch trank Mia einen Schluck Kaffee und verbrühte sich die Lippen. »Vielleicht war ein durchgeknallter Schädelsammler am Werk?«

      »Wenn einer sammelt, ist der Schädel ja nicht im Wald, sondern bei dem Typen zu Hause.«

      Sie drehten sich schon jetzt im Kreis. Monika war weggefahren, am Nachmittag des 11. April 2008, um welche Uhrzeit genau, hatte man nicht feststellen können, und genauso wenig, was ihr Ziel gewesen war. Fest stand nur, dass sie sich zuvor im Büro freigenommen hatte. Nur für diesen einen Nachmittag.

      »Sie hatte was vor. Aber was? Keine ihrer Freundinnen hatte die leiseste Ahnung, und den Arbeitskollegen hat sie auch nichts gesagt.«

      Sie hatten fantasiert. Mia und André. Vielleicht ein Arzttermin mit einer ungünstigen Diagnose, die sie erschüttert hatte? Doch bei keinem ihrer Ärzte hatte Monika für jenen Nachmittag einen Termin gehabt. Auch keiner der vielen anderen Erklärungsversuche – eine Affäre, eine neue Freundschaft – brachte irgendetwas über Monikas Verbleib ans Licht.

      »Ich will den Schädel sehen«, sagte André.

      »Mach das nicht.«

      »Wieso denn nicht? Sie war meine Frau. Und jetzt kann ich sie endlich für tot erklären lassen. Damit sie ihren Frieden hat.«

      Er nahm die Toasts aus dem Grill und servierte sie. Mit einer gelben Papierserviette.

      »Stilvoll geht die Welt zugrunde«, murmelte er.

      Zugrunde gegangen ist sie schon, dachte Mia. Hat sich aufgelöst in diffuse Schatten, zusammen mit Monika.

      3.

      Es regnete leicht, als Mia sich aufs Rad schwang und Richtung Berggebiet fuhr. Sie trat kräftig in die Pedale.

      Ihre Eltern würden in einer guten halben Stunde zur Praxis aufbrechen, da blieb noch Zeit für ein kurzes Gespräch. Keinesfalls wollte sie ihnen die Neuigkeit am Telefon zumuten. Und vielleicht, hoffte sie irgendwo tief drin, hatten sie und André sich getäuscht. Womöglich war es nicht Monika. Sondern eine Frau, die ihr ähnlich sah. So etwas gab es.

      Ihr Handy klingelte, als sie einem Taxi auswich, das knapp vor ihr nach rechts in die Lange Straße einbog. Sie geriet ins Schlingern.

      »Idiot!«

      Eine Frau, die Monika dermaßen ähnlich sah und genauso wie sie verschwunden war? Wer sollte das sein?

      Das Klingeln brach ab, um gleich darauf wieder loszulegen. Mia rollte mit dem Verkehr mit. Er schwoll jeden Tag zwischen 7.30 und 8 Uhr an, lärmte, beschwor Abgaswolken hervor, verquirlte sie mit Hektik und Stress und löste sich dann in nichts auf. Zwar begannen heute die Osterferien, dennoch herrschte das übliche Chaos. Endlich verstummte der Klingelton.

      Sie strampelte den Kaulberg hoch. Der Schweiß rann ihr den Rücken hinunter. In der Morgenkälte fühlten sich ihre Hände ganz taub an.

      Ich hätte Handschuhe mitnehmen sollen.

      Als sie das Rad vor dem Gartentor ihrer Eltern an den Zaun lehnte, klingelte das Handy erneut.

      Sie kramte es aus der Tasche. »Hallo?«

      »Morgen, mein Name ist Lars. Sie hatten sich für den Schrank interessiert?«

      Die Kleinanzeige im Internet! Die hatte sie völlig vergessen.

      »Ja, das stimmt.«

      »Könnten Sie die Tage vorbeikommen? Es haben sich noch andere gemeldet.«

      Alter Trick. Hochdruckverkauf. Aber sie brauchte endlich einen Schrank.

      »Wann hätten Sie Zeit?«

      »Heute muss ich um halb neun bei einer Haushaltsauflösung sein. Wird länger dauern. Geht es morgen? Am Nachmittag? Ich wohne in der Pödeldorfer Straße.«

      »Okay.«

      Mia legte auf.

      Wie kommt es, dass ich mich um einen Schrank kümmere, wenn ich zugleich …

      Sie klingelte. Das angelaufene Messingschild hing hier seit Jahr und Tag. »Wagner«. Schlicht und einfach. Keine Vornamen. Kein »Familie«. Nur »Wagner«. Rasch warf Mia einen Blick auf das Nachbargrundstück. Hier hatten Monika und André gewohnt. Ein Jahr lang. Bis Monika mit dem Auto fortfuhr und nicht wiederkam. Danach hatte André es in dieser Wohnidylle nicht mehr ausgehalten.

      Der Türöffner summte. Mia drückte das Tor auf und spazierte zum Haus hoch. Ihre Mutter lehnte in der Tür.

      »Hi, Mama.«

      »So früh schon unterwegs?«

      Klar, ich bin schlaflos. Ich gehöre zu denen, die noch früher auf sein könnten. Wie früh, das kannst du dir gar nicht vorstellen.

      »Sieht so aus.«

      »Wir frühstücken gerade. Magst du einen Kaffee?« Simone Wagner ging auf die 60 zu, und man sah es ihr an. Das Make-up verbarg kaum die vielen Fältchen rund um die schmalen Lippen. Sie wirkte immer ein wenig gehetzt, als könne sie einfach nicht Schritt halten mit ihrem Leben. Ihr gertenschlanker Körper steckte in einem dunkelblauen Hosenanzug.

      »Gern.«

      Mia kickte die Boots von den Füßen und folgte ihrer Mutter in die offene Küche.