Die Begine und der Siechenmeister. Silvia Stolzenburg

Читать онлайн.
Название Die Begine und der Siechenmeister
Автор произведения Silvia Stolzenburg
Жанр Исторические детективы
Серия
Издательство Исторические детективы
Год выпуска 0
isbn 9783839267264



Скачать книгу

mich? Der Kerl muss schön dumm sein, wenn er sich mit diesem losen Weib abgibt. Ich will nicht wissen, wie viele Pfaffen ihretwegen den Hurenzins zahlen.« Die Frau lachte verächtlich.

      »Interessiert dich auch nicht, dass ihr Mann verschwunden ist?«

      Anna spitzte die Ohren.

      »Verschwunden?« Die andere Magd lachte. »Gott wird ihn der Hure genommen haben. Oder er ist abgehauen. Wäre nicht der erste.«

      »Warum sollte er abhauen? Sie ist doch jung und willig.«

      »Woher weißt du überhaupt davon?«

      »Die Hebmagd hat es mir erzählt.«

      »Die wird dir einen Bären aufgebunden haben«, schnaubte die Frau und schob ihre Begleiterin nach vorn, als zwei der Fuhrwerke vom Beschließer durchgewunken wurden. Kurz darauf war die Reihe an Anna, die wenig später den kleineren der beiden Spitalhöfe betrat. Trotz der dichten Schwaden war zu erkennen, wie weitläufig das Gelände war. Zu ihrer Rechten befanden sich die Ställe, Scheunen und Fruchtkästen, zu ihrer Linken ragte die Spitalkirche in den Himmel. Die Spitze des Turms wurde vom Nebel verschluckt. Eine Schmiede, eine Bäckerei und mehrere Wirtschaftsgebäude schlossen an die Kirche an. Gegenüber dem Tor zeichneten sich die Umrisse der Dürftigenstube ab, hinter welcher einer der Türme der Stadtbefestigung aufragte. Durch einen Bogengang neben der Kirche gelangte man in einen zweiten, größeren Hof, in dessen Mitte sich ein Ziehbrunnen befand. In der Nähe des Brunnens waren die größeren landwirtschaftlichen Geräte und Fuhrwerke des Ordens abgestellt. Östlich der Kirche verbarg sich das stattliche Haus des Spitalmeisters mit einer Kapelle im Nebel. Den Abschluss des größeren Hofes bildeten die Häuser für die Pfründner, eine Badestube und ein Speisesaal. Am Fuß der Stadtmauer gab es einen kleinen Friedhof und einen Kräutergarten.

      Trotz des Wetters herrschte reger Betrieb in den Höfen, da zahlreiche Bedürftige und Kranke im Spital wohnten. Dutzende von Ordensbrüdern kümmerten sich um die männlichen Insassen, wohingegen die Wöchnerinnen und weiblichen Kranken von der Meisterin, einer Milchmutter und zwei im Spital wohnenden Schwestern versorgt wurden.

      Mit schwerem Herzen, weil die Erinnerungen an Lazarus überall lauerten, machte Anna sich auf den Weg zur Dürftigenstube, um zuerst diejenigen zu versorgen, die ihre Hilfe am dringendsten benötigten.

      Kapitel 3

      Der achtjährige Ziegenhirte Paul drängte sich dicht an seine Tiere, weil ihm vor Kälte die Knie schlotterten. Er hatte bei Sonnenaufgang den kleinen Hof des Ackerbürgers verlassen, bei dem er eine Anstellung gefunden hatte, und hoffte, dass er im Nebel keines der klapprigen Tiere verlor. Wenn ihm eines der viel zu spät geborenen Zicklein weglief, würde der Herr ihm nicht nur das Fell gerben, er würde ihn mit Sicherheit auch aus dem Haus jagen. Zwar teilte Paul sich den stinkenden Heuboden mit allerlei Geziefer und Ratten, doch die Unterkunft war besser als alles, an das er sich erinnern konnte. Nachdem sein Vater bei einem Unfall auf der Münsterbaustelle ums Leben gekommen war, hatten sich eine Zeit lang die Zimmerleute um ihn gekümmert. Dann war der mutterlose Knabe bei einem prügelsüchtigen Trinker gelandet, der ihm mit einem Meißel fast den Kopf gespalten hätte. Verängstigt, mit einer gebrochenen Nase und nur den Kleidern, die er am Leib trug, war der Junge fortgelaufen und seitdem auf sich allein gestellt.

      »Bleib hier, Mecki!«, rief er, als eine der Geißen neugierig zum Wegrand trabte, um dort Gras zu zupfen. Er wusste nicht einmal, ob die Wiese, auf die er die Tiere bringen sollte, in der Nähe war. Vermutlich hatte er sich längst verlaufen, weil im Nebel alles gleich aussah. Die Weide, die der Herr sich mit einigen anderen Ackerbürgern teilte, war nahe der Stadtmauer bei der Donau, allerdings tauchten vor ihm die Schemen von Zäunen und Obstbäumen auf. Mit zitternden Fingern zog er an dem langen Strick, mit dem er die Ziegen zusammengebunden hatte, und hoffte, dass er sein Ziel bald erreichte.

      Während die Tiere mal in die eine, mal in die andere Richtung drängten, lauschte er auf die Geräusche der Stadt. Es war unheimlich, Hufe klappern und Menschen reden zu hören, ohne sie zu sehen. Zwar war es jeden Herbst nebelig in Ulm, doch so schlecht wie an diesem Morgen war die Sicht schon lange nicht mehr gewesen. Insgeheim fürchtete Paul, dass im Schutz der aufsteigenden Feuchtigkeit Dämonen und Geister ihr Unwesen trieben, da Gott und der Herr Jesus sie nicht sehen konnten. Mit einem Gebet auf den Lippen, umklammerte er das Holzkreuz an seinem Hals und tastete sich mit den Ziegen weiter den schlechten Pfad entlang.

      Er hatte von Menschen gehört, die bei Nacht und Nebel von Wiedergängern oder Werwölfen angegriffen worden waren. Wurde man von einem solchen Wesen getötet, war die Seele verloren. Sein Herzschlag beschleunigte sich, als er Schritte hinter sich vernahm, die sich rasch näherten. Verfolgte ihn eine Kreatur der Hölle? Er umklammerte den groben Strick fester und drängte sich näher an die Ziegen. Als ob sie ihn schützen könnten! Seine Furcht verstärkte sich, als sich weitere Verfolger zu dem ersten gesellten.

      »Lieber Herr Jesus, steh mir bei!«, murmelte er und hätte vor Erleichterung fast aufgeschluchzt, als die Pfosten, die der Herr als Begrenzung der Wiese in den Boden geschlagen hatte, vor ihm auftauchten. Er hatte sich nicht verlaufen. So schnell er konnte, zerrte er die Ziegen auf das kleine Stück Gras, das von zu vielen Hufen niedergetrampelt war. Nur an wenigen Stellen wuchs noch saftiges Grün, rings um den Wassertrog in der Mitte des Fleckens. Mehrfach sah er sich um, während er die Tiere zu dem Trog führte, wo er sie an einem Pflock festband. Ungeachtet der fürchterlichen Kreaturen, die im Nebel lauern konnten, machten sich die Ziegen über das magere Gras her und schon bald war das Geräusch ihres Zupfens das einzige, das Paul hörte. Der Rest der Welt um ihn herum schien verstummt zu sein.

      Obwohl ihm die Angst im Nacken saß, wagte er, sich auf den Rand des Troges zu setzen und die Beine anzuziehen. Wenn er ganz still und leise verharrte, bemerkten ihn die Dämonen vielleicht nicht. Geradeaus starrend, betete er ein Vaterunser nach dem anderen und schloss die Augen, wann immer sich ein Schemen aus dem Nebel zu lösen schien. Seine Sinne spielten ihm mehr als einmal einen Streich und als einer der kahlen Bäume sich auf ihn zuzubewegen schien, rutschte er mit einem erstickten Schrei nach hinten.

      »Mist!«, schimpfte er, als sich sein Hosenboden mit eiskaltem Wasser vollsog. Einen Moment lang war die Angst vergessen und er sprang schimpfend zurück auf den Boden. »Das hat gerade noch gefehlt«, brummte er und versuchte, das Wasser aus dem Stoff zu wringen. Dabei fiel sein Blick in den Trog.

      Etwas Grauenhaftes glotzte zurück.

      Mit einem schrillen Schrei kehrte Paul dem Trog und den Ziegen den Rücken und rannte, so schnell er konnte, davon. Vergessen war die Angst vor dem Zorn seines Herrn, weggewischt die Furcht vor den Klauen der Höllenwesen. Das, was ihm aus dem Wassertrog entgegengeblickt hatte, war so entsetzlich, dass es Schlimmeres kaum geben konnte. Wie von Furien gehetzt, stolperte der Junge durch die Gassen, prallte mit Reitern und Fußvolk zusammen und rannte blindlings immer weiter. Es war ihm egal, wohin er lief. Hauptsache, er brachte so viel Abstand wie möglich zwischen sich und das Ding auf der Futterwiese.

      Kapitel 4

      »Ich fürchte, du verschwendest deine teuren Arzneien, Schwester Anna. Der Barmherzige wird die arme Seele bald zu sich holen.«

      Anna richtete sich von dem Lager auf, über das sie sich gebeugt hatte, um einer Greisin einen Trank zur Linderung ihrer rasselnden Atmung zu verabreichen. Ihre Brust hob und senkte sich nur noch schwach und in den trüben Augen war kaum mehr Leben. Ihre knotigen Hände lagen reglos auf ihrem Bauch, der von einem Krebsgeschwür aufgebläht war.

      »Sie wird bald von uns gehen«, setzte der Siechenmeister hinzu und bekreuzigte sich. Er blickte mit einer Miene, die stets traurig zu sein schien, auf die alte Frau hinab und murmelte ein Gebet.

      Anna strich der Kranken eine Strähne ihres dünnen weißen Haares aus der Stirn und stellte den Becher mit dem Trank ab. »Es hilft ihr, leichter zu atmen«, sagte sie. »Sie soll nicht leiden.«

      »Leid gehört zum Leben, genau wie die Freude«, entgegnete der Siechenmeister. »Ihr Licht hat lange genug gebrannt.« Er kehrte Anna und der Alten den Rücken und machte sich auf zu einem anderen Bett, in dem ein Mann lag, dessen Beine bei einem Sturz aus großer Höhe