Der Abt vom Petersberg. Alice Frontzek

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Название Der Abt vom Petersberg
Автор произведения Alice Frontzek
Жанр Исторические детективы
Серия
Издательство Исторические детективы
Год выпуска 0
isbn 9783839267165



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Die, deren kleine zarte Hände so kraftvoll seine Muskeln massiert und gelockert hatten. Ob er nach ihr fragen sollte? Gestikulierend erkundigte er sich nach seiner Badefrau. Die Dame verstand, verschwand in einen Raum am anderen Ende der Badehalle, und tatsächlich: Seine Orientalin, die, die die orangefarbene Tracht trug, kam auf ihn zu. Ihr Lächeln konnte er erkennen. Wieder trug sie ein großes Tuch über dem Arm und deutete an, dass er sich seiner Kleidung entledigen sollte. Das tat er. Diesmal schüttelte er den Kopf, als sie ihn zu einem Badezuber leiten wollte. Er ging zum Schwimmbeckenrand, setzte sich, ließ das Tuch fallen und rutschte schnell in das angenehm kühle Wasser. Er schwamm ein paar Runden und dachte, sie schaue ihm zu. Als er jedoch am Beckenrand kurz verschnaufte und sich umsah, war die Türkin nirgends zu sehen. Er schwamm weiter. Er wollte sich etwas verausgaben, um die unzüchtigen Gedanken loszuwerden, die sich ihm erneut aufdrängten. Dann verließ er über die Treppe das Wasser und ging zurück zu seinem Badetuch. So, wie Gott ihn schuf – er fühlte sich unbeobachtet –, kreiste er seine Arme, um seine Schultern zu lockern, dann seinen Kopf, um den Nacken zu entspannen, und machte ein paar Liegestütze, bevor er sich das Handtuch umlegte und zum Umkleideschirm ging. Er erschrak, als er die junge Frau auf einer Steinbank sitzen sah, von der aus sie ihn die ganze Zeit beobachtet zu haben schien. Ihm stieg die Schamesröte ins Gesicht und er beeilte sich, hinter den Schirm zu gelangen. Als er angezogen wieder hervorkam, stand sie vor ihm, ergriff seine geöffnete Hand und malte mit einem dünnen Stöckchen, an dem schwarzes Pulver zum Schminken der Augen haftete, eine Mondsichel und eine Bank mit einer Zypresse und einem Brunnen daneben auf die Innenfläche. Nikolaus überlegte und zeigte auf sich und anschließend auf sie. Er wiederholte diese Handbewegung und machte ein fragendes Gesicht.

      Sie nickte.

      »Wie heißt du? Ich heiße Nikolaus. NIKOLAUS.« Er zeigte auf sich, dann auf sie. »Und wie heißt du?«

      »Melechsala. Mein Name ist Melechsala.«

      Dann klingelte das Glöckchen am Eingang. Tommaso stand in der Tür.

      »Ah, Tommaso! Gerade bin ich fertig. Du hast das Becken für dich!« Noch bevor der ihn in ein Gespräch verwickeln konnte, kam die gelb gekleidete Badefrau, die ihn heute früh massiert hatte, und überreichte ihm ein Badetuch. Nikolaus lächelte ihn an, zwinkerte unbemerkt Melechsala zu und verließ die Badehalle. Er fühlte sich glücklich und leicht. Was ist da gerade passiert?, fragte er sich. Mal sehen, ob ich im Koran schlauer werde, wie das Verhalten dieser jungen Schönheit zu werten ist, überlegte er und schlug den Weg zur Bibliothek ein.

      Die Bibliothek war nicht sehr groß. Kein Vergleich zu der im Vatikan. Seine private Büchersammlung war nicht viel kleiner. Aber dort auf dem hölzernen Stehpult vor dem Fenster lag zugeklappt, an einer Kette befestigt, die besagte lateinische Übersetzung des Korans.

      Er wusste nicht, wie lange er schon über das Buch gebeugt stand. Die Kernpunkte kannte er: der Glaube an einen Gott. Der Glaube an die Engel. Der Glaube an die Propheten – einschließlich Jesus. Der Glaube an die offenbarten Bücher Gottes. Der Glaube an den Tag des Gerichts. Der Glaube an das Schicksal und den göttlichen Erlass. Aber hier! Koran 9:17: »Und die gläubigen Männer und die gläubigen Frauen sind einer des anderen Beschützer: Sie gebieten das Gute und verbieten das Böse und verrichten das Gebet und entrichten die Zakat, eine Spende für die Armen, und gehorchen Allah und seinem Gesandten. Sie sind es, derer Allah sich erbarmen wird. Allah ist erhaben, allweise.«

      Seinem Gesandten … Das klingt gut, dachte Nikolaus und musste schmunzeln. Wieso kommt mir der Name Melechsala so bekannt vor? Er grübelte. Plötzlich fiel es ihm ein und er staunte: Die Geschichte, die man sich vom Grafen von Gleichen noch immer erzählte, handelte vom Grafengeschlecht aus Thüringen, das sich das Kloster Reinhardsbrunn als Hauskloster erwählt hatte. Kues erinnerte sich, dass einer der Grafenbrüder vor etwas über hundert Jahren in den großen Kreuzzug gegen die Sarazenen gezogen war, wobei er in Gefangenschaft geriet. Er entkam dem Henkersschwert, weil die Tochter des Sultans sich in ihn verliebte. Ihr Name war Melechsala. Sie floh mit ihm in seine Heimat und wurde seine zweite Frau. Ja, den Grabstein hatte er höchstpersönlich vor einigen Jahren in der Peterskirche des Erfurter Benediktinerklosters in Augenschein genommen und mit Verwunderung der Geschichte, die er zunächst für ein Märchen gehalten hatte, gelauscht. Welch ein Zufall! Vielleicht eine Fügung, ein Hinweis. Nun, er war fern der Heimat. Heute Abend würde er zum Treffpunkt gehen.

      Jetzt hörte er ein Glockenläuten. Das musste der Ruf zum Abendgebet in der Kapelle sein. Auf dem Weg dorthin kamen aus verschiedenen Richtungen Basilius, Giuliano, Tommaso und die drei vatikanischen Bediensteten dazu. Nach dem Gebet wurden sie vom Diener des Kaisers zu einer kleinen Abendmahlzeit in den Innenhof eines Nebengelasses gebeten. Sie waren dort unter sich, aßen sich satt, tranken vom besten Wein und beobachteten den Sonnenuntergang. Nikolaus war der Erste, der sich verabschiedete. Basilius erhob sich ebenfalls und letztlich gingen sie alle ein jeder in sein Zimmer.

      Nikolaus wartete, bis der Mond, und tatsächlich war es ein abnehmender Mond in Form einer Sichel, hoch am Himmel stand. Dann ging er zu der Steinbank am Brunnen mit der Zypresse. Melechsala trat hinter der Zypresse hervor, bedeutete ihm mit dem Zeigefinger, ihr zu folgen, und führte Nikolaus in eine kleine Nische, die von Hecken umgeben war. In der Mitte hatte sie eine Decke ausgebreitet und eine kleine Karaffe Wein auf ein Tablett gestellt. Sie bot ihm einen Kelch. Er trank und gab ihr den Kelch zurück. Melechsala nahm ebenfalls einen Schluck. Dann legte sie ihren Schleier ab und öffnete ihr Haar. Sie hatte wunderschöne volle Lippen, weiße Zähne, ein bezauberndes Lächeln, eine kleine Nase und diese wunderbar dunklen Augen. Ihr gewelltes volles Haar umspielte ihre hohen Wangenknochen. Nun öffnete sie ihr Oberteil. Ihre Brüste sprangen weich und voll aus ihrer Halterung. Dann öffnete sie auch ihre Pumphose, setzte sich, lüftete seinen Umhang, zog seine Hose herunter, lehnte sich zurück und spreizte leicht ihre Schenkel. Er vergaß seine Pflichten und dachte an den Satz: »… und gehorcht Gottes Gesandten.« Er drang in sie ein, sog ihren Duft auf, sie liebten sich bis zum Sonnenaufgang, jeder in seiner Sprache. Dann beeilten sie sich, halfen sich gegenseitig, sich ordentlich herzurichten, gaben sich einen Kuss und verließen den Ort der Liebe in entgegengesetzte Richtungen.

      Am nächsten Tag verzichtete Nikolaus auf ein gemeinsames Frühstück und die Gesellschaft seiner Reisegefährten. Stattdessen stand er mit dem Sonnenaufgang auf und meditierte eine gefühlte Ewigkeit. Sein Gewissen plagte ihn und er wollte seine Gefühle sortieren. Danach sah sich Nikolaus alleine die Stadt an und durchwanderte stundenlang die endlosen Gassen, die sich mehr und mehr mit Leben füllten. Er und die anderen waren erst zur Mittagszeit in der Apostelkirche angekündigt und vorher konnte er noch niemandem unter die Augen treten. Er hatte nachzudenken. Die Sophiakirche genügte ihm vorerst von außen, später würden sie sie sicher gemeinsam besuchen. Wie wenig dieser vermauerte Raum doch dem Vergleich der Peterskirche in Rom standhielt! Die Apostelkirche, in der sie sich mit ihren byzantinischen Brüdern später trafen, verdiente jedoch seinen Respekt. Er ging schon einmal hinein. Den Grundriss bildete ein ungleichmäßiges griechisches Kreuz, wobei der westliche Arm breiter und länger war. Nicht nur die Vierung war überwölbt, auch über den Kreuzarmen thronten Kuppeln. Die Kuppel im Westen war größer, genauso wie die Vierungskuppel. Hier, in der Mitte, kamen Erde und Himmel zusammen. Nikolaus blieb in der Mitte des Quadrats stehen und sah nach oben. Zwischen den Fenstern der lichtdurchfluteten Kuppel waren die zwölf Apostel als Engel dargestellt. Kues schloss die Augen und versuchte an nichts zu denken. Er spürte, wie ihn eine unsichtbare Energie durchflutete, die ihn wissen ließ, dass er nicht alleine war. Wieder draußen, waren die Gassen voll, niemand nahm von ihm Notiz. Aber genau so war es ihm recht. Er war verliebt und wusste nicht, wie er jemals der Alte sein sollte, nachdem er so intensive Gefühle erlebt hatte. Doch mit jedem gelaufenen Kilometer wurden seine Gedanken nüchterner. Der Wein, das Klima. Kein Wunder. Ja, er würde sich diesen Genuss hier erlauben, um dann gestärkt und ohne das Gefühl, etwas verpasst zu haben, für die Reformen zu arbeiten. Schließlich musste man erlebt haben, wovon man sprach! Und überhaupt – bei näherem Nachdenken schien auch Tommaso Gefallen am Bad gefunden zu haben. Und nicht nur am Bad … Doch was, wenn die sarazenischen Frauen jedem zu Diensten waren? Er konnte nur hoffen, dass dies nicht gar im Auftrag des Kaisers geschah, um sie zu seiner Belustigung zu verspotten. Sei’s drum! Ich gewinne jedes Wortduell, dachte er.

      Und so vergingen die folgenden Wochen wie im Flug: Gebet,