Название | Leise rieselt der Tod |
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Автор произведения | Uli Aechtner |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783960416760 |
Ein bierseliges Lachen. Der Stammtischler mit den Hosenträgern kam zu ihnen an den Tresen.
»Klar, sie war eine von uns«, sagte er. »Bis sie Hals über Kopf von hier weg ist. Mit neunzehn. Kurz nach Weihnachten war das.«
Gilla stellte Schnapsgläser auf ein Tablett, goss großzügig ein, trug sie zum Stammtisch, kam zurück. »Ich war noch zu jung, um das alles so genau mitzukriegen. Das meiste weiß ich nur aus Erzählungen.«
Über den Gastraum hatte sich ein akustischer Teppich aus Weihnachtsliedern gelegt. Ein instrumental arrangiertes Medley ließ bekannte Melodien erklingen und ineinander übergehen, und in Jennifers Kopf verschwammen auch die Texte.
Ihr Kinderlein, kommet alle Jahre wieder.
Oh Tannenbaum, wie grün rieselt der Schnee.
»Das Weihnachten, an dem Uta verschwand«, wollte sie wissen, »wann genau war das?«
Gilla zuckte mit den Schultern. »So genau weiß ich das nicht. Ist jedenfalls lange her.«
»Damals hatten sich Utas Eltern scheiden lassen«, erzählte der Stammtischgast mit den Hosenträgern. Er war älter als die Wirtin und schien sich besser an das zu erinnern, was damals vorgefallen war. »Utas Mutter war ausgezogen, der Vater über die Feiertage mit seiner neuen Frau verreist. Die Uta war allein zu Haus und hat Party gemacht. Das war ihr letzter Auftritt hier.«
Der Espresso war längst ausgetrunken, und die kleine Tasse wurde von der Wirtin mit einer zügigen Bewegung vom Tresen geräumt. »Noch einen? Oder etwas anderes?«
»Nein danke. Aber Uta Möbius lebte doch zuletzt wieder hier im Dorf?«
»Erst vor einem halben Jahr kam sie zurück. Und nicht alle waren darüber begeistert.« Die Wirtin hatte sich zu Jennifer vorgebeugt und flüsterte jetzt. Ihre lange Halskette baumelte über dem Tresen. Eine billige Goldlegierung, hübsch gedreht wie eine Kordel, aber ziemlich angelaufen, stumpf und matt. Sie passte so gar nicht zu der adretten Blondine in ihrer weißen Bluse. Vielleicht ein heiß geliebtes Erinnerungsstück, dachte Jenny. Nun fasste die Wirtin auch noch nach der schmutzigen Kette und fingerte daran herum.
»Über Tote nichts Schlechtes«, sagte der Stammtischler. »Die ganze Geschichte ist eh Schnee von gestern.« Er schien wieder zu seinen Freunden zurückgehen zu wollen.
»Und der Seelenhof war schon früher ihr Zuhause?« Jennifer wollte, dass die beiden weiterredeten.
Die Wirtin richtete sich auf und straffte ihren Körper, die Goldkette rutschte an ihren Busen zurück. »Das Landhaus, das nun Ihrem Herrn Doktor gehört, das war Utas Elternhaus, liebe Frau …«
»Meyer, Jennifer Meyer.«
»Haben Sie das nicht gewusst?«
Nein, das hatte Jennifer nicht gewusst. Tom hatte ihr nichts davon erzählt, und dass diese fremde Frau so viel mehr wusste als sie, störte sie gewaltig. Sie schwieg betroffen.
»Sie tun mir leid«, fuhr die Wirtin leise fort. »Nicht dass Ihrem Freund, dem Herrn Doktor, jetzt auch noch die Patienten wegbleiben.«
»Wieso sollten sie?«, erwiderte Jennifer schroff.
»Die Leute im Dorf fragen sich halt, ob der junge Herr Doktor bei der Uta Möbius alles richtig gemacht hat«, wiegelte der Stammtischler ab. Selbstbewusst präsentierte er seine Leibesfülle, die Daumen wieder hinter die Hosenträger geklemmt. »Womöglich hat der Herr Doktor ja was übersehen. Absichtlich oder unabsichtlich. Einen Herzfehler oder so. Wer weiß.«
»Das kann ich mir wirklich nicht vorstellen.« Vor Empörung klang Jennifers Tonfall pampig.
»Gilla, was hast du denn heute für eine Essensempfehlung?« Der Stammtisch wieder. »Jetzt, wo wir gelöscht haben, muss was in den Magen.«
Die Wirtin nahm einen kleinen Stoß Speisekarten auf. »Komme!« Und zu Jenny meinte sie: »Also einen runden Tisch am Fenster, für den ersten Feiertag, à la carte. Bis dahin eine gute Zeit und schon mal einen schönen Heiligen Abend.«
»Danke. Darf ich den Flyer mitnehmen?«
»Gern zwei, wenn Sie wollen. Der Herr Doktor möchte vielleicht auch einen haben? Grüßen Sie ihn freundlich von mir.«
Jennifer zwang sich zu einem Lächeln, die Flyer stopfte sie unbesehen in eine Tasche ihres Parkas. Casanova der Rote saß immer noch unter dem Barhocker, sie bückte sich, strich ihm zum Abschied über sein seidiges Fell. Genüsslich reckte er seinen Hals, damit sie ihn dort kraulen konnte, und sah sie innig an. »Mach dir nichts draus«, sagte sein Katerblick. »Ist nur zu menschlich.«
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