13 Wochen. Harry Voß

Читать онлайн.
Название 13 Wochen
Автор произведения Harry Voß
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783955683092



Скачать книгу

– »Wieso?« – »Schürmann ist in Topform.« – »Schürmann spielt morgen gegen Italien.«

      Simon googelte Helge Schürmann im Internet. Keine Anzeichen für eine Krankheit. Er rief Jan an und fragte ihn, ob er wüsste, was das zu bedeuten hätte. Jan wusste es auch nicht. Letzter Versuch: seine Eltern. In den letzten Tagen hatte seine Mutter aufgehört, ihn zu löchern, was denn mit ihm los wäre. Das war schon mal gut. Jetzt legte er ihnen den Zettel vor: »Ist der von euch?«

      »Das ist doch deine Handschrift«, sagte die Mutter.

      »Quatsch.« Simon sah sich den Zettel näher an. Konnte das sein? Er hatte das aber nicht geschrieben. Oder hatte er Bewusstseinsstörungen und tat in Traumphasen Dinge, an die er sich später nicht mehr erinnern konnte?

      »Hast du was gegen Schürmann?«, fragte sein Vater, der von seinem Sofa aus nur mal kurz auf den Zettel geschaut hatte.

      »Natürlich nicht.«

      Simon ging wieder nach unten in sein Zimmer und warf den Zettel in den Papierkorb. Jemand will mich verarschen, dachte er. Aber ich lass das nicht mit mir machen.

      Am Sonntagabend im Länderspiel Deutschland gegen Italien passierte es: In der 75. Spielminute brach Helge Schürmann aus unerklärlichen Gründen mitten im Laufen zusammen. Bewusstlos. Das Spiel wurde unterbrochen, alle Welt regte sich auf, Sanitäter versuchten ihn zu Bewusstsein zu bringen. Schließlich wurde er mit einem Hubschrauber ins Krankenhaus gebracht. Für den restlichen Abend gab es im Fernsehen kein anderes Thema.

      Simon saß wie versteinert vor dem Fernseher. Er hatte sich das Spiel im Wohnzimmer zusammen mit seinen Eltern angesehen. Aber das jetzt – das überstieg seine Vorstellungskraft.

      Sein Vater beugte sich von seinem Sessel zu ihm rüber: »Woher wusstest du das denn gestern?«

      »Ich wusste das nicht.« Simon wurde schlecht.

      »Stand doch auf deinem Zettel, oder nicht?«

      »Ich hab das aber nicht geschrieben.«

      »Klar hast du das«, warf seine Mutter ein und setzte sofort wieder ihr besorgtes Gesicht auf. »War doch deine Schrift.«

      »Ich hab das nicht geschrieben!«, schimpfte Simon laut, stand auf und verließ das Wohnzimmer.

      »Ist das auch die Pubertät?«, fragte seine Mutter noch. Auf diese Frage musste er wohl nicht antworten. Nervige Mütter!

      In der WhatsApp-Gruppe brach sofort ein Sturm los: »Simon, du hast doch gestern gefragt, ob Schürmann krank ist!« – »Simon, wusstest du das etwa schon?« – »Simon, welche Informationen hast du, die wir nicht haben?« – »Simon, wann wird Schürmann wieder gesund?«

      Simon antwortete nicht darauf. Er schaltete sein Handy auf stumm und beschloss zu schlafen. Vorher kramte er den Zettel mit der Vorhersage noch mal aus dem Müll. Klarer Fall: »Helge Schürmann wird bewusstlos auf dem Fußballplatz zusammenbrechen.« Wer konnte das wissen? Aber dann erbleichte Simon, als er noch mal auf das Blatt schaute. Unter der Vorhersage stand jetzt dick und fett: »Siehste?«

      Langsam und verängstigt schaute sich Simon in seinem Zimmer um. Wer war da? Was war hier los? Das ging doch alles nicht mit rechten Dingen zu! Simon ging ins Bett, schaltete das Licht aus und zog sich für den Rest der Nacht die Decke über den Kopf.

      Die ganze Woche über ging das in dieser Art weiter. Am Montag kam Simon während einer Fünfminutenpause vom Klo zurück und fand einen Zettel in seiner Schultasche, der vorher garantiert nicht darin gesteckt hatte. Als er ihn auseinanderfaltete, stand da dick drauf: »Helge Schürmann erholt sich nicht mehr. Er bleibt bewusstlos bis zu seinem Tod.«

      »Wer hat mir den da reingesteckt?«, fragte er wütend die anderen, die drumherum saßen, und zeigte ihnen, was auf dem Zettel stand. Aber die anderen grinsten frech und geheimnisvoll, zogen die Augenbrauen hoch und sagten: »Pssst! Nichts verraten!«

      »Ihr Säcke!«, fuhr Simon sie grob an. »Findet ihr das lustig?«

      »Nein, du findest das wohl lustig«, sagte da Konstantin ärgerlich. »Mach deinen Scheiß allein.« Damit drehte er sich wieder seinem Tisch zu und auch die anderen hörten auf, miteinander zu quatschen.

      Was sollte denn die Scheiße wieder? Na gut, dass Schürmann sich nicht mehr erholen würde, war jetzt nicht so die Wahnsinns-Vorhersage. Die konnte sich wirklich einer von den anderen ausgedacht haben. Und wenn der Fußballer in den nächsten Tagen und Wochen wieder gesund würde, dann wäre ja klar, dass dieser Tipp nur ausgedacht war. Trotzdem konnte er nicht anders, als während der nächsten Stunde leise Jan zu fragen: »Jan, jetzt sag mal ganz im Ernst: Wer war das? Wer hat mir den Zettel in die Schultasche gesteckt?«

      »Ey, was laberst du für eine Scheiße?«, zischte Jan zurück. »Das warst du selber, das weißt du doch! Wieso machst du das und fragst uns nachher, wer das war? Hältst du uns für bescheuert?«

      So, wie Jan sich aufregte, schien er das wirklich zu glauben. »Aber ich war das nicht, Mann! Ich war auf’m Klo! Und als ich wiederkam, lag der Zettel in meiner Tasche! Das muss einer von euch gewesen sein!«

      »Ey, lass mich in Ruhe, Alter!« Jetzt wurde Jan richtig wütend. »Ist dein Gehirn kaputt oder was? Du bist raus aufs Klo, kamst wieder rein, hast den Zettel in die Tasche getan, hast noch geflüstert: ›Psst, nicht verraten‹, bist wieder raus, dann kamst du wieder rein und hast Stress gemacht. Du bist echt ’ne Flasche, weißt du das?«

      Da fragte Simon nicht weiter. Hier ging es nicht mit rechten Dingen zu. So viel stand fest.

      Am Dienstag kam die Schulsekretärin Frau Heinemann mit dem Direktor an ihrer Seite auf ihn zu und schimpfte schon, sobald sie überhaupt in Sichtweite war: »Dieser Kerl war es, Herr Direktor! Er hat mir ins Gesicht gerülpst und mich ›Alte‹ genannt!« Wieder musste Simon sich eine Standpauke anhören für etwas, das er nicht getan hatte. Und wieder konnte er sich gerade eben noch aus der Affäre ziehen, indem er nachwies, dass er zur Tatzeit mit seinen Mitschülern zusammen war.

      Am Mittwoch beschuldigte man ihn, er wäre über das Schuldach gelaufen.

      Am Donnerstagvormittag fand er schon wieder einen Zettel. Diesmal in der Jackentasche. Aufschrift: »Simon, du weißt es: Schürmann stirbt am Sonntag.« Simon wurde heiß und kalt. Er zeigte niemandem diesen Zettel. Wenn sich das bewahrheiten sollte und er hätte diesen Zettel schon vorher jemandem gezeigt, dann wäre am Sonntag die Hölle los. Sonntagabend würde er wissen, ob das, was auf diesem mysteriösen Zettel stand, stimmte oder nicht. Und bis dahin würde er niemandem davon erzählen. Niemandem.

      Donnerstagabend ging er mit Jan zusammen wieder in den Teentreff. Beat-Bernd mit der Gitarre begrüßte sie schon fröhlich mit Namen: »Hallo Simon, hallo Jan!« Wieder quälten sich alle tapfer durch Gesang, wieder wurde etwas aus der Bibel vorgelesen. »Gott, ich sehe den Himmel, den du gemacht hast. Den Mond, die Sterne, alles hast du gemacht. Wie winzig klein ist der Mensch dagegen. Trotzdem hast du ihn mit Würde gekrönt – beinahe göttlich.« Simon rollte innerlich mit den Augen, während Bernd seine Meinung dazu darlegte. Wieso sollte sich jemand klein fühlen, wenn er sich den Mond und die Sterne anschaute? Damals beim Durchlesen seiner Weltall-Bücher hatte er sich nie klein gefühlt. Na ja. Vielleicht mussten sich Christen selbst kleinreden, damit sie sich anschließend darin bestätigen konnten, dass sie Gott zum Überleben brauchten. Später wurde wieder gebetet. Diesmal betete sogar einer, dass Gott Helge Schürmann gesund machen sollte. Na, da war Simon aber mal gespannt, dachte er sich. Welche Macht war wohl stärker? Die von diesem Gebet oder die des geheimnisvollen Zettelschreibers?

      Wieder saß Simon den ganzen Abend neben Nadja. Und je mehr sie im Laufe des Abends miteinander lachten und quatschten, umso lockerer wurde Nadja. Und umso mehr verlor er seine Scheu ihr gegenüber. Und je lockerer es zwischen ihnen beiden wurde, umso mehr verknallte er sich in sie. In ihrer Nähe fühlte er sich einfach glücklich. Bald würde er sie ganz für sich haben.

      Weil in den nächsten vierzehn Tagen Osterferien waren, fand an den kommenden Donnerstagen