13 Wochen. Harry Voß

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Название 13 Wochen
Автор произведения Harry Voß
Жанр Книги для детей: прочее
Серия
Издательство Книги для детей: прочее
Год выпуска 0
isbn 9783955683092



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Simon von etwas Übernatürlichem verfolgt wurde? Wahrscheinlich litt er selbst einfach nur unter Verfolgungswahn. Vielleicht hatte Simon eine Psychose. Pubertäts-Stress. Schul-Koma. Und sein Gehirn spielte ihm einen Streich. Vielleicht war er es wirklich selbst, der sich irgendwo herumtrieb. Eine gespaltene Persönlichkeit, die gnadenlos die Welt unsicher machte und im nächsten Moment nichts mehr davon wusste. Und wenn er meinte, hier und da einen Doppelgänger zu sehen, dann bildete er sich das wahrscheinlich nur ein. Er selbst war sein eigener Doppelgänger! Simon war ein Fall für die Klapsmühle. Das wurde ihm hier im Angesicht der prüfend dreinblickenden Nadja schlagartig bewusst. Hätte er ihr doch bloß nichts von diesem Schwachsinn erzählt!

      Plötzlich grinste Nadja, als hätte Simon sie bei einem harmlosen Spiel besiegt: »Du machst das gut, Simon. Wirklich.«

      Was? Was machte er gut? So eine Scheiße, was meinte sie? Was ging hier vor? Jetzt nur nicht das Gesicht verlieren. Vielleicht bekam er ja etwas raus, wenn er bei ihrem Spiel mitmachte. Mit lässiger Miene setzte er sein Siegesgesicht auf, lehnte sich locker an den Türrahmen und grinste sie an: »Ja, findest du? Danke. Ich finde auch, ich mach das gut. Also hab ich gewonnen.«

      »Da bin ich mir noch nicht ganz sicher.« Nadja verschränkte die Arme vor ihrer Brust. »Aber du bist nah dran.«

      »Was muss ich denn tun, um zu gewinnen?«

      Nadja spitzte den Mund, als überlegte sie sich eine kleine Aufgabe. »Dein Handtuch mit dem blauen Muster. Vermisst du das eigentlich?«

      Was? Worauf wollte sie hinaus? Simon hätte am liebsten laut aufgeschrien, weil er hier überhaupt nichts, aber auch gar nichts kapierte. Aber er riss sich zusammen und antwortete so ungerührt wie möglich: »Nein.«

      »Schau mal im Wäschekorb nach. In eurem Badezimmer. Da liegt es. Riech mal daran. Findest du nicht auch, dass es total geheimnisvoll nach der verzauberten, alten Mühle riecht?«

      Wieder hatte Simon das Gefühl, als würde sämtliches Blut in seinem Körper in seinen Bauch sacken. Fast wurde ihm schwarz vor den Augen. Woher wusste sie, dass oben in seinem Badezimmer ein Handtuch lag, das verzaubert roch?

      Wie mit einem Hammerschlag donnerte ein neuer Gedanke in seinen Kopf: Nadja! … War Nadja das geheimnisvolle Wesen? Konnte sich das Monster in unterschiedliche Menschen verwandeln? Erst war es Simon und jetzt war es Nadja? Simon taumelte im Flur zurück und brauchte ein paar Schritte, um sich zu fangen. Dann schwankte er ohne ein weiteres Wort die Treppe zum Badezimmer nach oben. Das Letzte, was er von Nadja sah, war ein zufriedenes Grinsen in ihrem Gesicht, während sie weiterhin mit verschränkten Armen und ungewöhnlich breit aufgestellten Beinen im Türrahmen stand. War das ein normales, menschliches Grinsen? Oder ein teuflisches? Wer war das?

      Voller Hektik durchwühlte er den Wäschekorb im Badezimmer, bis er das Handtuch mit dem blauen Muster fand. Geradewegs hielt er es sich ins Gesicht und wollte einmal kräftig daran riechen. Aber schon beim ersten Riech-Impuls stach ihm so ein Gestank in die Nase, dass er das Handtuch fallen ließ, als wäre es mit Strom aufgeladen. Er selbst wich vor Ekel zurück, stolperte, fiel rückwärts nach hinten und stieß sich den Kopf an der Badewanne. Das Handtuch stank nach Schwefel, Dreck, Hundescheiße und Katzenpisse. Simon hätte sich übergeben können, aber er beherrschte sich. Woher wusste sie … ? Woher kam das Handtuch … ? Wie kam es hier rein … ? Nadja! Nadja war die Schlüsselperson! Sie war die Verzauberte! Sein Kopf schmerzte wie verrückt, sein Magen drehte sich um, er würgte. Sein Essen schoss ihm von unten hinauf in den Hals, er schluckte aber alles wieder runter. Jetzt erst mal die Dämonin unten in der Tür einfangen. Simon wollte im Bad aufspringen, aber sofort wurde ihm wieder schlecht und schwindelig zugleich und er polterte zurück auf den Boden. Egal. Nur raus hier. Auf allen Vieren krabbelte er zum Bad raus und ließ sich auf dem Bauch die Stufen nach unten gleiten. »Nadja!«, brüllte er. »Wer bist du?«

      Niemand mehr da. Die Haustür stand offen, keine Menschenseele zu sehen. Und auch keine seelenlose Kreatur. Hatte er sich das wieder nur eingebildet? Mit wem hatte er da gerade gesprochen? Er zog sich am Türrahmen hoch und brüllte mit letzter Kraft in die menschenleere Straße hinaus: »Ich werde dich finden!!!«

      Dann beugte er sich neben die Haustür und brach gefühlt das Essen der letzten drei Tage aus.

      Der Wecker hatte nicht geklingelt. Simon schreckte aus dem Schlaf hoch: So ein Mist! Wo war er? Wieso war es schon hell? Es war Montagmorgen. 29. April. Der erste Schultag nach den Osterferien. Es war schon kurz vor acht. Sein Bus war längst weg! Warum hatte ihn niemand geweckt?

      Simon stürzte aus dem Bett, zog sich an und bedeckte mit einer Mütze die unfrisierten Haare.

      »Wieso hast du mich nicht geweckt?«, brüllte Simon, als er nach oben in die Küche polterte.

      Seine Mutter saß mit der Zeitung da und erschrak. »Du warst doch gestern Abend krank. Du hast doch ganz lange vor der Haustür gestanden und dich übergeben. Da habe ich gedacht, es ist besser, wenn du mal einen Tag zu Hause bleibst.«

      »So ein Quatsch!«, schimpfte Simon. »Natürlich geh ich zur Schule!« Er schnappte sich seine Schultasche und rannte zur Bushaltestelle. An jedem anderen Tag wäre er froh gewesen, wenn er einen handfesten Grund gehabt hätte, von der Schule zu Hause zu bleiben. Heute war er fest entschlossen, Nadja gegenüberzutreten. Wenn sie von diesem Dämon besessen war, dann hätte er endlich ein greifbares Gegenüber, gegen das er kämpfen konnte.

      Natürlich hatte Simon jeden Bus zur ersten Stunde verpasst. Und auch die Busse, die pünktlich zur zweiten Stunde fuhren, waren schon weg. Er betrat das Schulgebäude, als die zweite Stunde schon seit zehn Minuten begonnen hatte. Das fand Simon verschmerzbar. Die Lehrer sollten froh sein, dass er überhaupt noch kam. Selbstbewusst und ohne die Spur eines schlechten Gewissens betrat er den Klassenraum. Frau Hebener, die Englischlehrerin, schielte kurz über ihren Brillenrand: »Auch schon auferstanden, der Herr Köhler?«

      Auferstanden. Sehr witzig. Blöde Kuh. Aber Simon grinste wie immer und breitete die Arme aus, als hätte man ihm gerade einen Preis verliehen: »Auferstanden aus Ruinen! Man kennt mich doch!« Einige lachten. Simon setzte sich auf seinen Platz. Und sofort hielt er Ausschau nach Nadja. Sie saß zwei Reihen vor ihm, aber so weit links, dass er keine Chance bekam, Kontakt mit ihr aufzunehmen. Sie hatte sich, als er reingekommen war, zu ihm umgedreht und ihn erstaunt angesehen. Seitdem hatte sie sich aber kein zweites Mal mehr umgedreht.

      Nach dem Englisch-Unterricht ging er zur Klassenzimmertür und lehnte sich mit verschränkten Armen und lässigem Grinsen an den Türrahmen, sodass alle, die in die Pause gehen wollten, an ihm vorbei mussten. Manchen Mädchen pfiff er hinterher, manchen flüsterte er »Nette Zahnspange« oder »Gab’s die Bluse aufm Trödel?« hinterher. Die Jungs klatschte er ab. Die meisten waren stolz, von so jemandem wie Simon wahrgenommen zu werden. Als Leon kam, dachte er wohl, mit ihm würde er auch abklatschen, und er hob schon erwartungsvoll seine Hand. Simon erhob seine Hand ebenfalls, als Leon aber abklatschen wollte, ließ Simon seine Hand knapp an Leons Hand vorbeizischen und schlug ihm unsanft auf den Monster-Tornister, den Leon brav auf dem Rücken trug. »Oh, ’tschuldigung, Leon«, grinste er theatralisch.

      Als Letztes kam Nadja. Auf keinen Fall durfte sie merken, dass er gestern Abend in Panik verfallen war. Wäre doch gelacht, wenn er nicht noch ein paar Infos über ihr Doppelleben kriegen würde. Mit verschränkten Armen lächelte er sie an und zog dabei die Augenbrauen hoch: »Na, Baby? Wie war deine Nacht in der Mühle?«

      Nadja blieb augenblicklich vor ihm stehen, gefährlich nah an seinem Gesicht. Würde er jetzt seine Arme auseinander nehmen, könnte er ihr an die Brust fassen. Ihre Miene verfinsterte sich und ihr Ton hatte was Bedrohliches: »Ja, genau. Das ist der Simon, wie ich ihn kenne. Ein mieses, kleines Arschloch.«

      Simon gelang es, seine Fassung zu bewahren. Niemand konnte sehen, dass ihm gerade ein Stich in die Magengrube fuhr. »Danke für das Kompliment. Klingt aus deinem Mund richtig sexy.«

      Sie sah ihm weiterhin streng in die Augen: »Wenn du wüsstest …«

      »Was denn?« Er grinste weiter. »Ach, übrigens. Das Handtuch, das du erwähnt hast –