Der Gehülfe. Robert Walser

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Название Der Gehülfe
Автор произведения Robert Walser
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 4064066110444



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überall im In- und Ausland Aufstellung finden. Auf sie setzt, wie es mir schien, Tobler die wichtigsten Hoffnungen. Freilich kostet die Herstellung der Uhren und deren kupfernen und zinnernen Zieraten viel Geld, auch der Dekorationsmaler will ja sein Geld haben, dafür aber laufen eben die Inseratengelder hoffentlich und sehr wahrscheinlich regelmäßig ein. Was sagte doch heute früh Herr Tobler? Er hat ziemlich viel Geld geerbt, hat nun aber bereits sein gesamtes Vermögen in die ›Reklame-Uhr geworfen‹. Ein sonderbarer Spaß, zehn- bis zwanzigtausend Mark in Uhren zu werfen. Gut, daß ich mir dieses Wort ›werfen‹ gemerkt habe, es scheint mir ein stark im Gebrauch bestehendes, übrigens sehr klipp und klares Wort zu sein, das ich vielleicht schon in nächster Zeit in meinen Korrespondenzen werde anwenden müssen.«

      Joseph steckte sich einen Stumpen in Brand.

      »Eigentlich ein ganz netter Aufenthalt, dieses technische Bureau hier. Das meiste an der hiesigen Geschäftsführung ist mir allerdings noch ganz unverständlich. Ich habe immer das Neue und Fremde schwer begriffen. Ich erinnere mich, o ja. Im allgemeinen werde ich von den Leuten für klüger gehalten als ich bin, manchmal auch nicht. Das alles ist ja überhaupt so merkwürdig.«

      Er nahm einen Streifen Papier zur Hand, strich den Firmenkopf mit ein paar Federstrichen durch und schrieb rasch folgendes:

      Liebe Frau Weiß!

      Sie sind wahrhaftig der erste Mensch, an den ich von hier oben aus schreibe. Der Gedanke an Sie ist der erste und leichteste und natürlichste von allen den vielen Gedanken, die mir gegenwärtig im Kopf surren. Sie werden sich oft über mein Betragen gewundert haben in der Zeit, die ich bei Ihnen zubrachte. Wissen Sie noch, wie Sie mich oft aus meinem dumpfen, einsiedlerischen Dasein, aus all meinen üblen Gewohnheiten haben aufrütteln müssen? Sie sind eine so liebe, gute, einfache Frau, und vielleicht erlauben Sie mir, Sie lieb zu haben. Wie oft, ja beinahe alle vier Wochen, bin ich zu Ihnen ins Zimmer getreten, um Sie kurz zu ersuchen, mit der monatlichen Miete Geduld zu haben. Sie haben mich nie gedemütigt, doch ja immer, aber mit Güte. Wie dankbar ich Ihnen bin und wie froh ich bin, Ihnen dies sagen zu dürfen. Was machen und leben Ihre Fräulein Töchter? Die Größere ist ja nun wohl bald verheiratet. Und Fräulein Hedwig, ist sie immer noch in der Lebensversicherungsgesellschaft tätig? Wie ich frage! Sind diese Fragen nicht äußerst dumm, da ich Sie doch erst vor zwei Tagen verlassen habe! Mich dünkt, liebe, verehrte Frau Weiß, ich sei jahre- jahre- und jahrelang bei Ihnen gewesen, so schön, ruhig und lang mutet mich der Gedanke an das Bei-Ihnen-gewesen-sein an. Kann man Sie kennen gelernt haben, ohne daß man Sie hat lieben lernen müssen? Sie haben immer zu mir gesagt, ich sollte mich schämen, so jung zu sein und dazu so wenig unternehmenslustig, weil Sie mich stets haben in meinem dunkeln Zimmer sitzen und liegen sehen. Ihr Gesicht, Ihre Stimme, Ihr Lachen haben mich immer getröstet. Sie sind zweimal so alt wie ich und haben zwölfmal so viel Sorgen und erscheinen nur so jung, jetzt noch viel mehr als da ich noch bei Ihnen war. Wie konnte ich immer so wortkarg zu Ihnen sein. Übrigens bin ich Ihnen ja noch Geld schuldig, nicht wahr, und ich bin beinahe froh darüber. Äußere Beziehungen können dann innere lebendiger erhalten. Zweifeln Sie nie an meiner Achtung vor Ihnen. Wie dumm ich spreche. Ich wohne hier in einer hübschen Villa und kann des Nachmittags jeweilen im Gartenhaus, wenn schönes Wetter ist, Kaffee trinken. Mein Chef ist zurzeit ausgegangen. Das Haus liegt auf einem, man darf sagen, grünen Hügel, unten neben der Landstraße, hart am Seeufer, führt die Eisenbahn vorbei. Ich wohne sehr nett in einem, es kommt mir ganz herrschaftlich vor, hochgelegenen Turmzimmer. Mein Herr scheint ein braver Mann zu sein, etwas hochtrabend. Möglich, daß es zwischen uns eines Tages persönliche Keilereien gibt. Ich wünsche es nicht. Wirklich nicht, denn ich möchte in Frieden leben. Leben Sie wohl Frau Weiß. Ich habe mir ein schönes, wertvolles Bild von Ihnen bewahrt, es läßt sich nicht einrahmen aber ebenso wenig vergessen.

      Joseph faltete den Streifen zusammen und steckte ihn in ein Kuvert. Er lächelte. Für ihn hatte das Andenken dieser Frau Weiß etwas Freundliches, warum, darüber wußte er selber kaum recht Bescheid. Da hatte er nun an eine Frau geschrieben, die dem Eindruck zufolge, den er ihr von seiner Person hinterlassen hatte, einen so raschen und beinahe gefühlvollen Brief gar nicht erwarten durfte und sicher auch nicht gewärtigte. Hatte die zufällige Menschenbekanntschaft einen so großen Einfluß auf ihn? Liebte er es, zu überraschen und zu behexen? Aber der Brief schien ihm nach kurzer Durchsicht und Prüfung passend und er machte sich, da es ohnehin Zeit dazu war, auf den Weg zur Post.

      Mitten im Dorf blieb plötzlich ein von oben bis unten rußiger junger Mensch vor ihm stehen, schaute ihn lachend an und streckte ihm die Hand entgegen. Joseph spielte den Erstaunten, da er sich wirklich nicht entsinnen könnte, an welchem Ort und zu welcher Zeit im bisherigen Leben ihm diese schwarze Erscheinung konnte begegnet sein. »Du auch hier, Marti?« rief der Mensch, und nun erkannte ihn Joseph, es war ein Kamerad aus der kürzlich erst überstandenen Militärdienstzeit, er begrüßte ihn, schützte aber dringende Aufträge vor und verabschiedete sich wieder.

      »Ja, das Militär,« dachte er, indem er seines Weges weiter ging, »wie wirft es die Menschen aus allen nur denkbaren Lebensgebieten auf einen einzigen Empfindungspunkt zusammen. Kein so feinerzogener, im übrigen gesunder, junger Mensch lebt im Lande, der es sich nicht eines Tages müßte gefallen lassen, aus seiner bisherigen, sortierten Umgebung herauszutreten, um mit dem erstbesten, ebenfalls jungen Bauern, Kaminfeger, Arbeiter, Kommis oder gar Tunichtgut gemeinschaftliche Sache zu machen. Und welche gemeinschaftliche Sache! Die Luft in der Kaserne ist für einen jeden dieselbe, sie wird für den Baronensohn für gut genug, und für den geringsten Landarbeiter für angemessen befunden. Die Rang- und Bildungsunterschiede fallen unbarmherzig in einen großen, bis heute noch immer unerforschten Abgrund, in die Kameradschaft. Diese herrscht, denn sie faßt alles zusammen. Die Hand des Kameraden ist für keinen eine unreine, sie darf es nicht sein. Der Tyrann Gleichheit ist oft ein unerträglicher, oder scheint es zu sein, aber was für ein Erzieher ist er, was für ein Lehrer. Die Brüderlichkeit kann mißtrauisch und kleinlich im kleinen sein, sie kann aber auch groß sein, und sie ist groß, denn sie besitzt die Meinungen, die Gefühle, die Kräfte und Triebe aller. Wenn ein Staat es versteht, den Sinn der Jugend in diesen Abgrund zu lenken, der groß genug wäre für die Erde wieviel mehr für ein einzelnes Land, so hat er sich damit nach allen offenen Richtungen hin, an allen vier Grenzen, mit Festungen umgeben, die unbezwinglich sind, weil es lebendige, mit Füßen, Gedächtnissen, Augen, Händen, Köpfen und Herzen ausgestattete Festungen sind. Den jungen Leuten tut wahrhaftig eine strenge Lehre not.«

      Hier unterbrach der Angestellte seine Gedanken.

      In der Tat, er rede und denke da wie ein Feldhauptmann, dachte er lachend. Bald darauf befand er sich wieder zu Hause.

      Joseph hatte in einer Elastique-Fabrik gearbeitet, ehe er zum Militär kam. Er erinnerte sich jetzt jener vormilitärischen Zeit und sah vor sich ein altes, längliches Gebäude, einen schwarzen Kiesweg, eine enge Stube und ein bebrilltes, strenges Prinzipalengesicht. Er war dort, wie man sagt, aushilfsweise engagiert gewesen, nur so vorübergehend. Er schien mit seiner ganzen Persönlichkeit nur ein Zipfel, ein flüchtiges Anhängsel zu sein, ein nur einstweilen geschlungener Knoten. Beim Antritt der Stellung war ihm bereits lebhaft der Austritt aus derselben vor Augen getreten. Der Lehrling im Elastique-Geschäft war ihm in allem »über«. Joseph mußte diesen unausgewachsenen Menschen bei jeder Gelegenheit um Rat fragen. Aber eigentlich kränkte ihn das nicht einmal. O er war schon an so vieles gewöhnt gewesen. Er arbeitete kopflos, das heißt, er mußte sich gestehen, daß ihm mancherlei durchaus notwendige Kenntnisse abhanden gekommen waren. Gewisse, für andere Menschen erstaunlich leicht zu erfassende Dinge prägten sich ihm so merkwürdig schwer ein. Was war da zu machen gewesen. Sein Trost und sein Gedanke war die »Vorübergänglichkeit« der Stellung. Er wohnte bei einem alten, spitznasigen und -mundigen Fräulein, die eine sehr sonderbare, hellgrün gestrichene Stube bewohnte. Auf einer Etagere befanden sich einige alte und moderne Bücher. Das Fräulein war, wie es schien, eine Idealistin, aber keine feurige, sondern eher eine durch und durch erfrorene. Joseph bekam rasch heraus, daß sie einen eifrigen Liebesbriefwechsel unterhielt, und zwar, wie er eines Tages aus einem achtlos auf dem runden Tisch liegenden, langen Schreiben ersah, mit einem nach Graubünden ausgewanderten Buchdrucker oder Architektenzeichner, er konnte sich dessen jetzt nicht mehr so recht genau entsinnen. Er las rasch den Brief, er hatte das Gefühl, daß er dadurch keine sehr bedeutende Ungerechtigkeit