Название | Der Onyxpalast 4: Schicksalszeit |
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Автор произведения | Marie Brennan |
Жанр | Языкознание |
Серия | Der Onyxpalast |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783966580762 |
Ein erleichtertes Schaudern durchfuhr ihn beim ersten Hauch frischer Luft. Der Tote Rick lachte leise und schüttelte den Kopf. »Ein harter Kerl bist du«, murmelte er. »Verbringst deine Tage auf dem Goblinmarkt, dann rennst du vor der Schwarzzähnigen Meg weg wie ein …«
Ein Platschen ließ jenen Vergleich verstummen. Der Tote Rick ließ sich in die Hocke sinken und hielt das Messer gezückt – doch es war nicht die Hexe. Vor ihm markierte ein Fleck von geringerer Schwärze das Ende des Ganges, wo der eingegrabene Fluss in die Themse mündete. Eine Silhouette war dort gerade ins Blickfeld getreten. Der Tote Rick blies sein Licht aus, aber es war zu spät. Die Gestalt rannte los.
Der Jäger in ihm musste sie verfolgen. Genau deshalb nutzte Nadrett ihn für Angelegenheiten wie die Jagd im Nachtgarten. Schwarze Hunde waren eine Art Goblin, so angsteinflößend, wie es nur ein Todesomen sein konnte, und auf dem Land hetzten sie immer noch Menschen in den Tod. Die Sterblichkeit von Menschen zog sie an, ob der Tod nahe oder weit entfernt war. Der Tote Rick hätte sehr angestrengt versuchen müssen, den Mann nicht zu verfolgen, sobald er losgerannt war.
Aber seine Beute kam nicht sehr weit. Als er in den kränklichbraunen Nebel hinauskam, fand der Tote Rick den Mann bis zur Hüfte in einer Senkgrube am Themseufer eingetaucht, wo er in den Wassern der zurückweichenden Gezeiten taumelte. Der Kerl erstarrte, als er spürte, wie die Messerklinge über seine Kehle kratzte.
Ein Müllfledderer, vermutete der Tote Rick – einer der Männer, die die Abwasserkanäle plünderten und nach Müll suchten, den sie weiterverkaufen konnten. Selbst mit einem Messer bewaffnet, doch eher dazu geneigt, zu fliehen als zu kämpfen. Es war ein glücklicher Zufall, dass er ihm genau hier an der Fleetmündung über den Weg lief. Das würde dem Toten Rick vielleicht eine unangenehme Jagd durch London ersparen. Es war noch eine Stunde vor der Morgendämmerung, schätzte er, und weil so wenige Leute auf den Straßen waren, hätte er wohl eine lange Zeit jagen müssen.
Selbst so weit herauszukommen, ließ seine Haut kribbeln, als sei er von Spinnen bedeckt. Die Brücken von Blackfriars streckten sich in langen Bögen aus Gusseisen beinahe über seinem Kopf über die Themse. Ein kleineres Stück lag im Mantel des Mannes, das Messer, das er gegen Konkurrenten in seinem Geschäft nutzte. Der Tote Rick war so sensibel, dass seine nackten Füße sogar ein winziges Stück Eisen am Flussufer in der Nähe fühlen konnten, irgendein Stück Schrott, das noch nicht von einem Lumpensammler gefunden und weiterverkauft worden war. Ungeschützt und mit einem Schaudern beim Gedanken an so viel Gefahr in solcher Nähe drückte er mit dem Messer fester zu, als er musste, und zog einen blutigen Strich.
»Ich habe in meiner Tasche ein Sixpence-Stück«, japste der Mann und versteifte sich unter seinen Händen. »Es gehört dir, nimm es …«
»Ich will dein Kleingeld nicht«, sagte der Tote Rick. Die Menschen boten immer zuerst Geld an. Danach dachte ihr Verstand sofort an Feinde. Ehe der Mann fragen konnte, wer ihn geschickt hatte, knurrte der Skriker: »Essen. Hast du welches?«
Ein Teil der Panik löste sich zu Verwirrung auf. »Essen?«
»Brot. Ein Sandwich oder Kekse, irgendetwas, das du vielleicht dabeihast.«
Trotz des Messers an seiner Kehle versuchte der Mann, sich umzudrehen, um seinen Angreifer anzustarren. »Du hast mich gejagt, weil du Hunger hast?«
Der Tote Rick packte den zerlumpten Mantel des Mannes mit beiden Händen, zerrte ihn aus der Senkgrube und schleuderte ihn wieder hinunter, sodass er im seichten Wasser auf dem Rücken lag. »Das nächste Mal schneide ich dir die Kehle durch und beantworte mir die Frage selbst. Hast du irgendwelches Essen dabei?« Nicht, dass es ihm viel bringen würde, den Mann zu töten – aber Drohungen funktionierten wunderbar, um der Konzentration eines Menschen auf die Sprünge zu helfen.
Sein Gefangener nickte. Die Bewegung wirkte verkrampft. Nach einem Augenblick wurde dem Toten Rick bewusst, dass der Müllfledderer versuchte, auf seine rechte Tasche zu deuten, ohne etwas anderes als seinen Kopf zu bewegen. Grunzend zerrte ihn der Skriker etwas weiter herauf, bis sie aus dem Wasser waren und auf etwas, das als fester Boden durchging. Dann schob er suchend eine Hand in die Tasche des Mannes und zog ein Päckchen alter Zeitungen heraus. Das ganze Ding war jetzt von schmutzigem Flusswasser getränkt, aber Fett hatte ein Ende befleckt, und das Aroma von Würstchen waberte daraus hervor.
»He, du da! Was, glaubst du, das du da tust?«
Die Frage war in einem derartigen Tonfall von selbstzufriedener Autorität gehalten, dass der Tote Rick anfangs dachte, sie käme von einem Wachtmeister. Er duckte sich instinktiv. Nadretts Ausflüge nach oben brachten manchmal Probleme mit den Polizisten, und einige von jenen Bastarden waren zu voreilig mit ihren Revolvern. Doch als er aufblickte, war es nur ein Mann – irgendein Kerl weiter oben am Ufer, zwischen zwei Anlegestellen.
Der Tote Rick schätzte die Entfernung zwischen ihm und dem Neuankömmling ab und fragte sich, ob er sich mitten im Sprung verwandeln und dem Bastard die Kehle herausreißen konnte. Menschenform oder nicht, der Tote Rick war immer noch offensichtlich ein Fae, und es war nicht sicher, so in London herumzuspazieren.
Aber der Fremde kniff die Augen zusammen, und zwar nicht wie ein Mann, der sich fragte, was er gerade anstarrte. Der Kerl kam mit drei schnellen Schritten näher und sagte: »Du überfällst ihn wegen Brot, oder? Scheißgoblins. Tja, ich bin der Prinz vom Stein, und ich befehle dir, lass ihn los.«
Ein ungläubiges Bellen entfuhr dem Toten Rick. »Du? Der verdammte Prinz vom Stein?«
Er hatte den Mann nie selbst gesehen, nur Geschichten gehört. Nadrett beschwerte sich oft darüber, dass der Prinz seine Nase in Dinge steckte, in die sie nicht gehörte. Ach, angeblich gehörte die Nase des Kerls überall hin. Er war immerhin der sterbliche Herrscher des Onyxhofs, Gefährte der Feenkönigin von London, mit Autorität über alles, was mit seiner Art zu tun hatte. Nur dass es keinen Onyxhof mehr gab: bloß eine Gruppe genusssüchtiger Höflinge, die ihre letzten Vergnügungen genoss, und einen Cockneyprinzen, der immerhin so tat, als hätte er über irgendetwas die Kontrolle. Was die Königin betraf: Sie war seit Jahren verschwunden.
Der Tote Rick lugte durch die Finsternis und schnüffelte im Gestank der Themse nach dem Geruch des Mannes. Er konnte den Feenhauch riechen, der den Prinzen an den Onyxpalast band, und dessen Effekt im Gesicht des Kerls sehen: Er wirkte seltsam jung und alt, wie ein Mann, der lange vor seiner Zeit gealtert war. Tja, das war kein Wunder, wenn der Palast zerbröckelte. Es hieß, das hätte die Königin beinahe völlig ausgezehrt, in den Jahren, bevor sie verschwunden war. Der Tote Rick wäre überrascht gewesen, wenn all das spurlos am Prinzen vorübergegangen wäre.
Er hatte einen Fuß auf den Brustkorb des Müllfledderers gestellt, um ihn festzuhalten. Nun spürte er, wie sich der Mann unruhig rührte, als Verwirrung über Panik siegte. Das kurze Aufblitzen von Mitleid, das der Tote Rick für den alternden, erschöpften Prinzen empfunden hatte, verflog und wurde von wichtigeren Problemen vertrieben. »Das ist nicht deine Angelegenheit«, sagte er zum Prinzen.
»Zum Teufel damit. Dieser Bastard, den du da hast, kann sich kaum selbst ernähren. Du kannst nicht einfach sein Essen stehlen, damit du hier oben mehr Ärger machen kannst!«
Die arrogante Antwort des Prinzen wäre ärgerlich genug gewesen, wenn sie richtig gewesen wäre. Sein völlig fehlendes Verständnis machte den Toten Rick rasend vor Wut. Ärger machen? Er wünschte, er könnte es sich leisten, dafür Brot zu verschwenden. Stattdessen war er hier draußen, wo die Brücken von Blackfriars über seinem Kopf hingen wie zwei Äxte kurz vor dem Fall, weil er irgendeine Art Versicherung vor der Zukunft brauchte und nicht wollte, dass ihm von irgendeinem des halben Dutzends Fae, denen er etwas