Название | Toni der Hüttenwirt Paket 2 – Heimatroman |
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Автор произведения | Friederike von Buchner |
Жанр | Языкознание |
Серия | Toni der Hüttenwirt Paket |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783740950989 |
»Gern, Dirk! Nur noch ein Wort zum Schluß! Du lebst dein Leben nicht. Du lebst ein fremdes Leben. Du bist wie ein Schauspieler in eine fremde Rolle geschlüpft. Allerdings muß ich anerkennen, daß du darin eine nicht mehr zu steigernde Perfektion entwickelt hast. Das hat einen »Oskar« verdient. Du spielst nicht, du lebst diese Rolle, vierundzwanzig Stunden am Tag, sieben Tage die Woche!«
Die Eltern warfen sich Blicke zu. Viola hatte den Part des Themas übernommen, den eigentlich ihr Vater anschneiden wollte. Sie beobachteten Dirk genau. Er bekam rote Wangen. Das war immer das einzige Zeichen gewesen, wenn er sich über etwas erregte.
»Jetzt gehst du zu weit, Viola! Woher willst du wissen, daß ich nicht mein Leben lebe? Wie kommst du darauf? Höre auf! Ich will nicht darüber reden. Wenn dich Menschen und ihr angebliches fremdes Leben interessieren, dann studierte Psychologie und mache eine Praxis auf«, sagte Dirk mit Härte in der Stimme
Seine Schwester lächelte ihn an. So schnell ließ sich Viola nicht einschüchtern.
»Das letzte will ich überhört haben. Den Mund verbieten kannst du mir auch nicht. Es ist an der Zeit, daß dich jemand erinnert. Das ist mir just im Augenblick klargeworden. Ich sage es noch einmal, du hast Angst, in Urlaub zu gehen. Du könntest dich ja wohlfühlen und vielleicht von einem anderen Leben träumen. Du hast deine Träume verdrängt. Entschuldige, ich vergaß sie auch. Wie war das damals nach dem Abitur? Wolltest du nicht eine Weltreise machen? Standen nicht alle Hochgebirge auf deinem Plan? Gütiger Himmel! Was hast du mich mit deiner Bergleidenschaft genervt! Meine Freundinnen wurden von ihren Brüdern mit Autogeschichten zugetextet. Wie beneidete ich sie darum! Die Brüder schraubten an Autos in der Garage. Dann konnten die Mädchen wenigstens damit fahren. Aber du redetest nur vom Fuji, den Gipfeln der Anden, der Rockies und des Himalaja. Was ist daraus geworden? Bitte mache wir nicht weiß, daß das alles nur Jugendträumereien waren.«
Dirk Hansen schoß das Blut in den Kopf. Seine Schwester konnte ihn schon verwunden. Er war verlegen.
»Ich habe der Bergleidenschaft nicht abgeschworen, wenn du das meinst. Aufgehoben ist nicht aufgeschoben. Ich bin noch jung, ich habe Zeit. Vorerst paßt so eine Reise nicht in meinen Lebensentwurf.«
»Richtig, großer Bruder! Weil du nicht dein Leben lebst. Ich habe Freude an dem, was ich tue. Ich bin da eher so wie Papa oder wie Knut war. Du bist anders. Bei dir ist alles Pflicht, alles Verantwortung. Ich will es dir so sagen: Beim Eiskunstlauf gibt es eine Pflichtübung und eine freie Kür. Du absolvierst keine Kür, sondern zwei Pflichtprogramme.«
Dirk errötete.
»Gut, Viola! Jetzt hast du gesagt, was du unbedingt sagen mußtest. Nun ist es genug. Laß uns den Sonntag genießen.«
Ingo legte seine Hand auf Dirks Hand.
»Junge! Deine kleine Schwester hat recht. Du denkst so wenig an dich! Gut, daß Viola davon gesprochen hat – mich erinnert hat«, gab Ingo vor. »Du hast damals deine Weltreise aufgegeben. Das war sicherlich sehr nobel von dir. Aber du solltest sie machen. Nimm dir frei, nimm ein Sabbatjahr, wie man sagt, und ziehe los. Laß deine Seele baumeln. Viola und ich, wir halten hier alles am Laufen. Du kannst unbesorgt fahren. Außerdem gibt es Handys und das Internet.«
»Danke, Vater! Das ist sehr großzügig, aber…«
Sein Vater fiel ihm ins Wort:
»Aber – nichts dergleichen! Du fährst! Oder trifft es zu, daß du vor etwas Angst hast? Junge! Dirk, mein guter Junge! Was ist es?«
Dirk wand sich. Er wollte nicht antworten. Es war ganz still im Zimmer. Alle schauten Dirk an. Dirks Mutter ergriff das Wort.
»Dirk! Wir sind hier eine Familie, dein Vater, ich und Viola. Ihr Verlobter gehört auch dazu. Wir hatten nie Geheimnisse voreinander. Das macht uns stark. Wir alle sehen doch, daß du vor etwas – nun, ich will es einmal ›ausweichen‹ nennen.«
»Da ist nichts, Mama!«
Dr. Ingo Hansen zuckte mit den Schultern. Er warf Blicke in die Runde.
Viola griff das Gespräch auf. Es war ihr messerscharfer analytischer Verstand, der ihr blitzschnell die Erkenntnis kommen ließ.
»Dirk, ich bleibe dabei! Du drückst dich! Und ich scheue mich auch nicht davor, dir zu sagen warum. Du hast Angst, daß du deinen Lebensträumen begegnest. Du fürchtest dich davor, daß du irgendwo einen Ort findest, an dem deine Seele sich wohlfühlt. Du hast Angst, daß du eine Aufgabe findest, die dein rastloses Herz zur Ruhe bringt. Ich bewundere dich für deine Disziplin und Selbstlosigkeit. Du bist ein großartiger Mensch. Doch ich nehme dein Opfer nicht an. So, wie ich unsere Eltern einschätze, wollen sie dein Opfer auch nicht. Vater lebt seinen Traum vom Unternehmer. Es war sein Traum. Dein Traum ist es nicht. Die Welt geht nicht unter, wenn du etwas anderes findest. Die Eltern haben uns erzogen, daß wir immer das tun, was uns glücklich macht. Ich bin glücklich – du nicht. Gehe hinaus in die Welt und schaue dich um. Wenn du nicht findest, was du suchst, dann kommst du wieder. Doch dann wirst du das Gefühl haben, nichts versäumt zu haben, nichts unversucht zu haben. Dirk, ich schätze dich sehr. Mich verbindet mit dir eine tiefe Geschwisterliebe, besonders seit wir nur noch zwei sind. Wenn du es dir zuliebe nicht tun kannst, dann tue es mir zuliebe. Nimm das Angebot von Papa an. Nimm dir eine Auszeit! Sofort, ohne nachzudenken! Gehe rauf in deine Zimmer und packe deinen Rucksack! Ziehe einfach los! Denke nicht nach! Springe ab! Tue es, Dirk! Bitte, tue es!«
Dieser so leidenschaftliche Aufruf stieß bei Dirk nicht auf taube Ohren. Er traf ihn mitten ins Herz. Mit einem Schlag waren alle Träume wieder da. Ja, Viola hatte so recht! Er hatte Angst vor sich selbst, Angst, er könnte seinen Träumen verfallen, etwas finden, was ihn restlos glücklich macht.
Es war ganz still im Eßzimmer. Dirk rührte in seinem Tee.
»Vielleicht ist es so, wie du sagst, Viola. Ich werde darüber nachdenken. Vielleicht sollte ich wirklich einen Urlaub planen. Doch so spontan – nein, das will ich nicht. Es muß alles geplant sein. Die Berge sind kein Spaziergang.«
Frauke warf ihrem Mann einen Blick zu. Dann sagte sie:
»Dirk, erinnerst du dich an die junge hübsche Anlagenberaterin bei der Bank, diese Frau Zwirner?«
»Ja! Was ist mit ihr?«
»Sie hat in die Berge geheiratet. Sie wohnt jetzt auf einer Berghütte, die sie zusammen mit ihrem Mann betreibt. Sie ist sehr glücklich. Niemand aus ihrer Familie und ihrem Freundeskreis konnte sich damals vorstellen, daß sie dort oben in den Bergen das findet, was sie so glücklich macht. Doch sie ist es.«
»Woher weißt du das?«
»Ach, ich treffe öfters ihre Großmutter. Sie zeigte mir Fotos. Diese junge Frau hat wirklich eine Heimat gefunden. Sie ist in Waldkogel. Das soll ein sehr schöner Ort sein. Ihre Großmutter war zur Hochzeit dort.«
Frauke machte eine kleine Sprechpause und fuhr fort:
»Wie wäre es, wenn du zu Anfang erst einmal einige Tage in die Berge fährst? Sagen wir ein langes Wochenende oder eine Woche. Besuche doch diese Anna, so nennt sie sich jetzt und ihren Mann Toni. Dann hast du jemanden aus deiner Heimat zum Reden. Außerdem bist du wirklich nicht sehr trainiert für große Bergtouren. Du sitzt immer am Schreibtisch. Nimm den Kurzbesuch auf der Berghütte einfach als Trainingsmaßnahme für deine Weltbergtour – irgendwann. Das ist doch ein Angebot und ein guter Kompromiß, oder? Ich mache mir auch Sorgen um dich, Dirk. Mir zuliebe! Spanne aus!« Frauke schaute auf die Uhr. »Nimm den Zug bis München und dann einen Leihwagen. Wenn du gleich aufbrichst, dann bist du bis zum Abend in Waldkogel. Morgen früh wanderst du rauf auf die Berghütte.«
Frauke stand auf. Sie sah in die Runde. Alle nickten ihr zu.
»Das ist eine wunderbare Idee, Frauke«, sagte ihr Mann zu.
»Komm, Dirk, ich helfe dir packen! Viola schaut im Internet nach einer Zugverbindung!«
Violas Verlobter meldete sich zu Wort: »Ich fliege dich auch gerne mit meinem