Toni der Hüttenwirt Paket 2 – Heimatroman. Friederike von Buchner

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Название Toni der Hüttenwirt Paket 2 – Heimatroman
Автор произведения Friederike von Buchner
Жанр Языкознание
Серия Toni der Hüttenwirt Paket
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783740950989



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      Nach und nach waren alle müde vom Tanzen. Das Bier direkt vom Faß tat sein übriges. Alois und Toni hörten auf zu spielen. Die Gäste verzogen sich auf den Hüttenboden und in die Zelte. Toni hatte in der Wirtsstube noch Matratzen ausgelegt. Dort konnte Urban schlafen. Doch dazu kam es noch lange nicht. Er saß mit Petra auf der Treppe, die zur Terrasse führte, unter dem wolkenlosen Nachthimmel. Dabei schauten sie nicht nur in die Sterne, sondern auch gegenseitig in ihre Augen. Erst als sich der Morgen ankündigte, legten sie sich noch etwas zur Ruhe. Viel Zeit blieb ihnen nicht. Aber Verliebte sind nicht sehr müde. Die Gefühle in ihren Herzen lassen sie Hunger, Durst und Müdigkeit vergessen.

      *

      Lioba fand Urbans Zettel. Sie hatte Verständnis, daß ihr Sohn sofort die Chance auf einen Praktikumplatz wahrnehmen wollte. Sie freute sich mit ihm.

      Lioba öffnete den Kiosk wieder und räumte das Auto aus. Später kam die Frau des Restaurantbesitzers zu ihr und gab ihr Annas Brief. Als Lioba die Zeilen las, sank sie auf den Hocker hinter der kleinen Ladentheke des Kiosks. Ihr zitterten die Hände, als sie das Foto betrachtete.

      »Edgar!« flüsterte sie leise.

      Liobas Herz klopfte. Das Blut stieg ihr in die Wangen.

      »Oh, Edgar!«

      Lioba mußte einen Augenblick die Augen schließen. Sie war froh, daß keine Kunden da waren. Die Erinnerungen stürmten mit Macht auf sie ein. Ein warmes Gefühl füllte ihr Herz, als sie sich an die Berge über Waldkogel erinnerte, an den »Engelssteig«, an die Berghütte, an Alois und natürlich an Edgar.

      Liebevoll strich Lioba über das Foto, als wollte sie Edgar liebkosen.

      »Jetzt habe ich wieder ein Bild von dir! Der gute Alois!«

      Lioba las wieder Annas Zeilen. Dann packte sie alles in ihre Handtasche. Den ganzen Tag mußte sie daran denken. Immer und immer wieder redete sie sich ein, daß sie nicht hingehen würde. Sie bekämpfte das Gefühl der Sehnsucht.

      Nein, nein, nein! Ich kann nicht nach Waldkogel fahren. Ich will Edgar nicht begegnen. Das wäre nicht gut. Ich habe mich schon vor langer Zeit entschieden, daß es besser für alle ist, wenn wir uns nie mehr sehen. Ich schaffe es nicht, die gan-

      ze Vergangenheit auferstehen zu

      lassen. Zu schmerzlich war das al-

      les.

      Nein, nein, nein, sagte sich Lioba immer wieder. Dabei klopfte ihr Herz. Es schalt sie eine Lügnerin. Es hielt ihr ihre Feigheit vor. Lioba kämpfte und kämpfte mit ihren Gefühlen.

      Völlig erschöpft schloß sie den Kiosk früher als sonst an einem Freitag. Sie fuhr heim.

      Lioba war unfähig, sich etwas zu Essen zu machen. Sie legte sich erschöpft auf das Bett in der kleinen Dachwohnung.

      Dem Himmel sei Dank, daß Urban nicht daheim ist. Da muß ich keine Rücksicht nehmen, dachte Lioba und ließ sich gehen. Sie machte kein Licht, als es dunkel wurde. Sie kuschelte sich in eine Decke und schaute aus dem offenen Fenster den Mond an. Sie dachte an Edgar. Sie erinnerte sich, wie niemals die Jahre zuvor, an die Zeit in Waldkogel. Die Ereignisse von damals durchlebte Lioba in dieser einsamen Nacht wieder und immer wieder. Tränen quollen dabei still aus ihren Augen und liefen die Wangen hinab. Die Trä-

      nen taten ihr gut. Und irgendwann sank sie hinüber in einen schweren traumlosen Schlaf.

      Es war schon Mittag, als Lioba erwachte. Die Sonne schien durch das offene Fenster. Lioba schaute auf die Uhr. Zuerst erschrak sie. Dann erinnerte sie sich. Sie blieb liegen. Sie kuschelte sich wieder unter die Decke, wie ein Kind, das nicht aufstehen will, um zur Schule zu gehen. Es war ihr gleichgültig, daß der Kiosk geschlossen war. Sie hatte keine Kraft.

      Es dauerte eine Weile, bis sich Lioba aufraffen konnte und aufstand. Sie schaltete die Kaffeemaschine ein und ging unter die Dusche. Aber selbst das kalte Wasser erinnerte sie an Waldkogel. Das Wasser war kalt wie das klare Wasser im Bergsee von Waldkogel, in dem sie nachts mit Edgar geschwommen war.

      Lioba ließ sich das Wasser über den Kopf laufen, als könnte es die Gedanken aus ihrem Kopf fort-spülen. Erst als sie fror, drehte sie die Brause ab. Lioba zog sich an und trank Kaffee. Hunger verspürte sie nicht. Sie holte ihr Handy und schaute nach.

      Richtig! Wie sie vermutet hatte, fand sie eine Nachricht von Urban. Ihr wurde schwarz vor Augen, als sie den Anrufbeantworter abhörte.

      Hallo, liebe Mama!

      Entschuldige, daß ich mich gestern nicht gemeldet habe. Ich bin in Waldkogel. Ich kann mich am Montag bei dem Bauern vorstellen. Polly, die mich mitgenommen hat, will mich hinbringen und ein gutes Wort für mich einlegen. Außerdem habe ich noch eine gute Nachricht für dich! Ich habe ein Madl kennengelernt. Sie heißt Petra und wohnt im Forsthaus. Mama, es war Liebe auf den ersten Blick! So werde ich über das Wochenende viel Zeit mit Petra verbringen. Waldkogel gefällt mir gut. Ich hoffe, du bist mir nicht böse. Ich werde jetzt mit Petra eine Wanderung machen. Ich denke an dich! Willst du nicht auch nach Waldkogel kommen? Wir können zu dritt wandern gehen! Ach, Mama, ich möchte dir so viel sagen, aber dann wird das Handygespräch zu teuer. Fühle dich umarmt, Mama. Bis bald!

      Lioba griff sich an die Brust. Ihr Herz klopfte zum Zerreißen.

      »Oh, Gott! Warum das alles?

      Warum das alles nach so langer Zeit?

      Warum das alles zusammen? Eine Einladung nach Waldkogel, ein Bild von Edgar, eine Möglichkeit für Urban und dann lernt er auch noch ein Madl in Waldkogel kennen?

      Warum das alles?

      »Warum das alles auf einen Tag?« flüsterte Lioba vor sich hin.

      »Wie soll das weitergehen?«

      Lioba hatte noch nie Urlaub gemacht. So beschloß sie, den Kiosk nicht zu öffnen. Sie brauchte Zeit für sich und wenn es nur ein einziger Tag war. Sie mußte Ruhe haben. Sie wollte nachdenken. Sie war gezwungen, eine Entscheidung zu treffen.

      Lioba machte sich dann doch ein Brot mit Marmelade. Sie zwang sich, etwas zu essen. Danach fühle sie sich etwas besser. Sie schaute aus dem Fenster.

      Sie ging ins Schlafzimmer und setzte sich auf ihr Bett. Sie überlegte, wie sie den Tag verbringen wollte. Es gab genug Hausarbeit zu machen. Lioba öffnete jeden Morgen um sechs Uhr den Kiosk und schloß erst um neun Uhr abends. Das war ein langer Tag. Hausarbeit und Buchhaltung bewältigte sie nebenbei, meistens in der Nacht.

      Lioba entschloß sich, in die Berge wandern zu gehen. Dort konnte ihre wunde Seele Kraft tanken. So war es immer gewesen. Die Berge, die hatten ihr Trost und Ruhe gegeben in all den Jahren. Lioba wußte auch genau, wohin sie wollte. Es gab oberhalb von Kirchwalden eine Plattform. Von dort aus konnte man an klaren Tagen bis nach Waldkogel sehen. Den »Engelssteig« und das »Höllentor« sah man meistens recht gut. In den letzten Jahren, während Urban studierte, war Lioba oft allein dort hingegangen, wenn die Sehnsucht zu groß geworden war. Nach dem geliebten Waldkogel wollte sie nicht. Aber ein Blick von weitem, das gestattete sie sich.

      Lioba zog ihre Wanderkleidung an, Kniebundhosen, dicke Strümpfe, Wanderschuhe, Bluse und eine ärmellose Weste darüber. Die Wanderjacke schnallte sie sich auf den gefüllten Rucksack. Lioba fuhr mit dem Auto zum Parkplatz, an dem der Wanderweg begann. Dann ging sie los. Nach einer Stunde erreichte sie ihr Ziel. Lioba setzte sich auf eine Bank und schaute durch das Fernglas. Es war ein besonders klarer Tag und die Sicht sehr gut. Durch das Fernglas kamen die Dächer von Waldkogel etwas näher. Doch in Gedanken und in Liobas Herzen war Waldkogel ganz nah.

      Lioba verbrachte den ganzen Tag dort oben. Sie dachte viel nach. Nach zähem inneren Ringen stand ihr Entschluß fest. Sie wollte Urban keine Steine in den Weg legen. Wenn er sein Glück in Waldkogel finden sollte, dann würde sie ihn ziehen lassen. Sie gestand sich auch ein, daß sie niemand anderem als sich selbst den Vorwurf machen konnte, daß es so gekommen war. Sie hatte damals einfach nachgegeben, auf ihre Lie-

      be verzichtet. Ich hätte kämpfen müssen, nicht brav und angepaßt sein!

      Nun