Название | Apotheker Melchior und das Rätsel der Olaikirche |
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Автор произведения | Indrek Hargla |
Жанр | Языкознание |
Серия | Hansekrimi |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783863935207 |
»Nein, nicht meine Sternenkarte«, sagte er dann. »Das sagen mir mein Gefühl und meine Erfahrung. Die Glieder Eures Gemahls sind krank und seine Knochen schmerzen, aber seine Lebenskraft ist noch stark. Die Sternenkarte sagt mir, wann der beste Tag für den Aderlass ist, und wie ich sehe, wäre das ...«
Er ließ seine Finger rasch über die Symbole der Sternenkarte gleiten und murmelte: »Gegen die Hüftschmerzen von Herrn Tweffell müssen wir schauen, wo der Schütze steht, für die Beine brauchen wir den Steinbock und für die kranken Knie den Wassermann ... Und wenn wir hier jetzt sehen, dass der Mond übermorgen abend im Steinbock steht, so würde ich sagen, dass Euer Gemahl in zwei Tagen vormittags für einen Aderlass zum Barbier gehen sollte und danach sollte er sich sofort mit der Salbe einreiben. Dann müssten die Schmerzen in seinen Beinen wohl nachlassen.«
»Das werde ich ihm ausrichten. Tausend Dank, Herr Apotheker, und auf Wiedersehen!« Das Mädchen seufzte noch einmal und wandte sich zum Gehen.
Melchior nickte ihr zu. »Jaja, das ist eine alte Wissenschaft, die Wilhelm von Saliceto und Gerhard von Cremona und all die anderen berühmten Heiler vergangener Zeiten uns gelehrt haben. Empfehlt Eurem werten Gemahl einen ordentlichen Aderlass und Ihr werdet schon sehen, liebe Frau Nachbarin, dass er sich noch lange guter Gesundheit erfreuen wird.«
»Gebe es Gott«, murmelte Gerdrud. Dann ging sie, und der Apotheker sah ihr nachdenklich hinterher.
»Das arme Mädchen!«, meinte plötzlich eine Frauenstimme hinter ihm. Melchior hatte gar nicht gehört, dass seine geliebte Keterlyn hereingekommen war.
Kapitel 2
Rathaus zu Reval 16. Mai, Morgen
Der Gerichtsvogt des Revaler Rates, Wentzel Dorn, stand vor dem Ratsherrn Bockhorst und einem Ordensdiener und versuchte in Gedanken alle Berufe aufzuzählen, die er lieber ausüben würde, als den auf ewig verfluchten und lausigen Beruf des Gerichtsvogts. Als erstes fiel ihm der ehrenwerte Beruf des Bierbrauers ein und dies aus zwei Gründen. Erstens hatte jener ständig frisches Bier bei der Hand und zweitens wurde ein Bierbrauer niemals frühmorgens aus dem Bett geholt und ihm befohlen, auf der Stelle im Rathaus zu erscheinen, wo wiederum ihm der Diener des Ordenskomturs – oh Gotterbarmen! – solche Neuigkeiten verkündete, dass einem die Haare zu Berge standen.
Aber es half nichts – hier stand er nun, unausgeschlafen, und sein Bauch begann wieder zu rumoren wie immer, wenn er schlechte Nachrichten hörte. Sehr schlechte Nachrichten.
»Heute Mittag«, sagte der Ordensdiener und der Ratsherr nickte.
»Was ist heute Mittag?«, fragte der Gerichtsvogt Dorn.
Der Ordensdiener starrte ihn mit unverhohlener Bissigkeit an. »Heute Mittag erwartet Euch der hochehrenwerte Komtur«, sagte er.
»Das schon«, brummte er. »Aber die anderen Ratsherren doch auch oder nur den Gerichtsherrn ...?«
»Die Ratsherren haben zur Mittagszeit ihre Messe in der Heiliggeistkirche«, bekräftigte Ratsherr Bockhorst rasch. »Aber der Gerichtsvogt muss auf jeden Fall heute Mittag auf den Domberg. Er kennt die Gesetzestexte am allerbesten und überhaupt ...«
Überhaupt und auf jeden Fall, dachte Gerichtsvogt Dorn. Jetzt, wo der Komtur in der Stadt einen Mörder suchte, war der Gerichtsvogt der beste Gesetzeskundige. Er schaute zum offenen Rathausfenster hinaus auf den Markt und sah dort einen Bierverkäufer mit einer großen Kanne. Der Gerichtsherr schluckte. Könnte nicht schaden, vor dem Gang auf den Domberg bei meinem Freund Melchior vorbeizuschauen. Um so mehr, da der Komtur schlechte Nachrichten hatte. Die konnte man sich ja kaum nüchtern anhören.
Dieser Fall sah nach solchen Angelegenheiten aus, von denen er sich am liebsten fernhielt. Jener hohe Ordensritter, der umgebracht worden war, kam schließlich von Gotland, und Gotland befand sich ständig im Streit mit den Städten, mit denen Reval gut Freund sein sollte – so wenigstens verstand es der Gerichtsvogt. Der Rat hatte in letzter Zeit ohnehin genügend Streit mit Nowgorod und Wiborg und sogar mit Dorpat gehabt. Es war noch gar nicht lange her, dass der Gerichtsvogt alle russischen Kaufleute, die sich in der Stadt aufhielten, im Namen des Rates und auf Geheiß von Dorpat in den Gefängnisturm hätte werfen sollen, aber was wäre dann aus den Revaler Kaufleuten im Hansekontor von Nowgorod geworden? Dorn konnte derlei Dinge, die mit hohen Machtinhabern und fremden Ländern zusammenhingen, nicht ausstehen, und der Mord an jenem Ordensgebietiger schien genau ein solcher Fall zu sein. Dorn musste seinem Amtseid zufolge in Reval für Ruhe und Ordnung sorgen und Gericht halten – für nichts anderes hatte der Rat seine Gesetze erlassen. Und die waren klar und deutlich. Markthändler in Ketten legen zu lassen, weil sie ihre Ware falsch abgewogen hatten, oder Gerbergesellen, die während der Nachtruhe mit Messern aufeinander losgingen, eine Strafe zu erteilen – das waren Dorns Ansicht nach die wichtigsten Aufgaben eines Gerichtsherrn. Diese Arbeit führte er auf das Genaueste und mit bestem Gewissen aus, weil er wusste, dass die Stadt davon ihren Nutzen hatte. Die Suche nach Mördern von hohen ausländischen Ordensrittern – die hätte er gerne einem anderen überlassen.
»Eine furchtbare Geschichte!«, seufzte Ratsherr Bockhorst und schüttelte sich. »Aber zum Glück hat unsere Stadt einen so tüchtigen Gerichtsvogt wie Herrn Wentzel Dorn, der den Mörder finden wird, und sei es unter der Erde.«
Sonst ist sein Kopf der nächste, der aufgespießt wird, dachte der tüchtige Gerichtsvogt Wentzel Dorn.
»Der Orden hofft inständig, dass der Mörder sehr bald gefunden wird«, merkte der Bote wichtigtuerisch an. »Aber das wird der Komtur selbst genauer erläutern. Bevor der Komtur seinen Willen nicht kundgetan hat, darf in der Stadt nicht über den Fall gesprochen werden. Gerüchte schaden nur.«
Was du nicht sagst, dachte der Gerichtsvogt. In einer Stadt mit einem Markt war ein Ratsausrufer überflüssig, die Stadt wusste schon alles vorher.
Als er später mit dem Ordensdiener die Rathaustreppe hinunterstieg, fragte er, ob der Komtur denn auch ein Kopfgeld ausgesetzt habe.
»Das muss die Stadt wohl selbst aussetzen«, meinte der Diener. »Auf dem Stadtgebiet können wir nichts ausrichten.«
»Eine üble Sache«, seufzte Dorn.
»In der Tat, eine üble Sache«, sagte der Diener und seufzte ebenfalls. »Die ganze Nacht herrschte auf dem Domberg ein heilloses Durcheinander. Es versteht sich von selbst, dass der Komtur nicht erpicht ist, dem Ordensmeister mitzuteilen, dass einem hohen Ordensritter der Kopf abgeschlagen und ihm dazu noch eine Münze in den Mund gestopft worden ist und dass der Mörder in die Stadt geflohen und nach wie vor auf freiem Fuße ist. Nein, ganz bestimmt nicht ...«
»Eine Münze? Was für eine Münze?«, fragte Dorn überrascht.
»Ich weiß nicht, was für eine Münze, jedenfalls fiel die aus Clingenstains Mund, als sie seinen Kopf vom Haken nahmen. Der Kopf war nämlich aufgespießt.«
»Da hat sich der Mörder wahrlich angestrengt«, brummte Dorn.
Der Ordensdiener blieb plötzlich vor der Rathaustüre stehen. Er sah unschlüssig zu Dorn hinüber. »Nun«, er zögerte, »eigentlich hat der Komtur verboten, von der Münze zu erzählen. Vielleicht könnte der Gerichtsvogt die Sache so lange vergessen, bis der Komtur selbst die Sprache darauf bringt.«
»Abgemacht«, knurrte Dorn und verabschiedete sich von dem Ordensdiener. Aber dann entschloss er sich doch, Melchior aufzusuchen, denn ein ordentlicher Schnaps gegen seine Bauchschmerzen würde ihm gut tun und soweit er wusste, hatte sein Freund, der Apotheker, eine gute Spürnase, wenn es darum ging, Mörder ausfindig zu machen. Wenn Melchior vergangenes Frühjahr nicht aufgedeckt hätte, wer jenen flämischen Ketzer erwürgt hatte, würde die Täterin noch heute eine angesehene, ehrenwerte Dame der Stadt sein. Der Rat war sicherlich damit einverstanden, wenn Melchior von Dorn zu seinem Untervogt bestimmt werden würde.