Die Familiensaga der Pfäfflings. Agnes Sapper

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Название Die Familiensaga der Pfäfflings
Автор произведения Agnes Sapper
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783955016395



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Übrigens sagt Walburg, sie verstehe die Leute da draußen viel besser, weil sie ihren Dialekt reden.«

      »Das kann wohl etwas ausmachen, und mich freut es für die treue Person, wenn auch nicht für uns. Aber wir werden auch wieder einen Ersatz finden.«

      »Nicht so leicht! Doch daran denke ich heute gar nicht. Am zweiten Feiertag möchte sie hinausfahren auf ihr Dorf. Vorher wollen wir mit den Kindern noch nicht davon sprechen, sondern ihnen erst, wenn Walburg zurückkommt, sagen, dass sie Braut ist.«

      Während unten so von ihr gesprochen wurde, war auch Walburg oben in ihrer Kammer noch tätig. Sie hatte zuerst in diesem ihrem eigenen kleinen Revier noch einmal ihren Brief gelesen und nun kniete sie vor der hölzernen Truhe, in der ihre Habseligkeiten säuberlich und sorgsam geordnet lagen. Sie hatte schon seit Jahren die Bauerntracht nimmer getragen, die in ihrem Dorf gebräuchlich war, jetzt wollte sie sie hervorsuchen, sie sollte ja wieder zu den Landleuten da draußen gehören. Der dicke Rock und das schwarze Mieder, das Häubchen und die breite blauseidene Schürze, das alles lag beisammen, und sollte nun wieder zu Ehren kommen!

      Am zweiten Weihnachtsfeiertag, früh morgens, noch ehe es tagte, reiste sie in ihrem ländlichen Staat in ihre Heimat.

      Erst wenn Walburg fehlte, merkte man, wie viel sie im Haus leistete. Es war gar kein Fertig werden ohne sie. Und nun gar in solchen Ferientagen. Wenn Frau Pfäffling drei ihrer Kinder dazu gebracht hatte, schön aufzuräumen, so hatten inzwischen vier andere wieder Unordnung gemacht und auf dem großen Weihnachtstisch nahm der Kampf gegen die Nussschalen und Apfelbutzen kein Ende. Dazu kam der Kinderlärm. Die Schlittschuhe lagen bereit, aber das Eis wollte sich bei der geringen Kälte nicht bilden, und Frau Pfäffling hatte doch so viel Feiertagsruhe davon erhofft! So lockte nichts die Kinder ins Freie, sie trieben sich alle sieben lachend, spielend oder streitend herum und machten der Mutter warm. Bis sie das Mittagessen bereitet und auf den Tisch gebracht hatte, war sie fast zu müde, um selbst davon zu nehmen. Da sah Herr Pfäffling nach den Wolken am Himmel, erklärte, das Wetter helle sich auf und er wolle einen weiten Marsch mit den großen Kindern machen. Als eben beraten wurde, ob Marianne auch mittun könne, kam eine Schulfreundin und lud die beiden Mädchen zu sich ein. Das war ein seltenes Ereignis und wurde mit Freude aufgenommen. So blieben nur die beiden Kleinen übrig, die begleiteten ein wenig traurig die Großen hinunter, kamen dann aber um so vergnügter wieder herausgesprungen. Die Hausfrau hatte sie eingeladen, ihren Christbaum anzusehen und bei ihr zu spielen.

      So geschah es, dass Frau Pfäffling an diesem Nachmittag ganz allein war; ihr Mann, die Kinder, ja sogar Walburg fort, so dass nicht einmal aus der Küche ein Ton hereindrang. Wie wohl tat ihr die unerhoffte Ruhe! Wie viel ließ sich auch an solch einem stillen Nachmittag tun, an das man sonst nicht kam! Es war schon ein Genuss, sich sagen zu dürfen: was willst du tun? Meistens drängten sich die Geschäfte von selbst auf und hätten schon fertig sein sollen, ehe man daran ging. Eine Weile ruhte sie in träumerischem Sinnen und über dem wurde ihr klar, was sie tun wollte: »Mutter,« sagte sie leise vor sich hin, »Mutter, ich komme zu dir!«

      Frau Pfäfflings Mutter lebte im fernen Ostpreußen, und seit vielen Jahren hatten sich Mutter und Tochter nimmer gesehen. Die bald 80 jährige Frau konnte nicht mehr, und die junge Frau konnte noch nicht die Reise wagen, die Kinder brauchten sie noch gar zu notwendig daheim. Aber es war doch köstlich, das treue Mutterherz noch zu besitzen, wenn auch in weiter Ferne. Seit langer Zeit hatte sie den Ihrigen nur kurze, eilig geschriebene Briefe mit den nötigsten Mitteilungen schicken können, jetzt wollte sie sich aussprechen, wie wenn sie endlich, endlich einmal wieder bei der geliebten Mutter wäre. Und es gab einen langen, langen Brief, in dem die ganze Liebe zur Mutter sich aussprach, ja, in dem es fast wie Heimweh klang, aber das konnte doch nicht sein, war Frau Pfäffling doch schon 18 Jahre aus dem Elternhaus. Es stand in dem Brief viel von Glück und Dankbarkeit, viel von des Tages Last und Hitze und davon, dass ihr Mann und sie noch immer treulich an dem Trauungsspruch festhielten: Ein jeder trage des andern Last.

      Ihr Brief war fertig geworden beim letzten Schimmer des kurzen Dezembertags. Jetzt, als es dunkelte, ging sie zum Christbaum und zündete ein einziges Lichtchen an. Das warf einen schwachen Schein und große breite Schatten von Tannenzweigen zeichneten sich an der Decke des Zimmers ab. Es war eine feierliche Stille am Weihnachtsbaum und Frau Pfäffling sagte leise vor sich hin: Nahet euch zu Gott, so nahet er sich zu euch.

      Eine Viertelstunde später mahnte die Glocke, dass wieder Leben und Bewegung Einlass begehre. »Nun werden die Kinder kommen,« sagte sich Frau Pfäffling. Sie fühlte sich wieder allen Anforderungen gewachsen, fröhlich ging sie hinaus und sprach zu sich selbst: »Dein Mann soll dich nicht so matt wiederfinden, wie er dich verlassen hat.« Sie ging, ihm und den Kindern zu öffnen, sie waren es aber nicht, die geklingelt hatten, Walburg stand vor der Türe.

      »Du kommst schon?« rief Frau Pfäffling erstaunt, »wir haben dich erst mit dem letzten Zug erwartet.«

      »So kann ich das Abendessen machen,« entgegnete das Mädchen. »Kartoffeln zusetzen?«

      »Ja, aber das ist mir jetzt nicht das wichtigste, sage mir doch erst, wie alles gegangen ist,« und da Walburg zögerte, fügte sie hinzu, »ich bin ganz allein zu Hause.« Und nun antwortete Walburg: »Er hat sich's nicht so arg gedacht, er meint, für die Kinder wäre doch eine besser, die hört.« Ohne ein weiteres Wort wandte sie sich um und ging die Treppe hinauf in ihre Kammer. Sie wollte den bräutlichen Putz ablegen. Sorgsam faltete sie die blauseidene Schürze, versenkte sie in die Truhe und legte den Brief dazu, der sie zwei Tage glücklich gemacht hatte. Dann schlüpfte sie in ihre alltäglichen Kleider, setzte sich auf die alte Truhe und sah mit traurigen, aber tränenlosen Augen auf die kahlen Wände ihrer Kammer. Es war so kalt und totenstill da oben, es war so öde und leer in ihrem Herzen.

      Da ging die Türe auf, Frau Pfäffling kam herein und stand unvermutet neben dem Mädchen, das ihren Schritt nicht gehört hatte. »Walburg, du tust mir so leid,« sagte sie und ihre Augen waren nicht tränenleer. Walburg aber beherrschte ihre Bewegung und erwiderte in ihrer ruhigen Art: »Draußen habe ich selbst erst gemerkt, wie schlimm das mit mir geworden ist, ich habe kein Wort verstanden, sie haben mir's auf die Tafel schreiben müssen und die Kinder haben gelacht. So wird er wohl recht haben. Er war freundlich mit mir bis zuletzt, das Reisegeld hat er mir zu zwei Drittel gezahlt und die Alte hat mir noch Kuchenbrot mitgegeben. Sonst wäre alles recht gewesen, nur gerade eben die Taubheit. Und sie sagen auch, ich könnte gar nicht mehr so reden wie sich's gehört. Ich weiß nicht wie das zugeht, Sie verstehe ich doch auch ohne Tafel und rede ich denn nicht wie früher auch?«

      »Für uns redest du ganz recht,« entgegnete Frau Pfäffling, »wir verstehen uns und darum ist's am besten, wir bleiben zusammen. Uns ist's lieb, dass du uns nicht verlässt, Walburg, du hast uns so gefehlt.« Da wich der starre, traurige Zug aus Walburgs Gesicht, und sie sah voll Liebe und Dankbarkeit auf zu der Frau, die sich so bemühte, ihr, der Tauben, Trostreiches zu Gehör zu bringen. Worte des Dankes fand sie freilich nicht, aber mit Taten wollte sie danken; eilfertig griff sie nach ihrer Hausschürze, band sie um und sagte: »Wenn der Herr heimkommt und das Essen nicht gerichtet ist!«

      Frau Pfäffling sagte an diesem Abend zu ihren Kindern: »Walburg ist so traurig aus ihrer Heimat zurückgekehrt, sie hat weder Eltern noch Geschwister mehr draußen, wir wollen uns Mühe geben, dass sie sich bei uns recht heimisch fühlt.«

      »Ich gehe mit meiner Violine zu ihr,« sagte Frieder, »den Geigenton hört sie.«

      Da warnte Herr Pfäffling mit dem Finger und sagte: »Nach dem Abendessen noch geigen? Wie heißt dein Vers?

      »'Eine Stund am Tag, auch zwei,

       Doch nicht mehr, es bleibt dabei.'«

      Aber Frieder konnte nachweisen, dass er heute noch nicht zwei Stunden gespielt hatte, ging hinaus in die Küche und machte mit denselben Violinübungen, die sonst die Zuhörer in Verzweiflung bringen, dem traurigen Mädchen das Herz leichter, denn es erkannte die Anhänglichkeit des Kindes, und in die tiefe Vereinsamung, die ihr die Taubheit auferlegte, drang der Ton der Saiten zu ihr als eine Verbindung mit den Mitmenschen.

      9. Kapitel Bei grimmiger Kälte.

      Das