Название | Die Tränen des Kardinals |
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Автор произведения | Heinz-Joachim Simon |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783946734406 |
Spencer erhob sich. Ich wollte ihn zurückhalten. Er jaulte empört. Um nicht noch mehr Aufsehen zu erregen, ließ ich ihm seinen Willen. Er lief zu Majas Tisch. Sie schrie auf und umarmte ihn. Er leckte ihr die Hände. Was für ein Verräter! Maja sah sich um und entdeckte uns. Ihr Gesicht wurde eisig. Sie sagte etwas zu ihrem Begleiter und sie kamen zu uns herüber. Menotti und Estefania tauschten Wangenküsse aus. Ich bekam von Maja keinen Wangenkuss. Die beiden Frauen gaben sich die Hand, das heißt, sie berührten kurz ihre Fingerspitzen. Sie hatten sich noch nie gemocht.
„Maja und ich kommen gerade von der Picasso-Retrospektive. Die in Paris vor zwei Jahren war besser. Wir wollen uns hier mit John Wilburn treffen, der angesagteste Vertreter der anarchischen Kunst. Auflösung aller Werte. Purer Nihilismus. Die Weiterführung des Dadaismus. Fantastisch!“
„Aha!“, sagte ich.
Er machte weiter, kannte natürlich alle Kunstrichtungen und sogar die, die erst Kunst werden wollten. Estefania beobachtete ihn ironisch lächelnd und kommentierte seine Ergüsse mit einem „Ach ja“ oder „Was du nicht sagst“. Er merkte nicht einmal, dass sie ihn auf den Arm nahm. Maja stoppte seinen Redeschwall, indem sie mich fragte, ob ich in meinem Fall schon weitergekommen wäre.
„Was? Wie? Was für ein Fall?“, fragte Menotti. Er schien zu befürchten, etwas verpasst zu haben. Eine schier unerträgliche Vorstellung für ihn.
„Ein wenig. Wir haben einen Faden gefunden, an dem wir uns nun entlanghangeln können.“
Menottis Miene zeigte ein großes Fragezeichen.
„Fall? Sind Sie … bei der Polizei?“
„Er ist etwas viel Schlimmeres“, antwortete Maja an meiner Stelle. „Er ist Detektiv. Ein Ermittler. Manche halten ihn für einen Philip Marlowe.“
„Das ist ja hochinteressant!“, begeisterte sich Menotti. „An was für einem Fall arbeiten Sie?“
„Es gehört nicht auf den Marktplatz“, wich ich aus.
„Haben Sie auch eine Waffe bei sich?“
„Hm.“
„Sie haben eine Pistole bei sich?“
Seine Stimme klang wirklich nach Donald Duck.
„Nein. Einen Revolver.“
Ich fragte mich, ob Maja mit diesem Lautsprecher schlief.
„Haben Sie ihn schon einmal benutzen müssen?“, fragte er atemlos.
Ich zuckte mit den Achseln und sagte so gleichmütig wie möglich: „Manchmal.“
„Sie haben getötet?“
„Töten ist mein Geschäft“, sagte ich brutal. Den Spruch hatte ich bei Chandler geklaut. War natürlich Bockmist, was ich da redete. Aber die Vorstellung, dass Maja … Seine Augen wurden so groß wie Mühlenräder. Estefania ließ einen Kiekser hören. Menotti lachte unsicher.
„Er verscheißert mich.“
„Hast du eine Ahnung!“, gab Estefania noch einen obendrauf. „Mit dem Mann aus Hamburg ist nicht zu spaßen! Er hat einige Kerben an seinem Revolver.“
„Hör auf!“, fauchte Maja. „Komm, Paolo, wir gehen.“
„Ist doch ein interessantes Gespräch“, beharrte Menotti. „John Wilburn hat auch schon Menschen umgebracht. Hat er mir selbst gestanden. War in Vietnam dabei. War sein Erweckungserlebnis. Seitdem zeigt er in Happenings auf, dass die ganze Kultur nur ein Firnis ist, der unsere Barbarei überdeckt.“
„Muss ja ein toller Hecht sein“, kommentierte Estefania.
„Nun mal im Ernst. Es bleibt unter uns. Haben Sie wirklich schon einmal jemanden umgelegt?“, fuhr er manisch fort. „Was ist das für ein Gefühl?“
„Paolo, so etwas fragt man nicht!“, entfuhr es Maja.
„Entschuldigung!“, sagte er und schwieg einen Moment betroffen.
Das darauf folgende Schweigen wurde durch das Eintreffen von John Wilburn beendet.
„Ihr kommt doch nachher zu unserem Happening?“, fragte Wilburn den Journalisten und schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. „Du hast mir versprochen, es in deiner Kolumne zu würdigen.“
Ob Wilburn ein Künstler war, konnte ich nicht beurteilen. Er sah jedenfalls so aus.
Sein langes, graues Haar hatte er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Seine Jeans wiesen Löcher auf. Sein Hemd war mit Farbe bekleckert. Seine Augen glänzten verdächtig. Keine Ahnung, was er eingeworfen hatte. Kopfschmerztabletten waren es sicher nicht. Menotti bestellte einen Rum für ihn. Wilburn musterte Estefania mit sichtbarem Interesse.
„Die Contessa Mazarini kennt deine Werke nicht“, nahm Menotti das Gespräch wieder auf. „Sie weiß nicht, welches Aufsehen deine Werke in Japan erregt haben. Die Tokio-Presse stand kopf.“
Estefania beeindruckte auch dies nicht.
„Contessa Mazarini?“, fragte Wilburn elektrisiert. Er rückte seinen Stuhl näher an sie heran.
„Estefania Mazarini, der umschwärmte Star der römischen Gesellschaft“, bekräftigte Menotti.
Wilburn legte wie zufällig seine Hand auf ihren Schenkel. Sie nahm die Hand und legte sie auf den Tisch.
„Sie scheinen ein kleiner Schmutzfink zu sein. Stellen Sie auch ölverschmierte Putzlappen aus?“
„Und Sie sind ein Anachronismus!“, sagte Wilburn keineswegs verlegen. „Beuys war ein Verkünder.“
„Ein Anachronismus? In der Tat. Uns gibt es seit achthundert Jahren. Ziemlich langlebig, nicht wahr?“
„Sie gehören in ein Panoptikum“, sagte Wilburn höhnisch lächelnd.
„… das Sie so gern anstaunen“, gab sie zurück. „Sie sind ein eitler kleiner Bilderstürmer!“
Mich hat Estefanias Arroganz manchmal gestört, aber diesmal fand ich sie wohltuend.
„Über mich schreibt die New York Times, dass ich ein Erneuerer sei. Ich zerstöre die Kunst und setze sie neu zusammen und mache ihre wahre Substanz durch visuelle Schocks sichtbar. Picasso ist tot, es lebe die neue Avantgarde des ‚Destruktivismus‘.“
Ich hatte keinen blassen Schimmer, wovon er sprach. Menotti hatte schon zu lange geschwiegen und brachte das Gesprächsthema wieder auf mich.
„Der Begleiter der Contessa ist ein Detektiv. Er hat schon mal getötet.“
Wilburns Miene verdüsterte sich.
„So? Hat er das? Darüber spricht man nicht. Reine Angabe!“
„Schon gar nicht in einer Bar“, stimmte ich ihm zu. „Die Assyrer waren vom Tod fasziniert. Unsere Gesellschaft hat nicht den Mut und die Kraft, das zu akzeptieren.“
Wilburn musterte mich und schlug sich auf die Knie und lachte.
„Sie sind eine Type! Ehrlich, ich mag Sie! Ich möchte Sie nachher in mein Atelier einladen, um Ihnen die Kunst des Destruktivismus vorzustellen. Das gilt auch für Sie“, wandte er sich an Estefania.
„Was ich gehört habe, lässt mich davon Abstand nehmen“, sagte sie mit der Haltung einer Lucrezia Borgia. „Mein alter Freund Serge ist endlich wieder in Rom und da müssen wir uns umeinander kümmern. Er ist ein Mann vom Schlag der alten Condottieri. Ich genieße jede Minute mit ihm.“
Es hörte sich so an, als wären wir ein Paar. Sie sagte das nur, um Maja eins auszuwischen. Ihre Worte zeigten Wirkung. Maja war weiß wie eine Tischdecke. Sie biss sich auf die Lippen. Mein Gott, der Riss zwischen ihr und mir vertiefte sich.