BLUT - Der Vampirkiller von Wisconsin. Robert W. Walker

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Название BLUT - Der Vampirkiller von Wisconsin
Автор произведения Robert W. Walker
Жанр Языкознание
Серия Die Fälle der Jessica Coran
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783958353237



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war, die sie für lange ausgemerzt gehalten hatte.

      Aber die Psyche hielt nichts von Fair Play, nicht mal gegenüber sich selbst.

      Otto Boutine hatte in seiner langen Karriere beim FBI in der Abteilung für psychologisches Profiling schon Foltermorde in all ihren Facetten gesehen, und als Berater, bevor eine solche Abteilung überhaupt existiert hatte. Tatsächlich hatten sogar die meisten seiner Fälle mit irgendeiner Form körperlicher Verstümmelung aufgewartet. Er war der hauseigene Spezialist für Verstümmelungsmorde, der Experte, der Ben »Obi-Wan« Kenobi der Verstümmelung. Manchmal sorgte er sich darüber, sein Leben so zu verbringen. Einen Großteil seiner wachen Zeit – und manchmal selbst seiner Träume – hatte er in den Gedankenwelten der brutalsten Killer verbracht, die je der Justiz zugeführt worden waren, mehr als mit seiner Frau, die ihm jetzt entglitt, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Seitdem er mit dem Bureau zusammenarbeitete, hatte er gelernt, wie ein Mann zu denken, der zu den größten Gräueltaten fähig war, die man sich vorstellen konnte, aber das hier, das Ergebnis einer Folter Stufe neun, war geistig nicht leicht auszuloten.

      Intellektuell konnte er die Tatsache akzeptieren, dass es zwischen 300 und 400 sogenannte echte Vampire gab, die das Land durchstreiften. Und auch wenn alle von ihnen ein unheiliges Verlangen nach dem Geschmack von Blut hatten, wurden nur wenige davon tatsächlich zu Serienkillern. Die meisten entschieden sich für andere und sicherere Möglichkeiten, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Aber emotional betrachtet hatte Otto große Schwierigkeiten, sich die Geisteswelt eines Menschen vorzustellen, der tatsächlich dazu fähig war, einem anderen Menschen das Blut abzuzapfen. Der langsame Sterbeprozess war so peinigend, so abscheulich, dass diese Art Verbrechen die Liste des FBI über die schlimmsten Foltermorde anführte.

      Es war schwierig, wie ein Mörder zu denken, erst recht wie ein sadistischer, perverser Killer; und nun auch noch wie ein Mann, der glaubte, ein Kind Satans zu sein, eine Art Zombie! Dass er zum Überleben nicht nur menschliches Blut brauchte, sondern den reichhaltigen, warmen, zu Kopf steigenden Cocktail eines frischen Kills? Das war selbst für einen Mann von Boutines Expertise schwierig. Dennoch hatte er sich in die Ermittlungen gestürzt wie jemand, der beschlossen hat, in einem Kanu die Niagarafälle hinabzufahren – egal, was Raynack sagte, und trotz Leamys Warnung. Hatte es etwas mit Marilyn zu tun? Hatte Leamy irgendwie gespürt, dass er sich nach einem Fall sehnte, der ihn aus Washington rausbrachte, fort von dem blassen Schatten einer Frau, die in einem Koma dahindämmerte, der er nicht länger dabei zusehen konnte? Oder lag es nur daran, dass dieser Folt 9 das war, worum sich seine gesamte Karriere drehte? Ein grausames und menschliches Phantom zu stoppen, an das allein er glaubte: Eine kranke Kreatur der Dunkelheit, die frisches Blut eines anderen zu sich nahm, damit sie – zumindest psychologisch – übernatürliche Macht über Leben und Tod bekam? War es tatsächlich möglich, dass der satanische Bastard an seine eigene blutige Unsterblichkeit glaubte? Der Vampir-Komplex; die Fixierung, die zu Menschen wie Marquis de Sade geführt hatte und zu Frauen, die ihre Schönheit bewahren wollten, indem sie im Blut von Jungfrauen badeten. Menschliche Neunaugen, die nach dem Blut anderer gieren.

      Aber es war das erste Mal, dass er das Resultat einer solchen wahnsinnigen Fantasie tatsächlich vor sich hatte.

      Er starrte wieder auf den blutleeren Leichnam, der verkehrt herum von den Balken der uralten Blockhütte in Wekosha, Wisconsin, hing. Die örtlichen Gesetzeshüter hatten sie verständigt, sobald ihnen klar geworden war, was sie da vor sich hatten – einen Fall von Verstümmelung ohne Blut, genau wie es das Fax beschrieben hatte.

      Jessica Coran war wie ein Fels in der Brandung des Schreckens. Eine erstaunliche Lady, hoch kontrolliert, mit einem brillanten medizinischen Verstand und unglaublichem Können. Er wusste, er musste sich mit den Superlativen zurückhalten, wenn er in seinem Bericht ihren Einsatz vor Ort beschrieb. Er durfte sie nicht wie Johanna von Orleans oder Mutter Theresa aussehen lassen, aber er war beeindruckt und sein Bericht würde das zeigen. Er ging zu ihr, fasste sie am Arm und fragte: »Wie läuft’s?« Sie war seit Stunden voll im Einsatz. Es dämmerte bald.

      »Bin gleich fertig.« Ihre nuschelige Stimme sagte alles.

      »Du wirst ein wenig Schlaf brauchen vor der Autopsie. Und es wird bald hell.«

      Eine Autopsie konnte Stunden dauern, und eine schwierige – die hier würde mit Sicherheit schwierig werden – sogar bis zu acht Stunden.

      »Lass die nicht ohne mich anfangen, Chief.«

      Er nickte und wechselte das Thema. »Ist schon ’ne Weile her, dass ich einen gesehen habe, der so schlimm war, das muss ich zugeben.« Sie glaubte, ein leichtes Zittern in Boutines Stimme zu hören. Für einen Moment sahen sie sich an, der Blick aus seinen glänzenden grauen Augen bohrte sich wie Pfeile ungehindert in ihre tiefen blau-grünen Augen. Es entstand eine stille Verbindung zwischen ihnen. Ihr wurde zum ersten Mal klar, dass er von der abscheulichen Tat genauso mitgenommen war wie sie; gleichzeitig fragte sie sich, wie sie auch nur einen Moment etwas anderes hatte annehmen können. Ja, Otto war Otto, so förmlich, so muskulös, aus hartem Holz geschnitzt. Vorhin hatte er gewirkt, als würde er über den Dingen stehen, als hätte er alles unter Kontrolle. Nützliche Verhaltensweisen, die sie diese Nacht verbissen nachzuahmen versucht hatte. Dabei hatte sie sich wie eine Katze gefühlt, die ihre Fänge tief in die Beute geschlagen hat, ängstlich darauf bedacht, keinen Millimeter nachzugeben, weil sie fürchtete, den Kampf mit sich selbst zu verlieren.

      Doch sie sah den Schmerz in seinen Augen.

      Es war nur ein kurzes Auflodern und sie war schon todmüde, aber die flackernde Glut eines Moments der Schwäche war sichtbar gewesen. Die grausige Natur des Falls hatte ihn in seiner Seele getroffen, genau wie sie auch. Er hatte sofort versucht, das Gefühl zu ersticken, und wie gewöhnlich war die Glut schnell erloschen, wieder durch Stahl ersetzt, und sie hörte mit halbem Ohr seine Anweisungen.

      »Zeit, dass wir hier fertig werden, damit du noch ein paar Stunden Schlaf kriegst.«

      Sie nickte, sagte nichts. Aber irgendwie wusste sie, die Verbindung, die an diesem grausigen Tatort zwischen ihnen entstanden war, würde Bestand haben.

      Doch dann wirkte er wieder rein professionell; ließ die Maske des Chiefs erneut über seine Stirn sinken, als wäre er nicht daran interessiert, solche Gefühle mit ihr zu teilen. Auch ohne dass ein Wort darüber fiel, musste sie an seine invalide Frau denken, die mittlerweile seit einem Monat im Bethesda Marinehospital im Koma lag, Opfer eines Aneurysmas. Sie erinnerte sich wieder daran: Niemand kam Boutine je besonders nahe. Otto erzählte anderen nur ansatzweise, was in seinem Leben vorging, und ließ niemanden nahe an sich heran, erst recht nicht einen Neuling in der Abteilung.

      Er war nur hier, um für das Bureau ein Auge darauf zu haben, wie sie sich im Einsatz schlug. Er arbeitete an einer Neuaufstellung seines Profiling-Teams und sie war ein zentraler Teil dieser Umstrukturierung. Da hatte er nicht um den heißen Brei herumgeredet und ihr genau gesagt, wie seine Pläne für sie aussahen. Nirgends in diesen Plänen war vorgesehen, seine Gefühle mit ihr zu teilen, auch wenn es spontan und unabsichtlich geschah.

      Bis zu diesem Morgen hatte Dr. Jessica Coran wie am Fließband gearbeitet, in der relativ freundlichen, sauberen und sicheren Umgebung des »Ladens«. Aber jetzt sollte sie für die Nachbearbeitung dieses Falls ihr eigenes Fließband anlegen. Dieses Mal würde sie das Gesamtbild zu Gesicht bekommen. Und das tat sie; sie hatte es genau vor der Nase.

      Kapitel 3

      Jessica hatte die Hoffnung aufgegeben, die ausgefeilte Ausrüstung zum Sichern von Fingerabdrücken zu erhalten, die ihnen das Einsatzbüro in Milwaukee versprochen hatte. Sie hätte vielleicht einige Ergebnisse erzielen können mit einem ultravioletten Bildsystem, welches das Licht an einem Tatort 700.000 Mal verstärkte. Aber sie musste mit dem zurechtkommen, was sie hatte: Einem Stromgenerator und ein paar Scheinwerfern, die durch die Fenster und die Tür leuchteten. Sie versuchte, das Beste daraus zu machen. Außerdem standen die Chancen eher schlecht, an dem schon schwer beeinträchtigten Tatort einen Fingerabdruck des Killers zu finden. Sie hatte gesehen, dass jemand tatsächlich eines der Körperteile des toten Mädchens aufgehoben und zu ihr zurückgebracht hatte. Es lag unter ihr wie eine Opfergabe, und sehr