PURPURUMHANG. Tartana Baqué

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Название PURPURUMHANG
Автор произведения Tartana Baqué
Жанр Контркультура
Серия
Издательство Контркультура
Год выпуска 0
isbn 9783347164758



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Ich werde diesen Sonntag nicht in seiner Praxis arbeiten.

      Was sage ich?

      Ich werde nie mehr in seiner Praxis etwas für ihn tun.

      Mit einem Ruck drücke ich seine Nummer auf dem Display meines Handys und schalte den Lautsprecher an.

      „Hallo?“ Es ist Linhs Stimme, die ich höre.

      Mist, soll ich auflegen? Quatsch. Sie sieht meine Telefonnummer.

      Bevor ich handeln kann, klingt Peters Stimme an mein Ohr.

      „Was ist Julia?“

      „Hallo, Peter. Nur ganz kurz. Ich fahre für drei Wochen weg.“

      „Wie stellst du dir das vor?“

      Ich nehme sehr wohl den drohenden Unterton in seiner Stimme wahr.

      „Es ist Ende Mai, und du muss die private Abrechnung machen.“

      „Für wie blöd hältst du mich?“, kontere ich, schiebe den Schreibtischstuhl vom Tisch und stehe auf. „Linh kann die Abrechnung machen. Ich habe es ihr oft genug gezeigt.“

      „Ist das jetzt deine Rache?“, brüllt Peter „Das mit Linh, hast du dir selber zu zuschreiben. Deine Frigidität hat mich aus dem Haus getrieben.“ Er zischt, wie immer. „Dass ich deine Touren zum Casino überhaupt so lange toleriert habe, hast du nur meiner verständnisvollen Art zu verdanken. Ich arbeite hart, und du? Du verspielst unser Geld. Also halt den Ball flach, bevor du mir vorwirfst, dass ich fremdgehe!“

      „Weißt du, ich habe dir immer den Rücken freigehalten, damit du drei Mal in der Woche Golf spielen kannst.“ Ich stocke. Kämpfe mit den aufsteigenden Tränen. „Und, und du? Wie ich jetzt weiß, hast du mit Linh rumgemacht. Du brauchst mir nichts vorzuwerfen.“

      Ich bemerke, dass er tief Luft holt und sage schnell: „Lass es gut sein, Peter. Ich will keinen Streit. Mittwoch fliege ich nach Marbella und werde mein Handicap verbessern. Das war dir doch immer so wichtig“, füge ich schnell hinzu. „Wenn du mich sprechen willst, du hast ja meine Nummer. Ciao.“

      Ohne eine Antwort von ihm abzuwarten, drücke ich den roten Telefonhörer auf meinem Display.

      Ich setze mich auf den Sessel. Unbeweglich bleibe ich sitzen. Weinen kann ich nicht mehr. Meine Augen brennen. Ich war doch immer für ihn da. Habe ihm geholfen, wo ich konnte.

      Bin ich jetzt unfair? Lasse ich ihn im Stich?

      Entschlossen stehe ich auf.

      Was soll der Quatsch?

      Er betrügt mich, und ich mache mir Gedanken, ob ich ihm gegenüber unfair bin?

      Lisa hat mir vor Jahren schon gesagt, dass ich mich zu meinem Nachteil verändert habe.

      Aber meine Familie ist mir immer wichtiger gewesen als ich selbst. Ich habe für alle eine heile Welt aufgebaut, die aber auf meine Kosten ging. Stimmt, langsam wird mir klar, dass mein Anteil am Leben immer schmaler wurde und meine Freiheiten sich kontinuierlich verringerten. Peter habe ich zum allmächtigen wunderbaren Arzt hochstilisiert und meine Mitspracherecht in der Partnerschaft, meine Persönlichkeit und meine Bedürfnisse hintenangestellt.

      Unschlüssig stehe ich vor dem Kleiderschrank. Drei Wochen sind eine lange Zeit. Es ist bestimmt zehn Jahre her, seit ich mit Peter auf den Malediven war. Mit einem Ruck hole ich den großen Reisekoffer vom Schlafzimmerschrank.

      Jetzt bitte keine Sentimentalitäten.

      Ich habe keinen Schimmer, was ich einpacken soll. Lieblos eng aneinander gequetscht hängen Kleider, Hosen und Jacken auf der Stange. Das eine oder andere Kleid ziehe ich raus. In letzter Zeit habe ich mir gar nichts Neues gekauft, realisiere ich.

      Ich schaue in den Kleiderschrankspiegel. Eine vollschlanke Frau mit einem dicken Bauch und Fettröllchen, die rechts und links am seitlichen Rücken hervorquellen, schaut mich müde an.

      Auch nicht gerade vorteilhaft, meine heutige Kleiderwahl. Das graue Leinenkleid mit einem weißen Rundkragen wirkt bieder und farblos. Die altrosa Strickjacke verstärkt noch den Eindruck einer älteren Frau. Mein blasses, verhärmtes Gesicht mit der braunen Lesebrille strahlt überhaupt keine Energie aus. Ich setze die Brille ab, um mich besser sehen zu können. Aber das nutzt auch nichts. Ich stelle fest, dass meine ehemals schwarzen Haare doch ganz schön grau geworden sind. Straff nach hinten zusammengebunden wirke ich noch älter als ich bin.

      Traurig drehe ich meinem Spiegelbild den Rücken zu. Ich sehe wie sechzig aus.

      Aber bitte, wann habe ich mal Zeit für mich? Jeder will was von mir! Peter, Georg, meine und seine Patienten. Keiner fragt mich, wie es mir geht. Alle wollen nur, dass ich für sie da bin.

      Ich wuchte den großen Koffer wieder auf den Schrank.

      Das werde ich ändern! Ich werde mich jetzt um mich kümmern. Ich bin wichtig!

      Kurz entschlossen nehme ich den kleinen Reisekoffer. Zwei Kleider, zwei kurze Hosen, Golfdress, Badeanzug und das Übliche. Zum Schluss noch die Schuhe. Ich setzte mich auf den Koffer. Mit Ach und Krach schaffe ich es, den Reisverschluss zu schließen.

      Mittwoch steht Lisa pünktlich um 14: 00 Uhr mit ihrem Auto vor der Villa.

      „Hast du alles dabei? Ausweis, Tickets, Handy, Schlüssel?“, fragt sie und schaut mich abwartend an.

      Meine Mutter hätte mich auch so anschauen können.

      „Alles okay“, rufe ich ihr zu.

      Vorsichtshalber kontrolliere ich noch einmal den Inhalt meiner Handtasche, bevor ich die Haustüre abschließe. Wie in Zeitlupe drehe ich den Schlüssel im Schloss. Einmal. Zweimal.

      Meine Hände zittern.

      Der Schlüssel fällt zu Boden.

      Ich bücke mich und hebe ihn auf. Für einen kurzen Wimpernschlag stehe ich plötzlich vor einer massiven hölzernen Haustüre mit goldenem Löwen-Drehknauf in der Mitte. Rechts und links daneben zwei schwere Terrakottablumentöpfe mit Oleandersträuchern, die voller weißer Blüten sind. Die Türe öffnet sich, und ich sehe zwei breite Treppen in einer hohen Eingangshalle. Plötzlich rieche ein herbes Männerparfüm. Durch eine riesige Fensterfront schaue ich auf das weite Meer …

      „Brauchst du Hilfe?“, höre ich Lisa rufen. Sie kommt die drei Stufen zu mir hoch.

      Irritiert erwache ich und drehe mich um.

      „Ich nehme dir das Gepäck ab.“ Lisa nimmt meine Golfausrüstung.

      „Ja, danke. Es fällt mir schwer, weißt du. Es ist mir, als ob ich hier nie mehr glücklich sein werde. Ich habe Angst vor dem, was kommt. Was wird mit mir und Peter werden?“

      „Komm Julia, denk nicht so viel nach.“ Lisa verstaut mein Gepäck und startet den Motor.

      Ich gucke aus dem Autofenster und sehe, wie sich eine Wolke vor die Sonne schiebt. Die Bäume werfen große Schatten auf die Villa. Die heruntergelassenen Rollos vor den Fenstern verdecken den Blick ins Haus. Dunkle Löcher starren mich an. Ich friere.

      „Hast du noch was von Peter gehört?“, fragt Lisa, nachdem wir eine kleine Weile auf der Autobahn gefahren sind.

      „Ja, ich habe am Samstagnachmittag mit ihm telefoniert.“

      „Und?“

      „Er wohnt bei Linh. Sie war zuerst am Telefon. Doch ich habe es geschafft, ihm zu sagen, dass ich für drei Wochen weg bin. Und dass er seine Abrechnung ab sofort von Linh machen lassen kann.“

      „Das war richtig. Endlich denkst du mal an dich.“

      Ich recke mich in meinem Autositz.

      „Hat er mich überhaupt jemals geliebt?“

      Lisa legt ihre Hand auf meinen Arm. „Komm Julia, denk an deinen Urlaub. Peter wird sich nie ändern. Ich habe es dir immer gesagt. Er nutzt dich nur aus.“

      Ich dämmere ein