Darum in die Ferne schweifen. Werner Stilz

Читать онлайн.
Название Darum in die Ferne schweifen
Автор произведения Werner Stilz
Жанр Биографии и Мемуары
Серия
Издательство Биографии и Мемуары
Год выпуска 0
isbn 9783947694099



Скачать книгу

hatte bereits seinen Dienst bei der Bundeswehr absolviert und es bis zum Oberleutnant der Reserve gebracht. Inzwischen studierte er Betriebswirtschaft an der Fachhochschule Pforzheim.

      Wir fuhren zunächst bis nach Paris, wo wir für zwei Tage Station machten, um uns die schöne Stadt anzuschauen. Leider wurde in der Nacht aus dem auf der Straße geparkten Auto mein Aktenkoffer mit etwas Bargeld gestohlen. Das konnte unsere Laune aber nur kurzfristig dämpfen.

      Als mich Hermann bei meinen Eltern in der Schlachthausstraße ablieferte, war auch hier die Freude groß, wenngleich meine Mutter mit großem Bedauern feststellte, dass von meinen blonden Locken nicht viel übriggeblieben war. Inzwischen hatte ich ziemlich lichte Haare.

       Heinz’ weiterer Lebensweg

      Wie erwähnt, kam Heinz nach seiner Ausweisung aus Kanada nach Deutschland zurück. In Hamburg-Finkenwerder fand er eine Anstellung auf einer Ausbesserungswerft. Er hielt den Kontakt mit unseren Eltern auf Sparflamme. Offensichtlich schämte er sich. Später zog er nach Oberfranken, verdingte sich als Zimmermann-Gehilfe und lernte seine spätere Frau Monika kennen. Als die beiden in Wallhausen heirateten, war die ganze Verwandtschaft mütterlicherseits dabei. Auch sein gestrenger Pflegevater Robert versöhnte sich mit ihm. Kurz hintereinander wurden ihre beiden Kinder, Susanne und Hartmut, geboren.

      In einer alten Dokumentenmappe fand ich die Abschrift eines Übertragungsvertrags zwischen Karoline Lang, geborene Häberlein, Witwe in Wallhausen, vertreten durch Robert Stilz, und Heinz Lang mit Ehefrau Monika Lang, geborene Heilemann. Mit dem Vertrag erwarben Heinz und seine Frau von der Oma ein Haus in Faurndau bei Göppingen, das ursprünglich einer Cousine von Oma Karoline gehörte. Diese kinderlose Cousine hatte in ihrem Testament verfügt, dass Karoline Lang das Haus erben soll. Die alte Frau wollte es nun an ihren Enkel Heinz weitergeben. So kam Heinz und seine Familie 1966 in den Besitz des schönen alten Backsteinhauses.

      Nach meiner Rückkehr aus Kanada lernte ich Monika und die beiden kleinen Kinder kennen. Heinz hatte ich seit seiner Auswanderung nicht gesehen, er machte einen etwas verbrämten Eindruck auf mich. Er war bei einem Bauunternehmen in Göppingen angestellt, Monika arbeitete bei der Salamander-Schuhfabrik in Faurndau in der Produktion.

      In der Zeit, als Susanne und Hartmut eingeschult wurden, verletzte sich Heinz bei einem Sturz vom Dach eines Neubaus tödlich. Es konnte nie einwandfrei geklärt werden, ob es ein Unfall oder Suizid war. Monika schaffte es als junge Witwe, ihre Kinder gut zu erziehen. Beide gingen in die Realschule und erlernten gute Berufe. Susanne wurde Krankenschwester und Hartmut, der schon immer gern malte und zeichnete, wurde Grafiker. Heute lebt Monika in einem Pflegeheim in Göppingen und fühlt sich dort sehr wohl. Tochter Susanne, die in der Nähe wohnt, kommt sie oft besuchen und versorgt die Wäsche für sie.

      Kurz vor Weihnachten 2019 besuchte ich die Verwandten in Susannes Haus. Monika machte auf mich einen munteren Eindruck, ebenso wie Hartmut, den ich schon einige Jahre nicht mehr gesehen hatte. Er ist geschieden, während Susanne und ihr Mann Werner zwei erwachsene Töchter haben, die mit ihren Freunden zusammenleben.

       Zurück in Deutschland

      In Schorndorf kam es mir vor, als hätte sich in den vier Jahren meiner Abwesenheit nichts verändert. Meine Eltern aber, inzwischen schon 64 und 63 Jahre alt, waren froh, dass einer der Söhne wieder zuhause war und das eine oder andere für sie regeln konnte. Mein Vater hielt sich weiterhin am liebsten in seinem Weinberg auf. Statt mit dem Leiterwagen war er nun mit seinem Goggomobil, Modell Sportcoupé, zum Weinberg unterwegs.

      Beruflich war er für die Fruchtsaftkellerei Ricker tätig. Scherzhaft nannten wir ihn den »Pressechef«: An der Apfelpresse schüttete er zusammen mit anderen Arbeitern die zerkleinerten Äpfel in ein sackartiges Tuch, legte darüber ein flaches Holzgerüst und schüttete in das nächste Tuch eine weitere Ladung Äpfel. So ging es Lage auf Lage, bis die Presse voll war und eine große Metallspindel von oben die Äpfel zerdrückte und unten der köstliche Saft herauslief.

      Saison für Saftherstellung ist erntebedingt der Spätsommer und der Herbst. Dann stand er täglich an der Presse. Die restliche Zeit des Jahres war er im Lager tätig, manchmal auch als Beifahrer im Lkw bei der Auslieferung der Ware an Getränkehandlungen in ganz Süddeutschland. Daneben bearbeitete er auch den kleinen Weinberg des Saftfabrikanten.

       Fantis Geschichte

      Im alten Teil des Hauses, in der früheren Wohnung meiner Großmutter, die während meiner Zeit in Kanada verstorben war, wohnte inzwischen eine griechische Familie, Johann und Domna mit Töchterchen Efanthia, genannt Fanti. Sie waren typische Gastarbeiter, fleißig am Fließband arbeitend und sparsam. In der griechischen Heimat hatten sie längst ihr Häuschen gebaut. Einmal im Jahr ging es auf Heimaturlaub, wegen der umfangreichen Mitbringsel mit dem Bus. Sie putzten ihr Haus und richteten es wieder her. Johann reparierte die kleinen Schäden, die innerhalb eines Jahres an einem unbewohnten Gebäude unvermeidlich auftreten. Sie beabsichtigten, eines Tages für immer in dieses Haus einzuziehen, sobald sie in Deutschland genug verdient hätten. Wie bei so vielen anderen Gastarbeitern kam es aber nicht dazu. Sie blieben für immer in Deutschland.

      Da ihre Eltern tagsüber arbeiteten, wurde Fanti nach der Schule von meiner Mutter betreut, ihrer Ersatzoma. Nach dem schwäbischen Mittagessen fuhr »Opa Robert« sie im Goggomobil dreimal wöchentlich zur griechischen Schule. Abends kochten Fantis Eltern gut und kräftig Griechisch. Die Folgen waren nicht zu übersehen. Fanti wurde mit der Zeit ein Dickerchen. In der Schule kam sie gut zurecht und zählte zu den Klassenbesten. Während ihre Eltern, vor allem ihr Vater Johann, sich mit der deutschen Sprache lange Zeit schwertaten, absolvierte Fanti nach Beendigung der Realschule eine Ausbildung bei der Volksbank, und wurde später – längst eine hübsche, schlanke junge Frau – Leiterin einer Volksbank-Filiale. Seit einigen Jahren betreibt sie ihre eigene Firma für Finanz- und Versicherungsberatung in Schorndorf mit zwei oder drei Angestellten. Meine Eltern verfolgten Fantis Entwicklung stets aufmerksam. Sie war schließlich als Kind ein Teil der Familie.

       Der Lebensabend meiner Eltern

      Die Spuren eines harten, arbeitsreichen Lebens waren bei meinem Vater unverkennbar. Das Gehen fiel ihm zusehends schwer. Dabei blieb es auch mit den künstlichen Hüftgelenken auf beiden Seiten. Im Weinberg jedoch, sagte er häufig, spürt er keinen Schmerz. Bei schweren Arbeiten, wie dem Spritzen der Reben gegen allerlei Laubkrankheiten, ging ich ihm samstags zur Hand. Es mussten Schläuche für die Spritzflüssigkeit gelegt und durch die Reihen der Rebstöcke gezogen werden. Dazu brauchte es mehr als zwei Hände. Für das Spritzen benutzte er einen Motor, der aber manchmal nicht anspringen wollte.

      Ein schönes Erlebnis war in jedem Herbst die Weinlese. Dabei fehlte es nie an freiwilligen Helfern. Weil der Weinberg klein war und die Helferschar groß, war die Lese der süßen Trauben bald beendet. Ein zünftiges Vesper mit ausreichend Rot- und Weißwein vor oder im Weinberghäuschen war in jedem Jahr der Höhepunkt des fröhlichen Treibens. Auch einige Familienangehörige aus der väterlichen Verwandtschaft, mit der er viele Jahre lang wegen der Erbstreitigkeiten verfeindet gewesen war, kamen gerne in den Weinberg zur Lese. Inzwischen hatten sich alle wieder versöhnt. Abends holte ein befreundeter Weingärtner mit seinem Traktor den Anhänger mit den Zubern ab, jeweils einen für die Trollinger- und einen für die Riesling-Trauben.

      In der Kelter der Weingärtnergenossenschaft werden die Trauben in eine Raspel geschüttet, welche die Stiele entfernt. Das ist nochmals richtig schwere Arbeit, vor allem, wenn man vorher genüsslich dem Wein zugesprochen hat! Danach wird die süße Maische auf zwei Arten gemessen. Einmal wird das Gewicht in Kilogramm gewogen, zum anderen wird mit der Öchsle-Waage der Zuckergehalt bestimmt, der die Güte der Trauben anzeigt. Je höher der Öchslegrad, desto höher fällt später die Vergütung an die Genossenschaftsmitglieder aus. Diese Auszahlung findet in der Regel drei Jahre später statt, weil auch die erzielten Verkaufserlöse der Weine eine wesentliche Rolle spielen. Mein Vater ließ sich seine Vergütung zu einem Teil als »Rücklieferungswein« auszahlen.

      Finanziell ging es meinen Eltern zufriedenstellend. Von ihrem Ersparten kauften sie zwei kleine Eigentumswohnungen, die sie gut vermieteten. Andererseits waren sie zu gutgläubig. Eines Tages erfuhr ich, dass dubiose Handwerker das Dach des Hauses neu decken